Fashion Week goes Kitkat-Club:Das letzte Stündlein

Club

Nicht das "Kitkat", sondern ein ganz normaler Club in Berlin. Denn: Dort, wo es sexuell besonders freizügig wird, will man lieber unter sich bleiben.

(Foto: der_kai / photocase.com)

Der letzte Akt der Fashion Week ist der härteste. Nicht nur wegen Schlafmangels und weil ein Dessous-Label eine Kollektion zeigt, die schon ausverkauft ist. Sondern auch, weil es anschließend in den legendären Kitkat-Club geht, der für seine sexuelle Freizügigkeit bekannt ist, aber gerne exklusiv bleiben möchte.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Meine Begleitung hat an diesem Abend Angst: "Komm bitte schnell!", wird um 20.55 Uhr ein Notruf per SMS abgesetzt. Der Mann ist 40, also eigentlich schon erwachsen, fühlt sich aber durch Dildos, Handschellen, Peitschen und Nadelroller doch etwas bedrängt. Dabei will man ihm nur Gutes auf dieser letzten Show während der Fashion Week, Veilchen-Prosecco wird zur Entspannung gereicht in dem Luxus-Erotik-Laden "Schwarzer Reiter" an der Torstraße in Berlin. Und die Mitarbeiter sind bemüht, zu vermitteln, dass sich hier niemand unter Druck gesetzt fühlen soll, seine eigene Sexualität zu offenbaren oder sich sonst irgendwie vereinnahmen zu lassen.

Im Gegenteil: Der Laden, très schick in Schwarz, Weiß, Lila und Grau gehalten, soll zeigen, dass Erotik und ihre unterschiedlichen Spielarten inzwischen aus der Schmuddelecke wieder rausgeholt werden dürfen, wo sie lange genug versteckt waren.

Edel statt schmutzig

Und in der Tat: Hier ist vieles eher geschmeidig und gefällig als trashig oder bitchy, Auflage-Vibratoren sind als Quietsche-Entchen getarnt, schwarze Waxing-Kerzen haben einen extra niedrigen Brennwert, so dass ihr Wachs auf der Haut nicht wehtun, sondern nur wärmen soll. Und das Gefühl vermitteln, dass man zwar etwas Besonderes ausprobiert, dabei aber selbst entscheidet, wie weit man gehen will.

Edel statt schmutzig - funktioniert das in diesem Bereich? Glaubt man dem Designer Edin DeSosa, absolut. Der 29-jährige Berliner mit spanischen Wurzeln zeigt im "Schwarzen Reiter" seine neue Kollektion "Dark Night": Kleider und Röcke, Jacken, Hosen und Accessoires für Mann und Frau, alles in Schwarz und Nachtblau, vieles mit Leder und Fell, dazu echtes menschliches Haar an Taschen und Gürteln - ein Bolero (1000 Euro) besteht komplett aus blauem Haar. Die Kollektion ist trotz teils stolzer Preise an diesem Abend schon komplett ausverkauft. Was daran liegen dürfte, dass sie mit viel Spitze in Schnitt und Form an Lagerfeld-Mode erinnert und trotz aller verspielten Details alltagstauglich ist. Und in ihrer reduzierten Sexiness Wiedererkennungswert hat. Das mag der Berliner Clubgänger: Auffallen, ohne anzugeben.

Und obwohl DeSosa mit dem Erfolg seiner neuen Kollektion sehr zufrieden ist, weiß er auch, wie schwierig es ist, ein Erotik-Label auf dem normalen Mode-Markt zu etablieren. "Viele, auch innerhalb der Branche, haben einfach noch diese Bilder im Kopf, dass Sex und Erotik als etwas Schmutziges verkauft wird. Dabei kommt es ja eigentlich auf Gefühle zwischen zwei Menschen an, die etwas sehr Schönes sind und zu unvergesslichen Momenten werden können."

Schmutzig statt edel

Warum es nicht immer nur schöne Bilder sind, die man im Kopf hat, wenn man an die Erotikindustrie denkt, zeigt der weitere Verlauf des Abends. Der "Schwarze Reiter" lädt seine Gäste in den legendären "Kitkat"-Club, der für seine sexuelle Freizügigkeit bekannt ist. "What happens in Kitkat, stays in Kitkat", lautet das Motto. Was im Kitkat passiert, soll also dem eingeweihten Zirkel vorbehalten bleiben. Was auch nachvollziehbar ist, denn wer oder was sich mit wem oder was zu später Stunde hier vergnügt, geht ja auch niemanden etwas an.

So viel muss aber aus Informationsgründen erlaubt sein: Wo am Ende Senioren auf einem gynäkologischen Stuhl kopulieren, einzelne Männer als Nazigrößen verkleidet sind und einzelne Frauen so tollwütig tanzen wie die Hure Babylon höchstpersönlich, da haben Zartbesaitete wohl eher nichts zu suchen. Manches erinnert an Dantes siebten bis neunten Kreis der Hölle. Tabus werden teilweise absichtlich gebrochen - teilweise ist aber auch nicht ersichtlich, in welchem allgemeinen Zustand sich der jeweilige Gast befindet. Und bei aller Interaktion wirken viele Akteure erstaunlich teilnahmslos. Weil es hier doch eher um die Show geht als um Gefühle oder echte Abenteuer. Voyeurismus eben.

Die meisten sind trotzdem gut aufgelegt. In der freudigen Erwartung, dass an diesem Abend noch was läuft. Denn irgendjemand wird sich meistens finden. Es gibt aber auch Leute, die so wirken, als sei das Kitkat ihr Ersatz für normalen Sex. Den sie außerhalb dieses Clubs nicht haben können.

Meine Begleitung jedenfalls hat nach diesem Abend ihre Angst abgelegt. Offenbar hatte auch er Bilder im Kopf - von so bösen wie wunderschönen Frauen, die auf hohen Absätzen und mit langen Peitschen furchtbare Dinge mit ihm anstellen würden, die weh tun. Inklusive Streckbank und Menschenopfer. So viel sei verraten: Diese Vorstellung blieb unerfüllt. Das Publikum im Kitkat gleicht - allen Anstrengungen Einzelner zum Trotz - bis auf die letzten Stündlein, in denen es zur Sache geht, eher dem in einer Dorfdisco morgens um vier Uhr. Nur halt ein bisschen nackter.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: