Fashion Week Mailand:Perfektes Spektakel

Fashion Week Mailand: Bottega Veneta setzt auf edle Kleider mit kantigen Schultern. Die Models von Dolce & Gabbana tragen Baby. Fendi interpretiert die Daunenjacke neu.

Bottega Veneta setzt auf edle Kleider mit kantigen Schultern. Die Models von Dolce & Gabbana tragen Baby. Fendi interpretiert die Daunenjacke neu.

(Foto: PR/Getty)

Models mit Babys auf dem Arm, Anzüge in Neopren-Optik, überdimensionale Pelzkreationen: Manchmal muss Mode auch ein bisschen verstören, um voranzukommen.

Von Dennis Braatz

Was ist, wenn mit Instagram jeder Look einer Modenschau sofort in die Welt geschossen wird? Wenn beliebiges Liken und Teilen fundierte Kritiken ersetzt? Wenn Designer ihre Schauen zu Spektakeln umwandeln müssen, um überhaupt noch auffallen zu können, anstatt sich auf ihr Handwerk und die Innovation zu konzentrieren?

Ohne Baby-Bonus wären sie nie in die Schlagzeilen gekommen

"Dann ist das gängige Modesystem tot." Die berühmte Trendforscherin Li Edelkoort ließ mit diesem Satz am vorletzten Abend der Mailänder Modewoche die Gesichter der Front-Row-Gäste leichenblass werden. Gerade saßen alle doch noch so gemütlich bei Dolce & Gabbana. Gut, der vor der Show eingeblendete Hashtag #DGMamma war schon eine überdeutliche Aufforderung zum Liken und Teilen. Ansonsten aber ging doch wenigstens mal wieder ein Ruck durch die Ränge. Models trugen ihre lächelnden Babys im Arm den strengen Chefredakteurinnen entgegen. Sogar die Fotografen am Ende des Laufstegs jubelten. Ach ja, die Mode: Spitzenkleider und -mäntel, manchmal mit Rosen-Drucken, mit -Applikationen und immer wieder "I love you mamma" in Glitzerschrift. Kinderzeichnungen als Drucke. Schön und doch nichts, was ohne Baby-Bonus in den Schlagzeilen gelandet wäre.

Dafür aber das perfekte Spektakel, um Edelkoorts Thesen zu illustrieren. Die 65-Jährige hat ein Manifest aus zehn Punkten verfasst. Es erklärt, wie aus Mode, also dem selbstdarstellenden und zeitgeistigen Ausdruck von Leben- und Denkweise, bloße Kleidung werden konnte. Auf den Mailänder Schauen lassen sich dieses Mal etliche Belege für ihre pessimistischen Ansichten finden. Vielen Kreativen hier ist seit Längerem der Antrieb verloren gegangen. Während sich früher zumindest immer noch ein großer Trend zeigte, gibt es bei den italienischen Kollektionen zur Herbst-/Wintersaison 2015/16 gar keinen mehr. Stattdessen kocht jeder Designer sein eigenes dünnes Süppchen. Zum Glück sind einige Kollektionen aber so wegweisend, dass sie den auch von Edelkoort erhofften Ausweg aus der Krise liefern könnten.

Neue impulse von Prada, Fendi und Co.

Neue Impulse, Nummer eins: Miuccia Prada. Sie stellte diese Saison explizit die Frage nach dem, was "echt und unecht" ist, was wir mögen oder was nicht, was "schön oder hässlich" ist. Ihre Models lässt sie durch apricotfarbene oder lindgrüne Räume und eiskaltes Licht laufen, mit zuckersüßen Babydolltops und Anzügen aus einem Stoff, der aussieht wie dicker Neopren. Erst beim Anfassen entpuppt er sich als doppelter Jersey. Es gibt echten Tweed und sein Muster immer wieder als abgewandelten Druck. Riesige Broschen aus Plastik, die mit Strasssteinen besetzt auf festem Wollstoff garantiert ziemlich populär werden. Die Damen im Publikum würden nicht alles anziehen. Manchmal muss Mode auch ein bisschen verstören, um weiter voranzukommen.

Dann wäre da Fendi. Es ist die 100. Saison, die das Haus und Karl Lagerfeld als Chefdesigner gemeinsam bestreiten. Insgesamt also 50 Jahre. Rekord. Bislang hielt es niemand so lange miteinander aus. Und trotzdem kam wieder etwas heraus, das viel mehr auf der Höhe war als die Arbeiten hochgelobter Jungstars. Geometrische Formen, die aus Leder schützend an Röcken, Oberteilen und Kleidern sitzen und damit endlich eine neue Silhouette vorgeben. Dazu riesige Daunenjacken und -kleider. Die typischen Pelze gehen fast unter, bis am Ende ein federleichtes XXL-Modell aus Fuchs präsentiert wird. Es liefert den Vorgeschmack auf Fendis erste Couture-Kollektion, die im Juli anlässlich des Jubiläums in Paris gezeigt wird.

Der dritte Lösungsvorschlag stammt von Tomas Maier, weil seine Kollektion für Bottega Veneta ganz einfach offen damit umgeht, kein Modediktat vorgeben zu wollen. Auch nichts Konstruiertes oder Lebensfernes. Stattdessen steht die Individualität jeder Frau im Vordergrund. Alles ist möglich. Die Show beginnt mit einem Look aus lurexgepunktetem Hemd und passender Hose. Es folgen kantige und abgerundete Schulterpartien. Es gibt kurze Lagenkleidchen und strenge Hosenanzüge. Bis die Show mit einem maskulinen Doppelreiher wieder geschlossen wird. Wären die Models raus auf die Straße gelaufen, sie wären einfach nur fantastisch gut angezogen gewesen. Aber brauchen wir nicht doch klare Vorgaben, was in und out ist?

Was ist noch tragbar?

Fashion Week Mailand: Versace bringt das Logo zurück. Jil Sander zeigt Mantel-Kleider. Und bei Prada sieht Jersey wie Neopren aus (v.l.).

Versace bringt das Logo zurück. Jil Sander zeigt Mantel-Kleider. Und bei Prada sieht Jersey wie Neopren aus (v.l.).

(Foto: PR/Getty)

Vor allem die Vertreterinnen der Frauenmagazine haben in den vergangenen Tagen immer wieder anklingen lassen, dass ihre Leserin ganz klar wissen will, was sie in der nächsten Saison anziehen soll - und was eben nicht. Ein paar Dinge gibt es da ja zum Glück noch.

Das Mantelkleid zum Beispiel, übrigens auch ein Auswuchs der Suche nach neuer Identität. Es ist schließlich ein Hybrid aus beiden Kleidungsstücken, es kann einzeln ins Büro oder zu Events getragen werden. Genauso gut über Blusen oder Hosen und Röcken und wird am besten wie bei Jil Sander in der Taille gebunden.

Dort hat Rodolfo Paglialunga nun seine zweite Kollektion gezeigt. Es dauert zwar ein wenig, bis sie Fahrt aufnimmt. Dann aber bestätigt der Designer mit geometrischen Mustern (noch so ein Frauenmagazin-Ding), den schönsten Mänteln der Saison und der Kombi viel Dunkelblau zu wenig Knallorange, dass er genau der richtige für diesen Job ist. Auch wenn Tim Blanks, Chefkritiker von Style.com, das vielleicht immer noch ziemlich "Oh, God!" im negativen Sinne findet. Kollektionen und Schauen von Jil Sander kommen ohne Effekthascherei aus. Sie sind simpel, ehrlich und konzentrieren sich aufs Wesentliche.

Nicht jeder, der Kleidung macht, sollte sich Modedesigner nennen

Ganz anders läuft das bei Versace ab. Tagelang wird über den möglichen Stargast Madonna spekuliert. Als sich alle durch den Mini-Eingang zur Show drücken und eine schwarze Limousine vorfährt, herrscht Gekreische, Getrampel und Gerangel. Wer aussteigt, ist dann aber doch nur die schwangere Michelle Hunziker, gemeinsam mit Tochter Aurora. Die Show hätte es nicht gebraucht.

Nirgendwo saßen die schwarzen Blazer so akkurat wie bei Donatella Versace. Nirgendwo gaben die Cut-Outs so viel und doch so wenig frei wie bei ihr. Auch diese Show hat mit Hashtags zu tun, aber weniger mit der Aufforderung, welche zu setzen. Donatella Versace bewegt sich nicht selbstverständlich im digitalen Raum. Vielleicht aber nimmt sie die digitalen Entwicklungen gerade deswegen so fasziniert wahr. Sie will, dass wir den Hashtag anziehen. Sie hat ihn und das @-Zeichen auf funkelnde Kleider sticken lassen, zwischen die Buchstaben ihres eigenen Namens. Dazu gibt es plakative Logo-Sweater, die schon immer Zeichen für das Demonstrative und unsere Lust an der Selbstdarstellung waren. Mode also, die nicht nur Spaß macht, sondern auch einiges erzählt.

Am Ende kommt man nicht umhin, noch mal über Kleidung zu reden. Die Moschino-Kollektion von Jeremy Scott gibt es erneut am Tag nach der Show online zu kaufen. Bedenkt man, dass die Sachen seiner Kollegen erst in sechs bis acht Monaten den Weg in die Läden finden und sich bis dahin wahrscheinlich alle durchs Liken und Teilen wieder an ihnen sattgesehen haben, ist das natürlich ein ökonomischer Geniestreich. Dafür aber sind Scotts Entwürfe all das, was es schon mal gegeben hat. Sie sind antriebslos: Sweatshirts und kurze Röcke mit Bärchen-Prints. T-Shirts mit Softdrink-Drucken, Moschino-Gürtel und -taschen, alles total 80er.

Vielleicht sollte sich einfach nicht mehr jeder, der nur Kleidung macht, auch Modedesigner nennen dürfen. Mailands Mode hätte dadurch zumindest ein Problem weniger.

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