Essen und Trinken:Vom Fleck weg

Starköchin María Marte träumt vom dritten Stern

María Marte ist bekannt für eine leichte, hocharomatische Küche, die spanische mit karibischen Elementen verbindet.

(Foto: Editorial Planeta/picture alliance)

Die Putzfrau und Tellerwäscherin María Marte ist zur erfolgreichsten Sterneköchin Madrids aufgestiegen. Über eine Karriere, die gegen jede Wahrscheinlichkeit verlief.

Von Thomas Urban

Wenn sie in Madrid über María Marte reden, dann nehmen die Menschen gern Anleihen aus dem Märchen. Es geht dann schnell um "das Aschenputtel", das "in unserer Stadt zur Prinzessin geworden" sei, wie die große Tageszeitung El Mundo gerade auf der Titelseite schrieb. María Marte selbst schüttelt bei solchen Vergleichen den Kopf. Schließlich ist sie keine Prinzessin, sondern Köchin. "Und es war auch nicht wie bei Aschenputtel, denn für mich wurde sicherlich nicht alles herbeigezaubert", sagt sie, wobei ihrem nachsichtigen Lächeln zu entnehmen ist, dass sie das nicht zum ersten Mal erklären muss. Und doch kann María Marte nicht abstreiten, dass ihr wundersamer Aufstieg etwas von einem Märchen hat. Denn wie schafft es eine Spülhilfe ohne Ausbildung zur meistgefeierten Küchenchefin der spanischen Hauptstadt?

Üblicherweise würde ein Interview mit María Marte am Herd eines Sternerestaurants stattfinden, viele Fotos zeigen sie mit zu filigranen Speisen arrangierten exotischen Blüten, für die ihre Aromenküche berühmt ist. Doch Marte hat bewusst das "Starbucks" bei ihr um die Ecke gewählt. Erstens weil sie wieder einmal dabei ist, sich beruflich neu zu erfinden. Und dann, weil sie glaubt, dass ein Allerweltsfilialist an der belebten Plaza España ideal ist, um ihre Geschichte zu erzählen. Ein Ort, der keinen Raum für glamouröse Verkürzungen lässt und an dem sie einfach einen Kaffee bestellt. Es ist nicht ganz leicht, diese zierliche, höflich zurückhaltende Frau mit den Ellbogen in Einklang zu bringen, die sie für ihren Werdegang brauchte. Die Zutaten, sagt sie, seien folgende gewesen: "Leidenschaft und Härte gegen mich selbst", aber vor allem: "Arbeit, Arbeit, Arbeit."

Als sie dem Chef gestand, dass sie gern Köchin wäre, lachte er nur: "Hör' auf zu träumen!"

Kurz nach der Jahrtausendwende kam sie aus der Dominikanischen Republik nach Madrid. Spanien boomte damals, Zehntausende Immigranten aus Lateinamerika strömten ins Land. Sie war 24 und wollte bei ihrem ältesten Sohn und ihrem Mann sein, der in Madrid Arbeit gefunden hatte. Ihre Zwillinge ließ sie zunächst bei ihren Eltern zurück. Sie selbst fand zwei Jobs: in einem billigen Friseurladen und als Putzhilfe im Restaurant "Club Allard". Teller waschen, Gläser polieren. Jeden Abend war sie todmüde. Als sie sich um eine Stelle als Küchenhilfe bewarb und dem ehrgeizigen baskischen Küchenchef gestand, dass sie gern Köchin wäre, lachte der nur und sagte: "Hör auf zu träumen!" Weil sie über Monate hartnäckig blieb, ließ er sie doch als Aushilfe in seine Küche. Unter zwei Bedingungen: keine zusätzliche Bezahlung und putzen solle sie weiter. Das Programm danach: Kartoffeln schälen, Gemüse schnippeln, Fische entgräten. Ihre Familie sah sie kaum noch, sie habe in der Zeit auf einer Matratze unter der Treppe im Lokal geschlafen. Wie hält man so etwas durch?

María Marte muss jetzt kurz nachdenken und nimmt einen Schluck Kaffee. Vermutlich seien Kindheitserinnerungen der Motor gewesen. Aufgewachsen ist sie in der Kleinstadt Jarabacoa als Jüngste von acht Geschwistern, inmitten eines Naturparadieses: Berge, Wasserfälle, subtropische Wälder. Der Vater war Koch in einem einfachen Gasthaus, die Mutter arbeitete bei einem Konditor und kochte zu Hause Konfitüre, die sie verkaufte. Doch ihr Fundament, erzählt Marte, habe sie von ihrer Großmutter, die ihr alles über die Kräuter und Wildblumen der Region beibrachte, über ihren kulinarischen Wert ebenso wie ihre Heilkraft. "Seit meiner Kinderzeit kannte ich jeden Geruch und jeden Geschmack."

In vielen ihrer Kreationen spielen Blüten eine große Rolle

Das fiel auch dem Küchenchef im "Club Allard" auf. Diego Guerrero, der dabei war, das Lokal zum Sternerestaurant zu machen, dürfte angesichts María Martes Gabe diese Mischung aus Neid und Ehrfurcht empfunden haben, mit der man in Spitzenküchen auf Talent reagiert. Er ließ sie immer öfter an die Töpfe; befreite sie urplötzlich - "du gehörst in die Küche!" - von ihren Putzaufgaben. Guerrero erkannte ihr Geschick bei der Dekoration von Speisen und beim Modellieren von essbaren Blüten. Er brachte ihr Grundlagen der kastilischen und baskischen Küche bei, die erste rustikal, die zweite raffiniert. Bald durfte Marte eigene spanisch-karibische Gerichte ausprobieren. "Man hat eine Idee, aber so geht es erst los. Oft wiederholt man es Dutzende Male, bis ein Ergebnis gut ist", sagt Marte.

Guerrero machte sie, die nie an einem Kochkurs teilgenommen, geschweige denn eine Hotelfachschule besucht hatte, schließlich zur Souschefin. Sie stand auch an seiner Seite, als er 2007 den ersten Michelin-Stern erkochte (2011 folgte der zweite). Und Marte? Experimentierte immer weiter.

Ihr war aufgefallen, dass in der europäischen Küche zwar mit Blüten dekoriert, aber deren Duft in der Komposition meist ignoriert wird. In vielen ihrer Kreationen spielen Yucca-, Malven- und andere Blüten seither eine große Rolle. Für ihr berühmtestes Dessert etwa karamellisiert sie Hibiskusblüten, füllt diese mit Schaum vom peruanischen Traubenschnaps Pisco und bettet sie auf angeröstete Pistazien. Martes Spezialität aber sind Fisch und Meeresfrüchte. Den traditionellen Sancocho, ursprünglich ein Bauern-Eintopf mit Schweinefleisch, Kartoffeln und Knollengemüse, richtet sie mit Seeteufel, Kürbis und Fleisch der Yucca-Frucht an. Gewagt verbindet sie für ein Amuse-Gueule geräucherten Zitteraal mit Yucca, Erdbeere und Mandeln, abgerundet durch schwarzen Kaviar. Yucca-Fleisch wie -Blüte kombiniert sie auch mit Miesmuscheln. In ihren Gerichten findet sich zudem häufig die Blüte des spanischen Pfeffers, der eigentlich aus Mittelamerika stammt. Und besonders aufregend findet sie es, mit Schokoladen zu experimentieren, ob bei Desserts, bei Fleisch oder Fisch.

Diese edlen Kombinationen aus Speisen und Zutaten diesseits wie jenseits des Atlantiks nennt die Spitzenköchin selbstbewusst "Cocina de Mestizaje" - Mischlingsküche. Mestizen heißen auf Spanisch die einst stark diskriminierten Nachkommen aus Verbindungen von spanischen Vätern und indigenen Frauen. María Marte sagt dazu: "Das sind unsere Leute." Ja, sie sei in ihrer Anfangszeit in Madrid gelegentlich rassistisch herabgesetzt worden, aber die guten Erfahrungen hätten stets überwogen.

María Marte

"Meine Geschichte war nicht wie die von Aschenputtel, denn für mich wurde sicherlich nicht alles herbeigezaubert. Es war Arbeit, Arbeit, Arbeit."

Zwei Jahre nach seinem zweiten Michelin-Stern verließ ihr Mentor Diego Guerrero den Club Allard, um sein eigenes Restaurant aufzumachen. Nicht ohne seiner Musterschülerin den Satz mit auf den Weg zu geben: "Nur an der Seite eines Chefs wie mir bist du gut!" Er sollte ähnlich falsch liegen wie einige Restaurantkritiker in Madrid, die sich totlachten, als die Geschäftsführerin des Club Allard ihre ungelernte ehemalige Spülhilfe zur neuen Küchenchefin ernannte. Ein Vertrauen, das sich auszahlte, Marte hielt die zwei Sterne und diese waren nun eine Bestätigung ihrer Mestizenküche.

Seitdem ist das Interesse immer größer geworden. Mittellose Latina und Autodidaktin wird erste Zwei-Sterne-Köchin Madrids, Immigrantin gewinnt spanischen Nationalpreis für Gastronomie - so oder ähnlich lauten die Geschichten. Und im vergangenen September, als Marte im Schloss Versailles auch den Eckart-Witzigmann-Preis für Innovation entgegengenommen hatte, sei ihr der Gedanke gekommen, dass es vielleicht alles etwas viel war in den vergangenen Jahren. Die 15-Stunden-Tage, die Aufregung, die Zeitnot, das "permanent schlechte Gewissen gegenüber den Kindern".

Sie hat sich jetzt eine Auszeit genommen. Und will bald ein eigenes Restaurant und eine Kochschule in der Dominikanischen Republik eröffnen. Das Aschenputtel verlasse die Stadt "als Prinzessin" titelte also El Mundo. Stimmt aber auch nicht ganz. Sie behalte ihre Wohnung in Madrid, wolle wiederkommen, bald auch in Spanien wieder kochen, ihr ältester Sohn besuche hier die Hotelfachschule. Sagt's und verabschiedet sich mit einem Lächeln und einem sanften Händedruck. María Marte ist erst 42 Jahre alt. Man wird noch von ihr hören.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: