Festival-Saison:Luxussanieren, bis der Zahnarzt kommt!

Rock im Park 2015 - Ankunft Besucher

Besucher bei Rock im Park in Nürnberg.

(Foto: dpa)

Vermüllte Campingplätze, verschlammte Zelte, stinkende Klos - die Festival-Saison hat begonnen. Hunderttausende lassen sich gehen. Aber leider sieht man auch immer mehr Weicheier, die sich der Verwahrlosung entziehen.

Von Martin Wittmann

Neulich sprach ich eine einschlägig tätowierte Bekannte ohne komplizierte Vorrede und ohne umständliche Themensuche direkt auf ihren Musikgeschmack an. Wenn es um Smalltalk geht, sind Tätowierte unschlagbar, jedenfalls viel einfacher zu handhaben als Menschen, die aus ihren Interessen ein großes Geheimnis machen. Wir unterhielten uns über Festivals.

Mich würde der Auftritt von Metallica auf dem Rockavaria-Festival reizen, sagte ich. Sie nicht, entgegnete die Bekannte, da seien zu viele Zahnärzte. Mich verblüffte ihre Antwort, keines ihrer Tattoos wies auf eine solche Antipathie hin, auch sah ihr Gebiss nach regelmäßiger medizinischer Kontrolle aus. Aber natürlich verstand ich, was sie meinte: Sie grämte die schleichende Vereinnahmung der zahnsteinharten Musikszene durch verwöhnte Event-Fritzen. Der Anteil dieser saturierten Weicheier war auf dem Münchner Festival tatsächlich recht hoch. Weil München. Und vor allem: weil hier nicht gecampt werden durfte.

Meine Bekannte wollte also nicht das Festivalerlebnis teilen mit Leuten, die nach der Show gleich brav nach Hause fahren. Für Hardcore-Fans ist so ein daheimschlafender Zahnarzt ein Wellnesser, ja ein Bettnässer, mit der Betonung auf Bett.

Teure Wohlfühlpakete

Aber auch außerhalb Münchens ist mittlerweile eine Gesetztheit zu erkennen, welche die eigentliche Festivalkultur nur noch verhöhnt. Ursprünglich war dies eine laute, versiffte, wilde Kultur, die den Zwängen und Annehmlichkeiten des spießigen Alltags den an der Ravioli-Dose aufgeschnittenen Mittelfinger zeigte. Unter seinesgleichen sein, schlammfromm im Zelt den Rausch ausschlafen; Dreck fressen statt Zähne putzen, nimm das, Doktor Best!

Heute aber sind Festivals so fest in der breiten deutschen Sommermärchenmasse etabliert wie sonst nur, sagen wir, Tattoos. Weil nun auch ältere und/oder feinere Herrschaften wochenends mitmachen wollen, aber leider aus Zucker sind, bieten die Veranstalter teure Wohlfühlpakete an.

Unter der Überschrift "Wohnen" wirbt ein Festival im Internet: "Das Hurricane Resort ist der Luxus, auf den ihr schon lange gewartet habt! Mit nahegelegenen Parkplätzen, befestigten Hauptwegen, mehr Platz für alle und eigenen Sanitäranlagen." Man kann sich außerdem von Festivalmitarbeitern ein Zelt aufbauen lassen oder das Hotel-Paket samt Shuttle-Service buchen.

Das Melt!-Festival bietet an: "Übernachtet in einem der sensationellen Podpads. Das sind gemütliche Hütten mit Fenstern, festem Fußboden mit Teppich, erhöhten Betten mit Luftmatratzen." Und selbst beim berüchtigten Wacken Open Air konnten Zelte gemietet werden, von "Metalheads, die während des Festivals nicht auf etwas Komfort, eine absolut saubere Toilette, eine absolut saubere Dusche, richtige Betten mit Lattenrost" verzichten wollten. Luxussanieren, bis der Zahnarzt kommt.

Seit 19 Jahren gehe ich auf Festivals, das nächste steht kommende Woche an. Keine Frage: Auch diesmal werde ich wieder auf den überschwemmten, vermüllten, ekelhaft stinkenden Zeltplatz gehen. Tagsüber.

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