Franzosen verschmähen Baguette:Die Liebe bröselt

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Einst unentbehrlich, heute Einheitsbrot: französisches Baguette. (Foto: REUTERS)

Pasta und Pizza, Fast Food und Fertiggerichte aus der Mikrowelle: Die französische Esskultur ist nicht mehr das, was sie einmal war. Selbst das Heiligtum der Franzosen, die gute alte Baguette, ist einheitlich und fader geworden. Kein Wunder, dass der Hunger nach der Weißbrotstange nachlässt.

Von Rudolph Chimelli

Ein Franzose, wie die Welt und das Kino ihn liebten, hatte eine Baskenmütze auf dem Kopf. An seiner Oberlippe klebte die Gauloise, und unterm Arm trug er die unentbehrliche Baguette. Seit Langem gehören Baskenmützen nur noch zur Uniform der Alpenjäger. Rauchen dürfen die Bürger, wenn die Gesundheitsministerin ihren Willen bekommt, bald selbst in Parks nicht mehr.

Und mit der Baguette geht es abwärts, seit Jahrzehnten und kontinuierlich. Bloß noch ein halbes Stangenbrot, das sind 125 Gramm, isst der Durchschnittsfranzose am Tag. Frauen und Jugendliche sogar ein Drittel weniger. Eine ganze Baguette wurde pro Kopf noch vor 40 Jahren konsumiert, und drei waren es in der Belle Epoque vor dem Ersten Weltkrieg, als frisches Weißbrot das Volksnahrungsmittel war. Was ist da passiert?

Die Bäcker, die den Verbrauch derzeit wieder mal mit einer Kampagne anzukurbeln versuchen, hören es nicht gern. Aber die gute alte Baguette ist einförmiger, fader geworden. Um einen gewissen Qualitätsstandard zu garantieren, beliefern einige Großmühlen unzählige Backstuben mit vorbereiteten Mehlmischungen oder gar mit einem fertigen Teig. Auch schicke Markennamen wie Banette, Campaillette oder Baguépi können freilich nichts daran ändern, dass das Produkt landesweit im Grunde gleich schmeckt. Längst ist der langsame Sauerteig der schnelleren Hefe gewichen. Wie bei Obst und Gemüse hat die Mechanisierung auch beim Brot Geschmack und Aroma reduziert.

Mit dem Brot verwandelte sich der vertraute altmodische Laden. Goldverzierte Glasmalereien mit ihren allegorischen Figuren, von der Zeit gedunkelte Holzregale, die klingelnde Registrierkasse - das alles verschwand. Der Hauptumsatz wird in den modernisierten Geschäften heute mit Konditorei gemacht. Besser nicht erwähnt werden sollte zudem, was zu attraktiven Preisen aus den "Back-Terminals" von großen Supermärkten kommt.

Bester Baguette-Bäcker beliefert den Élysée-Palast

Verhaltensformen ändern sich, auch im Land der Lebenskünstler. Pasta und Pizza, Müsli und Fast Food, Mikrowelle und Tiefkühlung sind die Feinde der Baguette. Jene gastronomischen Geschäftsessen, bei denen zwischen 13 und 16 Uhr früher alles Wichtige in Frankreich besprochen wurde, gibt es fast nicht mehr: Jeder Gang wurde dort von Baguette begleitet. Selbst eine normale französische Mahlzeit dauerte vor 30 Jahren noch eine Stunde und vierzig Minuten. Die Sauce wurde mit Weißbrot vom Teller getunkt. Heute müssen im Durchschnitt 38 Minuten reichen. Dazu passt, dass viel, viel weniger Rotwein getrunken wird. Und am 14. Juli tanzt das Volk auf den Straßen nicht mehr zu Musette-Walzern.

Wenn die Baguette auch auf dem Rückzug ist, ganz verloren hat sie nicht. Fast überall gibt es die "Baguette tradition", die etwas teurer ist, besser schmeckt und immer beliebter wird. Sie darf nach Regierungsverordnung nur aus Mehl, Wasser, Salz und Hefe bestehen. Den elitären Titel "Boulangerie artisanale" dürfen Bäckereien nur noch führen, wenn sie ihren Teig selbst machen. Alljährlich wird in Paris der Bäcker prämiert, der handwerklich die beste Baguette herstellt. Er beliefert danach ein Jahr lang den Élysée-Palast. In diesem Jahr wurde ein Bäckermeister geehrt, der als Jugendlicher aus Tunesien einwanderte.

© SZ vom 02.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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