Essen in Berlin:Wo der Veganer rockt

Gemüse

Wer sich nur auf sein Essen konzentriert, ist streng genommen kein Veganer, sondern ein Vegan-Köstler.

(Foto: dpa)

Hipstern in Neukölln gefällt eine Pizzeria mit unaussprechlichem Namen. Anzugträger in Berlin-Mitte schließen bei grünem Salat Geschäfte ab. Nirgendwo in Europa ist die Auswahl an veganen Restaurants und Cafés größer als in Berlin. Doch vegan zu leben geht weit über die Ernährung hinaus.

Berlin ist die Vegan-Metropole Europas. Nirgendwo sonst gibt es so viele Imbisse, Cafès, Bars und Restaurants, in denen ausschließlich tierfreie Kost serviert wird. Unsere Autorin hat sich durch das vegane Angebot der Hauptstadt probiert und 15 verschiedene Läden getestet. Im dritten Teil der Serie geht es um die erste rein vegane Pizzeria, um Szene-Vegetarier, die ihr Angebot auf Veganer ausgeweitet haben, und darum, dass vegan zu sein mehr bedeutet als nur beim Essen auf Tierprodukte zu verzichten.

Besonderer Beliebtheit erfreut sich in Berlin aktuell eine Pizzeria mit dem unaussprechlichen Namen Sfizy Veg (Treptower Straße 95). Das liegt wohl an der Auswahl: Die nach eigenen Angaben "erste hundertprozentig vegane Pizzeria Europas" hat mehr als 200 verschiedene vegane Pizzen im Angebot, dazu diverse Nudelgerichte, Salate, Bruschette, Calzone und Foccacia - die Karte ist fast unüberschaubar. Den Veganern in Neukölln gefällt's: Schon am frühen Abend ist der Laden voll, vor dem kleinen, dunklen und mit buntem Nippes gefüllten Raum bilden sich Schlangen geduldig Wartender, die meisten sind Studenten aus aller Herren Länder oder halbjunge Menschen mit kreativen Berufen.

Die beiden jungen italienischen Chefinnen wollten mit dem Namen, der "Lust, Laune" bedeutet, beweisen, dass veganes Essen Spaß macht. Und dass ein ganz typisches italienisches Restaurant inzwischen gänzlich ohne tierische Nahrungsmittel auskommen kann. Die "Spaghetti al salmone e gorgonzola" für 8,50 Euro kommen also mit veganer Sahne, Lachs-Ersatz und veganem Blauschimmelkäse, die Pizza "Radical chic Fisch" für 9,50 Euro vereint veganen Käse mit falschem Thunfisch, Calamares, Garnelen und Lachs. Das ist vielleicht ein bisschen viel Ersatz, ein bisschen zu viel Oregano, und - trotz Vollkorn-Option - auf Dauer ein bisschen zu ungesund (weil vor allem auf Weizenmehl-Basis). Die Bedienungen wirken aufgrund des großen Andrangs zwar professionell, aber glatt überrannt. Trotzdem: Der Laden brennt.

Edler Industrieschick und der Club danach

Ebenfalls schwer angesagt, aber unter anderem wegen seiner unschlagbaren Lage in Mitte-Mitte (nahe Friedrichstraße) nicht ganz billig: das Cookies Cream (Behrenstr. 55). Kein rein veganes Restaurant, sondern Szene-Vegetarier, trotzdem gibt es immer eine vegane Auswahl zum abendlichen Menü (drei Gänge, 39 Euro). Ob marinierter Chicoree mit Kamille und Mandelcreme, Safran-Graupen mit Holunder, Rübchen und Erbsenpürree oder Schokoladen-Fondant mit Tonkabohne, Erdnuss und Salz - jedes Gericht ist ein kleines (!) Kunstwerk. So auch das Restaurant in edlem Industrie-Schick, das nur über einen geheimen Hintereingang zu betreten ist und Besucher im Inneren mit der Großaufschrift "Ficken" empfängt.

Die Bedienung könnte freundlicher sein, aber ein Erlebnis ist ein Abend im Cream auf jeden Fall - zumal wenn man danach den angeschlossenen Cookies-Club besucht. Der dreht zwar erst ab zwei Uhr nachts richtig auf, das Warten zwischen Essen und Tanzen kann sich aber lohnen. Stilvoll geht das an der Bar zwischen Restaurant und Club, der Drayton Bar, wo man die gesparten zehn Euro Club-Eintritt etwa in einen Drink namens "Transsylvanian Drag Queen" investieren kann, mit Gin, Blutorange und einem Hauch Absinth - auch ganz vegan. Der Club war Ende der neunziger Jahre an anderer Stelle so etwas wie das Studio 54 von Berlin. Die Betonung liegt auf war, inzwischen ist das Publikum nicht mehr so wild, aber einzelne Nächte sind durchaus noch einen Besuch wert.

Mischkost - der Trend im Trend

Die kleine Schwester des Cookies Cream (selber Betreiber) ist das Chipps, ganz in der Nähe (Jägerstr. 35). Auch hier isst man nicht ausschließlich vegan, kann das aber schon tagsüber tun. Etwa das Frühstück "Green Horn" mit Avocado, Koriander, Brot und Salat für 6,50 Euro. Zum Mittagessen gibt es zum Beispiel Vollkornpenne mit Kräuterseitlingen plus Linsensuppe für 9,50 Euro und zum Abendessen ist das Bärlauchrisotto mit Spinat für 17 Euro eine Möglichkeit. Nur die Bedienung könnte weniger verpeilt sein.

Direkt gegenüber ist das Auswärtige Amt, daneben die berühmten Townhouses, draußen sitzt man im Frühling herrlich unter blühenden Kirschblütenbäumen - auch die kühle Inneneinrichtung ist eine Schau. Hierhin radeln Anzugträger in der Mittagspause, es werden Geschäfte abgeschlossen bei grünem Salat. Mischkost (es gibt auch ein bisschen Fleisch und Käse auf der Karte), die früher bei Veganern verpönt gewesen wäre, ist jetzt der neue Trend im Trend - weil Veganer nicht mehr alleine essen gehen müssen, sondern ihre nicht-veganen Freunde mitnehmen können. Das ist geselliger und sozialverträglicher.

Veganes Speed-Dating

Der Vegan-Trend ist in Berlin also längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch es gibt auch noch die klassischen Veganer, so wie sie früher waren: Das Fast Rabbit (Eberswalderstr. 1) am Mauerpark ist so ein Fall. Obwohl neu, ist es schon leicht verranzt, hier sitzen einsame dürre Männer hinter Laptops, sehr junge Veganerinnen, die schon Kinder haben, die alternative Szene hängt stundenlang hier ab, weil man sie in Ruhe lässt. Positiv: Eine extrem zuvorkommende Bedienung und eine lustige Auswahl an Fladen mit orientalischer oder mexikanischer Füllung zu günstigen Preisen. Gemüse-Fastfood für drei bis zehn Euro. Nur das Motto "Delicious as Fuck" ist ein kleines bisschen übertrieben.

Auch die erste rein vegane Cocktailbar hat kürzlich in Berlin eröffnet: Die tägliche Chaostheorie (Lychener Str. 4) in Pankow bietet schmackhafte Flüssignahrung ganz ohne Tierisches (Longdrinks und Cocktails ab fünf Euro) - dafür sind lebende Tiere willkommen: An der "Hundebar" gibt es vegane Kauknochen für vierbeinige Begleiter.

Veganes Speed-Dating und die welterste vegane Brille

Drei rein vegane Supermärkte hat die Hauptstadt außerdem inzwischen zu bieten, meist benachbart von veganen Schuh- und Modeläden, auch in den gerade eröffneten Trend-Konsumtempel Bikini Berlin an der Gedächtniskirche ist ein veganes Modelabel eingezogen. Dort sieht die Mode auch nicht anders aus als der üblich cleane Großstadt-Schick. Sie ist nur ein bisschen teurer - weil politisch korrekter. Ein echter Veganer macht sich eben auch Gedanken um die Herkunft unter anderem seiner Kleider; wer sich nur auf sein Essen konzentriert, ist streng genommen ein Vegan-Köstler. Wieviele der etwa 800 000 Veganer in Deutschland zu den Rundum-Veganern gehören, ist aber nicht bekannt.

Auf alle Veganer - egal ob rundum oder nur auf die Nahrung bezogen - warten in Berlin unzählige weitere Spots. Unter Berlin-vegan findet sich eine Karte, jedenfalls dann, wenn die Seite nicht gerade gehackt wurde. Weiteres bietet die Facebook-Gruppe BerlinVegan. Dort verabreden sich Veganer zu Speed-Datings, veganem Mensa-Essen oder Protestaktionen. Es gibt Empfehlungen für vegane Frisörinnen, die nur Shampoos verwenden, die nicht an Tieren getestet wurden. Das erste Veggie-Radio Deutschlands wird hier beworben, ebenso TV-Sendungen für die Zielgruppe (selbst "Das Perfekte Dinner" gibt es inzwischen vegan).

Ingesamt, auch das eine Information, die sich dort finden lässt, soll es in Berlin mehr als 200 Gaststätten geben, deren Angebot mehr oder weniger auf Veganer ausgerichtet ist. Soll das Essen aber bio und vegan deklariert sein, soll es W-Lan und einen barrierefreien Zugang geben und das Restaurant gleichzeitig hundefreundlich sein, dann bleibt demnach nur noch ein Ort übrig: das Café Pêle-Mêle in Neukölln.

So viel unübersehbarer Hype und vegane Extrawurst geht manchem Berliner natürlich schon wieder auf den Geist. Deshalb warb bis vor kurzem am Rosenthaler Platz in trendy Mitte ein Optiker per Plakat dafür, dass er ausschließlich vegane Brillen verkaufe.

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