Fotografie:Tischmanieren

Konrad R. Müller hat die Schreibtische von Politikern und Künstlern fotografiert - eine Hommage an ein besonderes Möbel.

Von Gerhard Matzig

Der Karikaturist Klaus Staeck wurde mit dem Bild einer von Albrecht Dürer gezeichneten, knitterhaft gealterten Frau bekannt. Unter das Porträt hatte er provokant geschrieben: "Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?" Nun könnte man sich unter dem großartigen Foto, dass Konrad R. Müller von Staeck gemacht hat (unten, Mitte), sehr gut diese Frage vorstellen: Würden Sie diesem Mann ein Büro anvertrauen? Aber unbedingt.

Staeck sitzt also an seinem Schreibtisch. Konzentriert. Entschlossen. Das heißt, er sitzt mutmaßlich an einem Schreibtisch oder an etwas Schreibtischähnlichem, denn der Tisch selbst ist kaum zu sehen - da beladen, überwuchert, ja angeschüttet mit allerlei Büchern, Zetteln und Kann-man-noch-gut-brauchen-Dingen. Zu sehen ist die Bürolandschaft eines, tja, Chaoten? Kreativen? Auf jeden Fall trotzt er der Bürokratie. Da ist das Meer aus Schriften und Stiften - und da ist Moses, der es teilt. Man muss Staecks Plakatkunst nicht mögen (kann man aber); seinen Schreibtisch muss man jedoch unbedingt verehren. Vor allem dann, wenn man Vulkane mag.

Putins Schreibtisch zeigt: Da will einer die Welt sortieren und ordentlich aufräumen

Als "Desk Volcano" (Schreibtischvulkan) bezeichnet der britische Psychologe Mark Lansdale, der Schutzheilige aller Büro-Messies, einen typischen Chaos-Tisch: Die Mitte ist kraterartig freigeräumt, während drumherum Wände aus Kram, Krümelkeksen und Kladden steil aufragen. Lansdale kam in einer Studie Anfang der Neunzigerjahre zu dem Ergebnis, dass (nur scheinbar!) unordentliche und (nur angeblich!) verslumte Schreibtische letztlich besser funktionieren als die klinisch reinen Steppen der Klarsichtfolienfraktion. Die Wühl- und Wiederfindungsprozesse der Unaufgeräumten, auf der Suche nach dem verschwundenen Dokument, sorgen, so Lansdale, für ein Plus an Kreativität.

Wenn man sich nun in dem soeben erschienenen, prachtvoll gestalteten Fotoband von Konrad Rufus Müller ("Über Schreibtische", Seltmann + Söhne, Berlin 2015, 184 Seiten, 59 Euro) den Schreibtisch von Wladimir Putin genau betrachtet - ist dann nicht alles klar? Da will einer die Welt sortieren und mal ordentlich aufräumen. Diese Fahnen! Diese Mischung aus Plüsch, Pomp und Habacht! Es könnte sein, dass der große Russe seinen Schreibtischstuhl wie einst Charlie Chaplin im Film "Der große Diktator" nach oben schraubt.

Und Uli Hoeneß, einst Bayern-München-Chef, jetzt Reha-Insasse der Justiz: steht unterm kalten Bürolicht, das zwar kein Stadion, vielleicht aber das Steuergebahren erhellt. Oder Gerhard Richter: Der Künstler sieht so nachdenklich fremd aus an seinem Platz, als würde er sich fragen, wo denn nur die Staffelei ist. Juliane Weber schließlich, vormals die Tür zu Helmut Kohl: Ihr Schreibtisch ist ein kleines Elefantenhaus, eine Menagerie der Dickhäuter.

Müller hatte sie alle vor der Kamera: Gerhard Schröder, Helmut Schmidt, Willy Brandt, aber auch Julien Green, Hermann Hesse, Berthold Beitz, den Dalai Lama . . . Sein Buch, zugleich exquisite Porträtserie wie auch Arbeitsplatz-Report, ist eine Reise zum Mittelpunkt der Arbeitswelt 1.0. Gore Vidals Schreibtisch geht in ein Sofa über, während Otto Schily einen mäandernden Tisch besitzt, der nicht zu wissen scheint, wo vorne und hinten ist. Am schönsten aber arbeitet Friedrich Dürrenmatt. Tischlos sitzt er am Fenster und guckt in die Ferne.

Dorthin, wo die papierlose Arbeitswelt 2.0 auf uns wartet; wo der Schreibtisch als individualisierte Heimat entsorgt und durch den "hyperflexiblen, multilokalen Workspace" ersetzt wird, den man stundenweise mit dem Smartphone bucht. Vulkane, und das ist grausam für Vulkanier, wird es nicht mehr geben. Vielleicht wird man uns in Reservaten halten.

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