Französische Küche:Schäume sind Träume

Leberpastete statt gelierter Olivenöl-Spirale. Seit die molekulare Küche Geschichte ist, gewinnen Frankreichs Köche ihr Selbstbewusstsein zurück. Sie haben aber inzwischen gelernt, das Podium zu teilen.

Von JP Géné, Paris

Es ist jetzt knapp zehn Jahre her, dass die New York Times die französische Küche dem Untergang weihte. Im Magazin der Zeitung zog der eigentlich auf Kunst spezialisierte Journalist Arthur Lubow, der gerade von Barcelona nach Paris zurückgekehrt war, einen Vergleich zwischen beiden Städten. Barcelona bedeutete für ihn: Energie, Kreativität und Bewegung; Paris dagegen Routine, Lähmung und Last der Vergangenheit. Für Barcelona stand der aufregende wie charismatische Filmemacher Pedro Almodovar, für Paris der schreibende Misanthrop Michel Houellebecq.

Lubows Vergleich damals war streng, und so hagelte es auch heftige Kritik gegen die französische Küche, die - zumindest nach Meinung des Autors - ihre globale Vormachtstellung an Spanien verloren habe. Dessen neuer kulinarischer Ruhm gründete sich vor allem auf Ferran Adrià, den genialen Chef des Restaurants "elBulli" in Katalonien.

"Spain rising, France resting", kündigte Lubow in seinem Vergleich an, und zitierte als Beleg gleich zwei renommierte französische Köche: Marc Veyrat, der die Meinung vertrat, dass die kreativsten Chefs in Europa nicht mehr französischen, sondern spanischen Ursprungs sind, und Joël Robuchon für den "der beste Chef auf Erden Ferran Adrià war". Robuchons Einschränkung - "der Beste in Sachen Technik" - hörte da schon keiner mehr.

Der Artikel brachte großen Aufruhr. Auch, weil Rafael Anson - der PR-Stratege der iberischen Gastronomie und Coach von Lubow während dessen Spanienaufenthalts - dafür sorgte, dass ihn die gesamte angelsächsische Presse aufgriff. In Frankreich wurde der Artikel zunächst gar nicht beachtet, eine übliche Haltung der "Froggies" (Froschfresser), wenn die "Rosbifs" (Fleischfresser) über Kulinarisches schreiben. Und die Rangliste der weltbesten Restaurants, die ein Jahr zuvor erstmals vom englischen Restaurant Magazine herausgebracht worden war, schien die Ressentiments nur zu bestätigen.

Seit zehn Jahren nicht mehr an der Spitze

Der erste Sieger war kein anderer als Ferran Adrià. Ihm folgte 2003 und 2004 der Amerikaner Thomas Keller, Chef von "The French Laundry" in Kalifornien und 2005 der Brite Heston Blumenthal vom "Fat Duck" bei London. Seit 2010 ist die Trophäe nun fest in der Hand des Dänen René Rédzepi vom "Noma" in Kopenhagen.

Kurzum: In den vergangenen zehn Jahren wurde kein französisches Restaurant zum weltbesten ernannt und bei der letzten Preisvergabe im April 2012 befand sich der bestplatzierte Franzose mit Joël Robuchon aus Paris auf Rang zwölf. Was in Frankreich nichts anderes bedeutet, als die Liste der 50 weltbesten Restaurants gar nicht erst anzuerkennen. Der Starkoch Pierre Gagnaire zum Beispiel protestierte, indem er die Vielfältigkeit der französischen Küche betonte; und Jean Bardet bemängelte "diese geschmacklose Beleidigung" in der französischen Tageszeitung Le Monde.

Aber der raue Ton war nun einmal vorgegeben, vor allem in der angelsächsischen Presse. Der Irakkrieg begann ohne die Franzosen. Die "French fries" wurden in der Kongresscafeteria in Washington somit wieder zu den "Freedom fries" umgetauft. Und einige riefen sogar zum Boykott von Bordeaux-Weinen auf. Das Klima war also günstig für ein "French bashing" und die Gastronomie war ein Thema zur Debatte, zumal die Vorwürfe nicht alle unbegründet waren.

Ferran Adrià, eine internationale Ikone

Den Anfang macht die prächtige Selbstgefälligkeit der französischen Köche gegenüber jedweder fremden Küche. Kulinarische Traditionen anderer Länder, so die weit verbreitete Meinung in Paris, könnten, wenn überhaupt, nur zur Inspiration anregen, aber nie besser sein als die eigene. Ferran Adriàs plötzliche Erscheinung mischte die Karten da neu.

Ferran Adria, chef and co-owner of El Bulli restaurant, gestures during a photo opportunity with his team in Cala Montjoi, near Roses

Lehrte die Pariser Star-Gastronomen einst das Fürchten: Ferran Adrià.

(Foto: Reuters)

Im "elBulli" befand der Gast sich in einem anderen Universum, kostete neue Tapas-Kreationen, die jedes Mal von köstlichen wie fremden Aggregatzuständen, Zusammensetzungen und Geschmäckern zeugten. Man sprach nun von der "molekularen Küche", Adrià wurde eine internationale Ikone.

30 Jahre später hatte der Katalane es dem Franzosen Paul Bocuse nachgemacht und dem Beruf des Kochs seine Jugendlichkeit zurückgegeben. Adrià befreite seine Köche aus der Küche, damit sie Erfahrungen in den Medien und der internationalen Szene sammeln. Dasselbe Phänomen ist heute in den nordischen Ländern mit René Rédzepi zu beobachten. Und wie gehen die Franzosen damit um? Die französische Gastronomie sollte lernen, den Platz auf dem Podium auch mal anderen zu überlassen. Selbst wenn es um die direkten Nachbarländer geht.

Trend geht zur einfachen Küche

Denn nur weil plötzlich neue Küchen und Haute-Cuisine-Zentren entstehen, bedeutet das noch lange nicht, dass sich die französische Küche auf dem absteigenden Ast befindet. Ohnehin stellte man irgendwann fest, dass das "elBulli" defizitär war, seine Türen schloss und in eine Art gastrowissenschaftliche Stiftung verwandelt wurde. Adrià ist dann doch eher Erfinder als Wirt. Und die molekulare Küche, als "techno-emotional" und "revolutionär" gepriesen, zählt heute kaum noch eine Handvoll überzeugter Anhänger der Haute Cuisine.

Nun geht der Trend zurück zu einer einfacheren, lesbaren Küche, wo man sieht, was man isst. Ohne Schnickschnack wie Gels und Schäume. Eine produktorientierte, regionale Küche ist gefragt, in der Begriffe wie "Nachhaltigkeit" den Platz von Modeworten wie "Spherifikation" eingenommen haben. Gewertet wird nicht mehr nur Kreativität. In Zeiten der Krise inspiriert die Leberpastete eben mehr als eine gelierte Olivenöl-Spirale.

In diesem Sektor stellt sich Frankreich gar nicht so schlecht an. Als Beweis dienen all die Bistros, die seit Jahrzehnten in Paris und der Provinz entstanden sind. Sie gehören zu einer Bewegung, die nun unter dem Namen "Bistronomie" bekannt ist. Das heißt: Bistro-Atmosphäre und Restaurant-Küche. Es ist eine wichtige Entwicklung hin zu einer geselligen und weniger medienpräsenten Gastronomie. Sie legt mehr Wert auf Geschmack, kulturelle Mischung und weniger auf Konkurrenz oder große Bühne. Und so ist es ohnehin viel besser.

JP Géné ist Gastrokritiker und Kolumnist bei der Pariser Zeitung Le Monde. Übersetzung: Lenka Jaloviecova.

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