Das Etikett. Seit gut 6000 Jahren ist es jetzt Thema, und eigentlich dient es der Information. Schon die Sumerer klebten Rollsiegel an ihre Gefäße, um über den Inhalt aufzuklären; Griechen und Römer ritzten allerlei zu Sorte oder Herkunft in die Amphore, und mit der Erfindung der Lithographie um 1800 kam erstmals bedrucktes Papier auf den Flaschenbauch.
Für knappe 200 Jahre war das Bapperl dann vor allem in Deutschland eine Art Infotafel, deren in Fraktur gestanzte Verordnungshinweise italienischen oder französischen Rieslingtrinkern Kopfweh verursachten. Der Wendepunkt: Als das australische Label Yellow Tail um die Jahrtausendwende ein gelb-oranges Känguru auf seine Weine knallte, war der europäische Kunde nicht mehr zu halten (Tiere gehen immer), und das Marketing entdeckte eine neue Spielwiese: Das Etikett, das seit seiner Yellow-Tailisierung gar nicht funky genug sein kann und bei Kunden am Weinregal inzwischen Synapsenbrand verursacht.
Das Etikett, heißt es bei Fachleuten, sei - mit dem Gesamtdesign - bei Kunden ohne konkrete Vorstellungen heute extrem wichtig. Längst haben Experten die Weine verschiedenen Verpackungstypen zugeordnet. Und einer Studie zufolge spielt das Bild auf dem Etikett, vor Farbe und Layout, für den Verkauf eine zentrale Rolle, auch wenn Käufer in Umfragen das Gegenteil behaupten. Klar, wer sagt schon gern, dass er seinen Shiraz wegen des Kängurus auf dem Bapperl trinkt?
Ist Wein nur noch Design? Der Inhalt wurscht? Für diese Fragen hat die Freitagsküche in zwei besseren Weinabteilungen (Gourmetetage eines Kaufhauses sowie Premiumfiliale einer gehobenen Supermarktkette) einmal streng nach Etikett eingekauft.
Ausgewählt wurden zwölf Weine, die aus den leidlich gut sortierten Ladenregalen hervorstachen. Vulgo: die Flaschen, die den Kunden am lautesten anschrien. Bedingung: Der Preis sollte ungefähr zwischen fünf und zehn Euro liegen. Denn in dieser Preisklasse, so hieß es bei der Weinberatung, seien Käufer besonders anfällig für Äußerlichkeiten. Motto: Es darf heute etwas Besseres sein, und wenn wir keine Ahnung haben, geben wir das nicht zu.
Die Etiketten legte die Redaktion dann SZ-Autoren zur Zielgruppenanalyse vor, die Weine wurden von Spitzensommelier Stefan Peter getestet. Und was lernen wir daraus? Zwischen den Antworten auf die beiden Fragen "Was ist drauf?" und "Was ist drin?" besteht keinerlei Zusammenhang. Wer über eine Flasche urteilen will, erfährt einmal mehr: Die Wahrheit liegt im Wein allein. Prost!
Text: Marten Rolff
Stefan Peter, 30, der die Weine für die Freitagsküche testete, ist Sommelier im Münchner Gourmet-Restaurant Tantris. Wann er zuletzt einen Wein nach Etikett gekauft hat? "Lachen Sie nicht", sagt Peter, "aber auch Profis sind optisch verführbar."