Topmodel Eveline Hall:"Ich bin auf dem Hinweg"

Eveline Hall

Steigt aus und macht ihre eigene Show: Eveline Hall.

(Foto: Straulino)

Angst hat sie nur vor Krankheit und Langeweile: In einem Alter, in dem andere in Rente gehen, lief Eveline Hall zum ersten Mal bei der Berliner Fashion Week über den Catwalk von Michalsky. Heute, mit 68, ist sie ein international gefragtes Model. Ein Gespräch über Mut, Disziplin und Bauchgefühl.

Von Violetta Simon

Sie hat ein raues Lachen, das man beinahe schon als dreckig bezeichnen könnte. Und dann diese anmutige, grazile Gestalt mit dem langen, silbergrauen Haar. Auch ihr Lebensweg passt in keine Schublade: Eveline Hall war Solotänzerin an der Hamburger Staatsoper, ging als Show-Girl nach Las Vegas, heiratete einen Cherokee-Indianer, spielte in Frankreich und in der Schweiz Theater. Als ihr Bruder das Familienerbe verspielte und sich das Leben nahm, kehrte sie nach Hamburg zurück, wo sie noch heute mit ihrer 92-jährigen Mutter in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung lebt. Nun ist ihre Biografie erschienen.

Um sich selbst zu beschreiben, genügen der gebürtigen Berlinerin drei Worte: diszipliniert, ehrgeizig und professionell. Für das, was sie antreibt, ein einziges: Abenteuerlust.

In einem Alter, in dem andere bereits in Rente sind, lief Hall zum ersten Mal bei der Berliner Fashion Week über den Catwalk von Michael Michalsky. Heute, mit 68, ist sie ein international gefragtes Model und arbeitet mit Starfotografen wie Peter Lindbergh und Ellen Unwerth zusammen. Dass man die groß gewachsene Frau auf ihr Aussehen reduzieren könnte, darüber macht sie sich keine Sorgen: "Ach, das merken Sie schnell, dass ich was im Kopf habe", sagt sie.

sueddeutsche.de: 'Ich steig' aus und mach 'ne eigene Show' lautet der Titel Ihrer Biografie - haben Sie denn das Gefühl, dass Sie bisher mitgelaufen sind?

Eveline Hall: Keineswegs. Es ist der Titel eines Musicals (I'm Getting My Act Together and Taking It on the Road), in dem die Hauptfigur tut, was ich immer getan habe: Etwas Unkonventionelles, woanders einsteigen, was Neues suchen - ohne Rücksicht auf Verluste. Es geht um eine Sängerin, die beschließt, nicht mehr die Erwartungen des Publikums zu erfüllen, sondern ihr eigenes Ding zu machen. Sie singt andere Lieder als geplant und beginnt ihr neues Bühnenprogramm mit dem Satz: "Ich bin jetzt 40 Jahre alt...".

Manche Menschen haben schon sehr viel früher das Gefühl, nicht mehr "auf dem Hinweg" zu sein, sondern bestenfalls zu stagnieren. Wie ist das bei Ihnen?

Das fühlt sich ganz anders an. Ich kann mir nicht erlauben, erst mal einen Blick in meinen Pass zu werfen. Das hieße, ich kann das alles gar nicht mehr machen: Ich kann nicht auf den Laufsteg gehen, kein Rockstar werden oder Filme machen. Genau das habe ich aber noch alles vor.

Was verbinden Sie mit dem Begriff Alter?

Nur Reife. Ich bin auf dem Hinweg. Sich mit dem Alter zu befassen und sich selbst auszugrenzen, funktioniert nicht. Dann müsste ich sagen: Auf Wiedersehen, es gibt ja auch noch Gartenarbeit.

Können Sie was anfangen mit dem Begriff "Silver Surfer"?

Nein. Ich genieße nämlich nicht im Liegestuhl oder auf dem Surfbrett meinen Ruhestand, ich schufte.

Kein Urlaub?

In jüngster Zeit nicht. Als ich in die Mode reinkam, ergaben sich verschiedene Optionen, die ich wahrnehmen wollte. Da kannst du nicht Nein sagen und wegfahren - jetzt, wo es gerade angefangen hat.

Sie leben mit ihrer Mutter zusammen, die sie Püppi nennt. Verstärkt diese Situation Ihre Tochter-Rolle und damit das Gefühl, jung genug für neue Wege zu sein?

Sicher ist die Tochter-Rolle präsenter, weil sie mir das vor Augen hält, indem sie sich um mich kümmert. Sie macht mir klar: So alt kann ich gar nicht sein, dass ich nicht immer noch ihre Tochter bin. Was aber primär bei uns eine Rolle spielt, ist unsere Freundschaft: Meine Mutter ist meine beste Freundin. Und wenn ich sie irgendwann einmal verliere, verliere ich nicht nur meine Mutter. Ich verliere meine Freundin.

Können Sie sich vorstellen, dass sich jüngere Frauen eingeschüchtert fühlen von Ihrer Erscheinung?

Ich möchte das sofort ummünzen in das, wofür auch mein Buch steht. Ich möchte gerne, dass sie mich ansehen und denken: Das kann ich auch. Ich möchte ein Vorbild sein, kein Idol. Ich möchte auf keinen Fall, dass sie sagen: Sowas hätte ich gerne. Ich will, dass sie sagen: Mensch, das geht doch!

Wenn Sie nochmal Theater spielen würden, welche Rolle würden Sie wählen?

Ich würde immer die Hässliche spielen, die Pechmarie. Die ist zickig und kann wenigstens etwas bieten. Jemand, der alles richtig macht, keine Ecken und Kanten hat, das ist nichts für mich.

Ein Mann, der für alles offen ist

Ihre große Liebe war der Cherokee David Hall, zu dem Sie den Kontakt verloren haben - alten Fotos nach zu urteilen ein überirdisch gut aussehender Typ. Ein Mann dürfte es schwer haben, Sie zu beeindrucken. Zumal er ja auch noch um einiges jünger sein müsste als Sie ...

Vor allem das. Ich will es jetzt nicht an Jahren festhalten, denn Jugend hat ja immer auch mit Dynamik zu tun. Ich würde verrückt werden, wenn einer so betagt daherkommt und meint, er kenne das Leben. Er sollte physisch und geistig ganz helle und frisch sein. Einer, mit dem man alles machen kann, der nicht sagt: 'Ach Gott, das haben wir früher gemacht - ist das jetzt nicht ein bisschen übertrieben?' So einer, für den nichts offen ist, wo die Tür immer schon zu ist. Der alles schwierig findet. Da würde ich sagen: Weißt du, was ich schwierig finde? Dass ich mit Dir noch zusammen bin, das ist schwierig.

Eveline Hall

Eveline Hall mit Ehemann David und Eltern in Las Vegas.

(Foto: Eden Books)

Und, wurden Sie fündig?

Als ich in Frankreich Theater spielte, lebte ich mit einem Franzosen zusammen. Zu dem konnte ich mitten in der Nacht sagen: 'Wir müssen morgen ganz früh zum Baumarkt und anschließend die Wohnung umbauen.' Und er hat geantwortet: 'Ok, wir packen das an.' Deshalb konnte ich mit ihm neun Jahre zusammen sein. Das kannst du nicht mit jemandem machen, der seinen Arsch nicht hochbekommt und immer nur sagt: 'Ist doch gut, so wie es jetzt ist'.

Ballerina, Show-Girl, Schauspielerin - Sie haben eine beeindruckende Karriere hinter sich. Dann fangen Sie an zu modeln und laufen mit all diesen jungen Dingern über den Laufsteg. Wie kamen Sie nur auf diese Idee?

Also die Idee mit dem Modeln ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Das war Ted Linow von Mega Models, mein Mentor und Übervater. Er kannte mich von früher, hat mich gesehen und gesagt: 'Eveline, in Dir seh' ich was, da müssen wir nochmal ran'. Er hat mich dann dem Michalsky vorgestellt.

Aber Sie haben sich getraut - die Nerven muss man erst mal haben. Andere Frauen in Ihrem Alter machen Nordic Walking oder was Ehrenamtliches ...

Ted hat mich so überzeugt, dass ich es mir schließlich auch vorstellen konnte. Blieb die Frage, ob Michalsky das auch so überzeugend finden würde. Er hat dann mitgezogen.

Und, wie haben Sie sich gefühlt beim ersten Mal?

Dort hinter der Bühne realisierte ich plötzlich, was ich für eine Angst hatte, aufzutreten. Angst, dass ich das nicht erfüllen kann. Ich wusste, dass alle Augen auf mich gerichtet sind. Ein junger Mensch kann hinfallen, steht wieder auf und sagt: 'Morgen mach ich weiter'. Aber bei einer Frau in meinem Alter hätten sich alle gefragt: 'Muss man so ne Alte dahin stellen?' Ich wollte niemanden enttäuschen.

Haben Sie sonst vor irgendetwas Angst?

Vor Krankheit.

Nicht vielleicht eher vor Langeweile?

Ja, das könnte durchaus sein.

Schon irgendwelche Pläne fürs kommende Jahr? Vielleicht Heidi Klum bei GNTM beerben?

Ich will meine eigene Modekollektion entwerfen. Es wird etwas sein, das wenig Geld kostet und in einen kleinen Koffer passt. Drei, vier Elemente, die alle zusammenpassen und aus denen man immer wieder was Neues kreieren kann - und man ist überall damit angezogen.

Sie haben immer wieder Neues angefangen. Gibt es ein Geheimnis, ein Gesetz für den richtigen Moment?

Wäre ich Karikaturist, würde ich den Bauch und das Gehirn in den Boxring stellen. Wer würde wohl gewinnen? Definitiv der Bauch. Ich bin immer meiner Intuition gefolgt, das zeichnet mich aus. In dem Moment, wo du anfängst, zu denken, gerät alles in andere Bahnen. Wenn der Bauch sagt, das isses, dann isses das.

Mit Verlaub, dabei haben Sie noch nicht mal Bauch. Daher nun die unvermeidliche Frage: Wie machen Sie das? Und kommen Sie uns bitte nicht mit "drei Liter Wasser am Tag", "gute Gene" und "essen, wonach mir ist".

Ich habe nie Kaffee getrunken und nie geraucht. Ich weiß nicht mal, wie man eine Zigarette hält. Einmal musste ich das für ein Theaterstück lernen, das fiel mir schwerer als der Text. Mama, als Raucherin, hat sofort gesagt: 'Püppi, schon wie du an dem Ding ziehst, lass es!' Aber eines stimmt: Ich bin so gebaut. Ich esse wie ein Scheunendrescher. Ich trau' mich das gar nicht mehr zu sagen, das glaubt mir keiner. Und ich trinke Wein zu gutem Essen, zu einem Drei-Gänge-Menü auch mal 'ne ziemliche Flasche.

Das funktioniert aber auch nur, weil Sie nach wie vor trainieren - täglich 45 Minuten Hantelgymnasitk, zu der Sie sogar Ihre Mutter verdonnern ...

Natürlich, aber nicht nur, weil der Körper mein Kapital ist. Sondern weil es elementar für mich ist. Schon früher als Tänzerin, wenn das Wochenende kam, war Sonntag der schlimmste Tag für mich - da tat mir alles weh, ich fühlte mich mies und hab mir eingebildet, ich hab was. Also bin ich in den Ballettsaal gegangen und habe allein gearbeitet. Oder Urlaube - eine Katastrophe! Mein Körper wurde ohne den Drill ausladend. Wenn die Theater für sechs Wochen schlossen, bin ich nach Cannes zu der berühmten Tanzschule von Rosella Hightower, wo sich Tänzer aus aller Welt trafen. Dort haben wir gearbeitet, damit wir anschließend an die Strandpromenade gehen und richtig schön essen konnten. Und so ist das bis heute: Morgens tu ich was und abends genieße ich das Leben.

Ein ausführliches Portrait über das Leben von Eveline Hall finden Sie in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung vom 21./22. September 2013.

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