Foodtrucks:Falafel mit scharf aus dem alten Linienbus

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Philipp Kälberer und Alireza Shirvani an ihrem ersten Tag des neu gegründeten Foodtrucks auf dem Foodtruck Festival in Fürstenfeld Bruck (Foto: Natalie Neomi Isser)

Ein Asylbewerber und ein badischer Polizist verkaufen Essen aus einem Bus, ohne Kocherfahrung. Die Branche hat nicht gerade auf den nächsten Foodtruck gewartet - die zwei sind trotzdem unaufhaltbar.

Von Julia Rothhaas

Träume können ziemlich eigen sein. Und entgegen allen gängigen Klischees erfüllen sie sich oft dann, wenn niemand damit rechnet. So wie bei Alireza Shirvani, der sich eigentlich am Ende wähnte, als er seine Heimat Iran wegen seines christlichen Glaubens verlassen musste. Traum Nummer eins erfüllte sich nach seinem ersten Jahr in Deutschland ausgerechnet im Asylbewerberheim, wo er seine Frau kennenlernte. Traum Nummer zwei heißt Jana und ist 21 Monate alt, seine Tochter. Nun steht Shirvani vor Traum Nummer drei. Ende Februar wurde er wieder Vater, so erzählt das zumindest seine Frau. 11,5 Tonnen schwer und zwölf Meter lang ist das "zweite Kind", eine schwere Geburt. Es geht um einen ausrangierten Linienbus, in dem Shirvani vier Monate lang "jede Minute" verbracht hat, um ihn zum Foodtruck umzubauen.

Die Sache mit dem Traum mag mancher pathetisch finden, doch wie erzählt man eine Geschichte, die sich gegen jede Regel entwickelt? Eine solche Geschichte ist die des iranischen Flüchtlings Alireza Shirvani und des badischen Polizisten Philipp Kälberer, die Freunde wurden, um gemeinsam ein fahrendes Restaurant zu eröffnen.

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Denn auch Philipp Kälberer hatte schon lange einen Traum, er wollte sein eigener Chef sein. Der 26-Jährige aus Sinsheim bei Heidelberg plante, sich selbständig zu machen. Den Pachtvertrag für ein Café hatte er bereits zu Hause liegen. Eine Arbeit in der Gastronomie würde ihn glücklich machen, dachte er. Das war er in seinem Job als Polizeibeamter nicht mehr, die Einsätze nahmen ihn zunehmend mit. Vor allem die Abschiebungen von Asylsuchenden, für die er immer wieder zuständig war. Ein Freund aus der Kirchengemeinde, die Kälberer und Shirvani besuchten, fragte, warum sie ihre Pläne nicht gemeinsam verfolgen. So schlossen sich beide zusammen.

Für den 40-jährigen Shirvani war von Anfang an klar, dass es etwas in Richtung Foodtruck sein musste. "Essen macht Freude und Freunde", sagt er. Und ein Wagen, aus dem Essen verkauft wird, sei eine gute Möglichkeit, verschiedene Kulturen an verschiedenen Orten miteinander in Kontakt zu bringen. Wer würde ihm da widersprechen? Philipp Kälberer war von der Idee sofort begeistert, und "etwas zu zweit zu machen, finde ich sowieso besser als sich alleine durchkämpfen zu müssen". Die Sache mit dem Café hatte sich erledigt. Nur sein Pflichtbewusstsein stand Kälberer im Weg. "Ich hatte meiner Familie gegenüber ein schlechtes Gewissen", sagt er. Schließlich waren bereits Vater und Großvater Polizisten. Doch der Job würde ihn auf Dauer nicht glücklich machen. Er kündigte.

"Auf Augenhöhe" mit den Gästen

Nun ist es nicht übertrieben zu sagen, dass die Branche nicht gerade auf den nächsten Foodtruck gewartet hat. Die Idee, die vor ein paar Jahren in Kalifornien ihren ersten Hype erlebte, ist charmant. Doch der Geschäftszweig inzwischen etwas strapaziert. Bei der Suche nach einem geeigneten Wagen wurde Shirvani und Kälberer bald klar, dass sie sich von anderen Foodtrucks abheben wollen und müssen. Doch wie?

Im Internet stießen sie auf das Angebot für einen Linienbus, der zuvor 16 Jahre lang durch Speyer und Offenburg gefahren war. Sie fanden, dass ihnen so ein Bus die Möglichkeit böte, ihre Gäste bei jedem Wetter auch drinnen zu bewirten. Außerdem konnte man hier im Gegensatz zu den meisten Trucks hineingucken und somit sehen, wie das Essen zubereitet wird. Mit Gästen sollte man grundsätzlich "auf Augenhöhe sein", findet Shirvani. Niemand soll sich nach oben recken müssen, um ein Essen entgegenzunehmen.

Vier Monate hatten sie für den Umbau vom Linienbus zum Foodtruck eingeplant, knapp bemessen. Im vorderen Teil wurden die Sitzbänke herausgerissen und durch eine Profi-Edelstahlküche ersetzt, im hinteren Teil können es sich nun Gäste an sechs Tischen mit beigen Ledersitzen bequem machen. Geld hatten sie dafür wenig. Um alles zu finanzieren, gründeten die beiden eine GmbH und nahmen einen Kredit auf. Kälberer lebt derzeit von Erspartem und Shirvani ist bei einem Verein fest angestellt, für den er handwerkliche Aufgaben übernimmt. Sie tragen sich noch nicht selbst, unvorhergesehene Kosten gab es aber schon nach der Jungfernfahrt. Da mussten sie die Flanke des Busses verarzten, weil der angeheuerte Fahrer in der ersten Kurve hängen blieb. Kälberer machte kurzerhand den Lkw-Führerschein.

Allein daran gemessen, grenzt es schon an ein Wunder, dass sie es Ende Juni bis zur Premiere nach Fürstenfeldbruck geschafft haben. Auf dem Foodtruck Festival hier stehen 42 Trucks, sie alle tragen branchenübliche, vermeintlich aufregende Namen wie "Isardogs", "Koch Rockers" oder "Grillin Me Softly"; doch wohl kein Name hier ist so sprechend wie "Delish Dream" - köstlicher Traum, den ein ehemaliger Linienbus aus Sinsheim trägt.

Ihn zu verwirklichen, davon hielt Kälberer und Shirvani offenbar gar nichts ab. Auch nicht, dass sie keine nennenswerte Kocherfahrung hatten. Zur Verstärkung haben sie ihre Frauen, zwei Freunde und Kälberers Schwester mitgenommen. Auf zehn Quadratmetern Küchenfläche stehen sie nun zu siebt in türkisfarbenen Polo-Shirts und schieben sich zwischen Fritteuse, Grill und Salattheke aneinander vorbei, um Essen zuzubereiten.

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Noch ist das Menü überschaubar, zur Auswahl stehen zwei Sandwiches: einer mit Falafel, einer mit Hackfleisch. Zu dem Belag (Salat, Tomate, Zwiebeln, Rotkraut, Gurke) gibt es drei Soßen: scharf, Mango, iranisch, eine Tunke auf Milchbasis mit Essiggurken. Und zwischen all den üblichen Burgern, Wraps und Hot Dogs hier schlagen sich die Sandwiches gut. Die Rezepte für Falafel und Hack sind von der Oma aus Iran, alle Zutaten sind aus der Region und jedes Produkt ist selbstgemacht, inklusive der Soßen. Bald soll es neben Klassikern wie Ofenkartoffeln und Würstchen eine iranische Suppe geben, Gerichte mit Reis und orientalische Nachspeisen. Persisches Essen ist in der Zubereitung meist aufwendig, trotzdem soll Shirvanis Herkunft immer auf der Speisekarte zu sehen sein.

Privatfeiern und Firmenfeste, vielleicht bald auch Straßenverkauf?

Auch auf dem Festival kämpfen sie gegen Widrigkeiten. In der Küche herrscht trotz surrender Ventilatoren eine Affenhitze. Ein Fernsehteam, das eine Dokumentation über ihre Geschichte dreht, wuselt ununterbrochen um den Bus und kommt den Gästen ins Gehege. Und die Monitore, auf denen die Gerichte angekündigt werden sollen, funktionieren nicht. Alles egal, die Männer strahlen über beide Ohren.

Wer die Freunde beobachtet, glaubt kaum, dass sie sich erst einige Monate kennen. Ihre Nähe ist respektvoll. Etwa, wenn sie im Gespräch genau darauf achten, den anderen ausreden zu lassen. Oder wenn sie erzählen, wie ihr Glaube sie verbindet. So wie die Überzeugung, dass ihr mobiles Restaurant auch ein wenig allgemeinnützig sein sollte. Gerade planen sie ein System, bei dem Gäste durch freiwilliges Mehrzahlen Bedürftigen ein Essen ausgeben.

Im Moment setzen Kälberer und Shirvani auf Privatfeiern und Firmenfeste, für die man sie buchen kann. Denn offizielle Genehmigungen für den Straßenverkauf zu bekommen ist schwer. Das hält die beiden aber nicht vom Planen ab, sie hätten gern zwei, drei feste Stellplätze rund um Heidelberg, damit man sie auch findet. Außerdem hoffen sie, bald einen zweiten Bus einkaufen und Leute einstellen zu können.

Als man Kälberer und Shirvani am nächsten Tag vor ihrem Foodbus trifft und sie enthusiastisch von diesen Plänen erzählen, da wirkt es fast, als hätten sie das größte Hindernis ihrer kulinarischen Partnerschaft vergessen. Alireza Shirvani hat gerade seinen Abschiebebescheid bekommen. Doch nach allem, was sie geschafft haben, wollen sie an einen Ausweg glauben, sagen die Männer. Sie hoffen, dass Shirvani mit seiner Familie in Deutschland bleiben darf. Und ohne Hoffnung wäre ihr Projekt schließlich niemals vorstellbar gewesen.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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