Essen gehen:Die Nötigung der Durstigen

Cafe am Beethovenplatz in München, 2017

Im Café am Beethovenplatz in München können sich Gäste an der Karaffe bedienen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Leitungswasser? Auf diese Bestellung reagieren Gastronomen meist verschnupft. Sie servieren lieber stilles Mineralwasser zu teils absurden Preisen. Der Gast schluckt - und zahlt. Warum eigentlich?

Von Violetta Simon

Neulich in einem Münchner Restaurant: "Wir hätten gerne eine Karaffe Leitungswasser." Der Kellner schlägt die Bitte diplomatisch aus: "Ich kann Ihnen eine Flasche stilles Wasser bringen." Kurz darauf steht eine Flasche Acqua Panna von San Pellegrino auf dem Tisch. Ein dreiviertel Liter für 6,80 Euro.

Für die Anwesenden (unter denen sich zugegebenermaßen kein Wassersommelier befand) unterschied sich das Getränk geschmacklich nicht von jenem Trinkwasser, das sie täglich aus dem heimischen Hahn tranken - und das vermutlich auch aus dem Wasserhahn hinterm Tresen des Restaurants floss. Entsprechend groß war die Empörung über die hohe Wasserrechnung, die am Ende des Abends zu begleichen war.

Zwei Fragen blieben: Warum ist es hierzulande so kompliziert, mehr als einen Fingerhut Leitungswasser zu bekommen? Und wieso ist die Alternative - Mineralwasser aus der Flasche - derart teuer, dass es bisweilen günstiger kommt, sich an Alkohol zu halten?

Bleiben wir zunächst beim Leitungswasser: Was spricht dagegen, dem Gast zur Begrüßung einfach eine Karaffe auf den Tisch zu stellen? In anderen Ländern funktioniert es doch auch - und das, obwohl die Wasserqualität mit der deutschen oft nicht mithalten kann. In Wien ist ein Glas Leitungswasser zum kleinen Braunen eine Selbstverständlichkeit. Auch in Griechenland oder England muss man es zum Bier oder zum Wein nicht eigens verlangen, es kommt automatisch, oftmals gleich in der Karaffe. In Frankreich haben Gäste sogar einen gesetzlichen Anspruch darauf.

In Deutschland war Leitungswasser in der Esskultur lange nicht gefragt. Ein Imageproblem, aber nicht nur: Im Bewusstsein hatte man noch das Wasser aus Flüssen und Brunnen, das einen krank machte. Später, als es aus der Leitung kam, schmeckte Wasser bis in die Achtzigerjahre vor allem nach Chlor. Mittlerweile gilt Trinkwasser in Deutschland als eines der am besten kontrollierten Lebensmittel, Städte wie München, Hamburg und Berlin verfügen über eine hervorragende Wasserqualität.

Seitdem ist die Nachfrage gestiegen. In vielen Tagescafés steht ein Krug Wasser am Tresen bereit, garniert mit Limetten und Minze. In den meisten Restaurants ist dieses Angebot jedoch nach wie vor unüblich. Viele Wirte reagieren auf die Frage nach Leitungswasser, als müssten sie es sich erst mühsam aus den Adern pressen. Auf Nachfrage gerne ein Glas, heißt es in einer Münchner Weinbar, aber bitteschön keine Karaffe. Schließlich wolle man ja noch Umsatz machen.

Nervensägen und Schnorrer

Wer Leitungswasser verlangt, bekommt oft das Gefühl, einen Sonderwunsch zu äußern, der Bedienung auf die Nerven zu gehen, etwas geschenkt zu bekommen, das man ihm nur ungern zugesteht. Leitungswasser-Besteller stehen unter dem Verdacht des Schnorrertums. Kein Wunder, dass sich viele von uns scheuen, danach zu fragen. Womöglich wäre es ohnehin die bessere Lösung, Leitungswasser zu einem angemessenen Festpreis anbieten. Servieren und reinigen, abfüllen und gegebenenfalls kühlen oder gar filtern kostet schließlich auch Geld. Umfragen zufolge wären immerhin 39 Prozent der Restaurantbesucher bereit, für Leitungswasser bis zu einen Euro pro Liter zu bezahlen. Oder man macht es wie in Italien und holt die Kosten durch das sogenannte Coperto wieder rein.

Doch die meisten Gastronomiebetriebe ziehen da nicht mit. "Das würde die Gäste womöglich erst auf die Idee bringen", sagt der Kellner der Weinbar. Und dann würde am Ende jeder nur noch das günstige Leitungswasser trinken! Aber ist die Befürchtung, dass Horden von Leitungswassertrinkern einfallen, wirklich realistisch? In Frankreich oder Griechenland sieht es jedenfalls nicht danach aus, als wären die Restaurantbesucher dort kollektiv von Wein auf Wasser umgestiegen. Es bestellt sich ja auch nicht jeder Gast Pommes, nur weil sie das billigste Gericht auf der Karte sind.

Kein Produkt hat eine derart große Gewinnspanne

Manch prominenter Restaurantbetreiber begegnet dem Problem auf seine Art. Til Schweiger und Steffen Henssler passten den Preis für ihr Leitungswasser kurzerhand an - nach oben, versteht sich. Im Hamburger Lokal "Barefood Deli" kostet der Liter aufbereitetes Wasser 4,20 Euro. Bei "Henssler & Henssler" zahlen Gäste sogar fünf Euro für 0,75 Liter. Rein rechtlich sind die beiden Gastronomen damit auf der sicheren Seite. Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Hotel- und Gaststätten liegt es im Ermessen des Wirts, ob und zu welchem Preis er Leitungswasser anbietet. Schließlich befinden wir uns in einer Marktwirtschaft.

Für durchschnittliche Gastronomiebetriebe, die solche Summen nicht ohne Weiteres verlangen können, ist Leitungswasser in der Karte zu einem offiziellen Preis in der Regel keine Option. Der Liter Trinkwasser kostet in Deutschland im Durchschnitt 0,2 Cent. Selbst wenn der Wirt das Tausendfache, also zwei Euro pro Liter, verlangen würde: "Der Gewinn, den Mineralwasser abwirft, ist höher und damit attraktiver", sagt Carl Schulze-Berndt, Geschäftsführer der Hotel- und Gaststätten-Beratungsgesellschaft HOGA München.

Tatsächlich hat kein anderes Produkt eine derart große Gewinnspanne wie Mineralwasser aus der Flasche. Nicht einmal Bier, schon gar nicht feste Nahrung. Deshalb verlangen Restaurants in der Regel relativ wenig für ihr Essen - und holen den Gewinn über die Getränke wieder rein. Besonders gut funktioniert das bei italienischem Mineralwasser wie San Pellegrino. Wie das Hamburger Abendblatt herausgefunden hat, zahlen Großabnehmer gerade mal 25 Cent je Liter, verlangen aber zum Teil mehr als das 30-Fache. Bei den 6,80 Euro, die unsere Münchner Gesellschaft an dem Abend pro Flasche bezahlt hat, ist nämlich noch lange nicht Schluss, in einem Hamburger Lokal am Stephansplatz etwa sind es 8,90 Euro.

Doch wie, bitteschön, kommen derartige Preise zustande? Was rechtfertigt eine solche Gewinnspanne? Laut Gastronomie-Berater Schulze-Berndt müssen viele Betriebe so kalkulieren, weil sie selbst unter Druck stehen: "Die meisten Restaurants und Gaststätten haben vertragliche Vereinbarungen mit Brauereien oder Getränkelieferanten zu erfüllen." Da kostet dann das Bier den Wirt mitunter sogar mehr als den Verbraucher im Getränkemarkt. Weil die Brauerei dafür ihr Mobiliar, die Theke oder den Garten zur Verfügung stellt.

Aber darf dieses Problem auf Restaurantbesucher abgewälzt werden? Und warum gerade bei einem derart schlichten Getränk? In Anbetracht der Preisentwicklung, die Mineralwasser in den vergangenen Jahrzehnten im Vergleich mit anderen alkoholfreien Getränken durchgemacht hat, gewinnt man eher den Eindruck, dass die Wirte dafür nicht nur so viel verlangen, weil sie müssen. Sondern weil sie es können.

Damit wir lieber zur Flasche greifen, bieten viele Restaurants mittlerweile mehr als nur Wasser - und servieren den Lifestyle gleich mit. Da werden Eigenschaften beworben (und in bare Münze umgesetzt), die ein Mineralwasser eigentlich gar nicht braucht: Wasser mit Goldflitter, bei Vollmond abgefüllt, Gletschereis oder tasmanische Regentropfen, Gourmetwässerlein in kleinformatigen Designerfläschchen, mitunter gar schwarzes Wasser mit Aktivkohle - "garantiert kalorien-, zucker- und fettfrei". Wenn das kein Argument ist.

Der Kult treibt teilweise absurde Blüten, wie etwa das Chichi-Wasser der Marke Bling, das in einer mit Swarovski-Kristallen besetzten Flasche daherkommt. Nach Einschätzung des Münchner Wassersommeliers Peter Schropp geht das Produkt inhaltlich nicht über ein "08/15-Wasser" hinaus - ganz anders der Preis: Bis zu 100 Euro zahlen Gäste pro Flasche. Der Trend zur Huldigung solcher Designerwasser nicht zuletzt durch die weibliche Kundschaft, die sich auch gerne mal Thermalwasser ins Gesicht sprüht, dürfte die Wirte nur ermutigen.

Wer so etwas trinken und bezahlen möchte, soll das gerne tun. Aber für stinknormales Mineralwasser muss es doch möglich sein, einen normalen Preis zu verlangen! Seine Gäste zu verprellen, ist sicher auch nicht gerade förderlich für den Umsatz: Auf lange Sicht dürften immer weniger Gäste bereit sein, diese abgehobene Preisentwicklung mitzutragen. Weil es nicht sein kann, dass man uns Leitungswasser vorenthält. Und uns stattdessen zur Bestellung eines überteuerten Mineralwassers nötigt, das im Einkauf nicht mehr kostet als Discountwasser in der PET-Flasche.

Die Debatte ums Leitungswasser hat ein Slowfood-Restaurant im Münchner Stadtteil Schwabing übrigens schon lange für sich geklärt. Im "Heimwerk" können sich die Gäste ihr Glas an einem Trinkwasserbrunnen selbst füllen. "Uns tut es nicht weh, und der Gast freut sich darüber", sagt Mitarbeiterin Katharina Holderied. So würden beide Seiten profitieren: "Wenn wir schon nichts daran verdienen, haben wir damit wenigstens keine Arbeit. Und der Gast muss nicht jedes Mal fragen - und sich nicht genieren."

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