Essen und Trinken:Das perfekte Glas für den Lieblingswein

Riedel

So viele Gläser - nur welches ist das richtige?

(Foto: Riedel)

Das richtige Weinglas zu finden, ist eine Wissenschaft für sich. Unterwegs mit Menschen, die alles über Krümmungswinkel und Materialstärke wissen - und trotzdem ganz einfache Tipps geben.

Von Anne Goebel

Es gibt kaum ein Thema, bei dem man so anstrengende Überraschungen erleben kann wie bei Wein. Eine gelöste Runde sitzt am Tisch, man trinkt zusammen, nicht jeder weiß so ganz genau, was er im Glas hat. Und plötzlich hebt jemand an, genau darüber schulmeisterlich zu dozieren. Ein ungefragtes Proseminar über Lagen und Cuvées. Stimmung: im Keller. Wer den Film kennt, kann zur Aufheiterung immerhin an den Langweiler aus Woody Allens "Midnight in Paris" denken, der mit seinem Grand-Cru-Geschwätz allen auf die Nerven fällt.

Es ist schon ein seltsamer Widerspruch: Bei Wein ist zwar ständig davon die Rede, dass er "Spaß machen" soll, eine Lieblingsformulierung junger Winzer und Sommeliers. Aber man hüte sich vor dem Leichtsinn, ihn nicht gebührend ernst zu nehmen. Und was für den Inhalt gilt, gilt erst recht für das Gefäß. Ein Weinglas zu kaufen, ist heute eine Wissenschaft für sich. Die Produktkataloge informieren über Krümmungswinkel und Materialstärke, als ginge es um höchste Ingenieurskunst.

Für das gerade anlaufende Weihnachtsgeschäft sollte man, ob als Käufer oder Verkäufer, ziemlich firm in der Materie sein. Glas gehört jeden Advent zu den Bestsellern, der Saison-Höhepunkt der Hersteller, von denen die meisten längst aus der tantigen Kristallecke herausgefunden haben. Ob bei Kustermann am Münchner Viktualienmarkt oder bei Jens Richard am Kurfürstendamm in Berlin: Das Sortiment ist verwirrend groß, Endlosreihen voller Ballons, Schwenker, Becher für jede Art von Flüssigkeit. Für Roten, Weißen und Rosé, für Nebbiolo oder Chardonnay, Champagner oder Gin, Wasser, Craft Beer oder Whisky, bei Letzterem ausdifferenziert je nach Herstellungsart - die Spezifizierung auf dem Gläsermarkt scheint keine Grenzen zu kennen.

Die Nachfrage nach mundgeblasener Ware steigt - ein kostspieliges Vergnügen

Und die Geschäfte laufen prächtig. Man fragt sich, woher alle plötzlich das Wissen nehmen, wie Single Malt aus Japan serviert wird und in welches Gläschen der Quittenbrand gehört. Online-Shops wie Tischwelt oder Westwing bieten weihnachtliche Glas-Pakete an. Vor allem die Nachfrage nach mundgeblasener Ware steigt. Wer sich da das große Programm leistet, ein Trink-Geschirr für Apéro über Riesling und Burgunder bis zum Digestif, ist schnell etliche Hundert Euro los. Die Deutschen lassen sich Kennerschaft bei Tisch etwas kosten.

Wer Unterstützung nötig hat - man braucht es ja nicht zuzugeben -, ist bei Astrid Zieglmeier gut aufgehoben. Die Sommelière leitet die Akademie "Gastronomie und Genuss" der Handwerkskammer München und berät ihre Klientel beim Bestücken von Keller und Vitrinenschrank. Für die 57-Jährige gehört der Dauerhype um Dekantieren und Verkosten zum täglichen Geschäft. "Aber klar wird Wein superernst genommen in Deutschland", sagt sie. "Genauso ernst wie Autos, Musik oder Fußballspielen." Soll heißen: Auch bei Dingen, die dem Vergnügen dienen, neigen wir längst zur Perfektion.

Das ist schön und gut für ein Spitzenlokal oder einen exzellent ausgestatten Privathaushalt, findet Zieglmeier. Was sehr vernünftig klingt. Überausrüstung hält sie für einen Auswuchs spaßfeindlicher Optimierungszwänge. Noch vernünftiger. Wer gern Wein und ab und zu auch eine richtig gute Flasche trinkt, "braucht kein Equipment wie ein Restaurant, um ihn zu genießen". Welche Erleichterung! Und man brauche nicht einmal einen Satz des Gläser-Duos, das selbst dem Dilettanten geläufig ist (eines für Weiß, eines für Rot). Die Sommelière rät: "Ein vernünftiges Glas, nicht zu klein, gut sieben Zentimeter Kelchdurchmesser - das passt wunderbar für jeden Wein."

Säurespoiler? Die Welt der Weingläser kann einem schon rätselhaft vorkommen

Man achte auf Dünnwandigkeit, damit sich die Aromen entwickeln und nichts die Lippen beim Trinken stört. Und entscheide sich nach Gusto für eines der unprätentiösen sogenannten Standardgläser, die alle namhaften Hersteller im Programm haben. Marken wie Riedel, Eisch, Schott Zwiesel. Sogar ein schwedisches Möbelhaus. Punkt. Aus. So einfach ist das also.

Ganz so einfach natürlich nicht für jemanden, der einem Wein jedes tief verborgene Aroma abluchsen will. Es gibt schon einen Grund für die Gläser-Bataillone mit präziser Zuordnung, Bordeaux oder Syrah, Chablis oder Sauternes. Erfinder des "funktionalen Weinglases" war der Österreicher Claus Riedel, der Ende der Fünfzigerjahre den Zusammenhang zwischen Charakter eines Weines und optimaler Kelchform für dessen Entfaltung bemerkte. Und danach seine revolutionäre Produktserie konzipierte (die Furcht vor dem Fauxpas des falschen Glases erfand er quasi mit). Die Firma Riedel war da bereits seit Generationen in Familienbesitz. Heute ist die Kufsteiner Glashütte ein Platzhirsch - in Tirol und auf dem Weltmarkt.

Auf dem Werksgelände am Stadtrand stehen die Arbeiter in einer Halle bei Lärm und brütender Hitze auf Podesten und recken wie Trompeter von Jericho ihre Blasrohre in die Höhe. Die Männer mit Schutzbrillen und gelben Handschuhen, immer eine Flasche Mineralwasser in der Nähe, pressen die Luft ins flüssige Glas, bis es die gewünschte Form hat. Ein Knochenjob, bei dem erstaunliche Kunstwerke entstehen wie der vielfach gebogene Dekanter "Boa", erhältlich für gut 400 Euro im angegliederten Shop.

Maximilian Riedel, der das Unternehmen in der elften Generation und mit einer Spur Alt-Habsburg im Auftreten führt, bittet derweil in sein Büro. Plaudert über die von ihm entworfene Becher-Serie "O" ("ein cooles Glasl") und lässt geöffnete Bouteillen bringen, um die Wirkweise des klassischen Sortiments zu demonstrieren: Wie ein eiförmiges Glas die mineralische Würze einer Riesling-Spätlese erhält oder eine gerade Silhouette die Noten eines reifen Bordeaux in Schach hält. Man lernt außerdem, dass ein gewölbter Rand "Säurespoiler" heißt und der junge Chef demnächst in einen Feldzug gegen die enge Schaumwein-Flöte zieht. "Champagner ist ein Wein und sollte als solcher behandelt werden", also Luft bekommen.

Mein Weinkeller, meine Küche, meine Kristallgläser

Solche önologischen Finessen sind etwas für Spezialisten. Die Masse der Weintrinker haben die Kufsteiner trotzdem geprägt mit drei gängigen Grundformen: Zwei größere Exemplare für Roten - Ballon für Burgunder, gerade Form für Bordeaux - und ein kleineres für Weißen. Wer sich zu Hause über das Allrounder-Glas hinauswagen will, sollte sich an dieses Trio halten, das tun auch die meisten Hersteller: Die gerade sehr nachgefragte Manufaktur Zalto mit markant eckiger Handschrift genauso wie der Wiener Traditionsbetrieb Lobmeyr, der hauchzartes Kristall mit modernem Design verbindet, oder die schwedische Marke Orrefors, deren Entwürfe im kultisch verehrten Restaurant Noma in Kopenhagen auf den Tisch kamen.

Ein imposantes Glas-Sortiment im Schrank zu haben, ist ein Statussymbol. Wer es sich leisten kann, serviert Whisky im schweren Tumbler von Christofle oder gibt für sechs handgravierte Wasserbecher von Theresienthal 1400 Euro aus.

Das neue Lifestyle-Mantra: Mein Weinkeller, meine Küche, meine Kristallgläser

Das sind Prestigeobjekte für Leute, die ihren Lebensstil nicht mehr über drei Karossen im Carport ausdrücken, sondern es bei einem SUV belassen und das Geld in Weine, Designerküche und Tischzubehör stecken. "Mein Keller, mein Ofen, meine Gläser", sagt Astrid Zieglmeier, "das ist heute Lifestyle." Für Einsteiger rät sie von mundgeblasenen Gläsern ab, weil man auch bei maschinell gefertigten Modellen "sehr gute Qualität" bekomme. Plus pflegeleichtere Handhabung, beim Einsortieren in die Spülmaschine muss man nicht ganz so vorsichtig sein. Ob Abwaschen mit der Hand schonender ist, gilt als umstritten. Hochwertiges Glas sollte auf jeden Fall sanft angefasst werden - denn was für uns nach einer harten glatten Oberfläche aussieht, entpuppt sich unter dem Mikroskop als filigranes Wabenwerk.

Die Begeisterung für Glas mag sich gerade auf einem Höhepunkt befinden, neu ist sie nicht. Aus dem alten Ägypten ist ein Pharaonen-Kelch erhalten. Später begründete das crystallo den Weltruhm venezianischen Glases. Und dass wir aus faszinierend transparenten Gläsern trinken, ist ein relativ neues Phänomen. Früher goss man Bier und Wein in Holz- oder Zinnkrüge, was natürlich längst nicht so edel war.

Die hübsche Champagnerschale erwies sich als Fehlkonstruktion

Der Markt lässt sich heute ständig etwas Neues einfallen, um die Grenzen weiter auszutesten. Mal werden Kelche mit integrierter Luftblase am Glasboden lanciert, mal vermeldet die Szene den Durchbruch des schmucklosen Trinkglases als Weinbehältnis der Zukunft. "Why hipsters are drinking wine out of tumblers", diese Frage war im Londoner Independent nachzulesen, und die Antwort hieß: Unsere Angst in unsicheren Zeiten lasse die Sehnsucht wachsen nach einem Gefühl sorgloser Entspannung, als sinke man in der Provence auf einen Liegestuhl, ein Glas Rosé in der Hand - warum dieses Glas keinen Stiel haben darf, blieb offen.

Wer's mag: Lobmeyr fertigt die elegante Variante, günstigere gibt es etwa von Schott Zwiesel. Und auch der Trend des Craft Beer treibt natürlich so seine Blüten. Gebrautes aus Kleinbetrieben gießt man neuerdings in Spezialgläser, das Modell "Black" mit grauem Fuß ist ein seltsamer Zwitter aus Transparenz und Räucherhöhlen-Feeling. Das sind Modeerscheinungen, das Glasgewerbe hat schon andere Sackgassen souverän hinter sich gelassen. Die Champagnerschale etwa, einst Inbegriff ausufernder Festivitäten, bis sich herausstellte, dass nichts ungeeigneter sein könnte für den schäumenden Trunk, weil er darin sofort verliert, was ihn ausmacht: sein Prickeln.

Flüchtigkeit gehört naturgemäß zum Thema Wein und Spirituosen samt Zubehör. Es gibt aber auch Konstanten, die nicht unbedingt mit Spitzenqualität zu tun haben, sondern mit persönlichen Geschichten. Jeder kennt das: Man hat ein Lieblingsglas. Für Wein braucht es nicht gerade der ausgespülte Senfbehälter sein. Aber ansonsten ist zu Hause vom verschnörkelten Erbstück bis zum Reisesouvenir oder einem dieser hippiebunten Gläser aus den Siebzigern alles erlaubt. Das gilt für Rot, Weiß und alle Schattierungen. Sieht ja keiner.

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