Designerin Stella Jean:Die Völkerversteherin

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(Foto: Andrea Benedetti/Stella Jean)

Die Designerin Stella Jean ist Mailands neue Modehoffnung. Ihr Look: Vichy-Karo, italienische Streifen, Hawaii-Prints und afrikanischer Wax. Was sie gar nicht mag: den Klischee-Stempel "Ethno" oder "Afrika". Ein Atelierbesuch.

Von Julia Werner

Geschmackvoller als anderswo sind die Industriegebiete in Italien auch nicht. Wer an den Gebäuden vorbeifährt, die im Lira-Rausch der Achtzigerjahre erbaut wurden, käme nie auf die Idee, was sich hinter den angezählten Spiegelfassaden verbirgt. Mal werden dort Alaïa-Kleider gestrickt, mal Prada-Taschen zusammengesetzt. In annähernd jedem noch so verschlafenen Winkel wird Mode gemacht.

So auch in Cesena, einem kleinen Ort unweit von Rimini. In einem schmucklosen Betonkasten gegenüber des Gemüse-Großmarkts arbeitet Stella Jean, die große Neuentdeckung der italienischen Mode. 2011 gewann die italienisch-haitianische Designerin den "Who's on Next"-Talent-Wettbewerb, ausgerichtet von Franca Sozzani, der Chefredakteurin der italienischen Vogue. Mittlerweile ist viel passiert: Die Sozzani etwa trägt längst selbst Stella Jean. Ein bisschen dabei geholfen hat wohl auch der Großmeister der italienischen Mode, Giorgio Armani.

Weil ihm das mit der Nachwuchsförderung in Mailand etwas zu schleppend voranging, stellt er seit drei Saisons sein Show Venue, das Teatro Armani, ausgesuchten Talenten zur Verfügung - 550 Sitzplätze und sein gesamtes Kommunikationsteam inklusive. Stella Jean zeigte im vergangenen Jahr dort die Kollektion, die in diesem Sommer in den Läden hängt. Die coolen, lebenslustigen Fifties-Silhouetten waren bei großen Shopping-Websites wie matchesfashion.com oder mytheresa.com immer ziemlich schnell ausverkauft.

Aus Afrika auf den Laufsteg

Von einem schmucklosen Raum im Souterrain einer Bekleidungsfirma direkt auf die große Armani-Bühne, so kann es in der Modewelt laufen. Trotzdem ist das pragmatische Atelier der 34-jährigen Designerin alles andere als kühl. Überall liegen Schmuckstücke und Collagen herum. Um einen der Stühle am Tisch zu erreichen, muss man erst mal über verschiedene Berge leuchtend bunter Stoffe steigen. Es sind hauptsächlich solche Stoffe, die Frauen in Ostafrika so anmutig um ihre Körper drapieren. Verglichen mit den Seiden- und Kaschmirjuwelen der italienischen Weber, sind das ärmliche, einfache Materialien, die man sich fürs eigene Leben bisher höchstens als Kissenbezug auf der Teak-Terrasse vorstellen konnte. Bis jetzt.

Mittendrin in diesem farbenfrohen Chaos sitzt die Designerin, modelhübsch, mit schlichtem Pferdeschwanz und einem gestreiften Hemd zu Chinos im gleichen Rosé-Ton, ein sehr italienisch-aristokratischer Look. Dazu Oxford-Loafers. An ihren Handgelenken wippen unzählige bunte Armbänder, wenn sie beim Reden gestikuliert, so wie das Italiener eben tun. Sie ist Römerin, und doch schauen die meisten heute noch ungläubig, wenn sie das sagt. Denn Stella Jean ist die Tochter einer Haitianerin und eines Juweliers aus Turin, eines italienischen Signore mit Hunderten von Maßjacketts und -hemden im Schrank, für den "das Tragen eines T-Shirts physisches Leiden bedeutete". Ihre Mutter wiederum ist die Tochter des damaligen haitianischen Botschafters in Rom. Diese Herkunft ist also einerseits gute Voraussetzung für ein gutes Stilempfinden.

Designerin Stella Jean: Ihre Wurzeln fließen in ihre Mode mit ein: Stella Jean ist die Tochter einer Haitianerin und eines Italieners.

Ihre Wurzeln fließen in ihre Mode mit ein: Stella Jean ist die Tochter einer Haitianerin und eines Italieners.

Andererseits war es eine leicht traumatisierende Kindheit, wie die Designerin erzählt. Sie wuchs in Rom auf, besuchte französische und italienische Schulen. Allerdings: "Ich war Italienerin, aber die einzige mit dunkler Hautfarbe, und deshalb war ich für die anderen Ausländerin. Es war da immer etwas, was mich außen vor ließ - manchmal nur ein Blick. Wenn das, was in deinem Pass steht, angezweifelt wird, dann fragst du dich: Wer bin ich eigentlich?"

Endlich platzt der Knoten

Sie brauchte Jahre, um das zu verstehen, modelte für den Designer Egon von Fürstenberg, studierte ein paar Semester Politik und experimentierte irgendwann mit Stoffen. Sie beauftragte eine 84-jährige Textilkünstlerin, Herrenhemdstoffe zu bemalen. Ihre Kreationen zu tragen, das traute sie sich allerdings nicht. Zweimal flog sie beim "Who's on Next"-Wettbewerb mit ihren Entwürfen raus. Simonetta Gianfelici, Alta-Roma-Chefin und Jury-Mitglied, sah allerdings Potenzial. "Sie sagte zu mir: Versuch, du selbst zu sein. Streng dich nicht so an, schöne Kleider zu machen: Zeig mir dich selbst!"

Beim dritten Anlauf platzte der Knoten. Stella Jean machte aus bunten Wax-Stoffen Röcke und kombinierte sie mit den kühl-eleganten Streifen der Herrenhemden aus Papas Kleiderschrank. Sie nennt das: Wax-and-Stripe-Philosophie. Und sie kam in die Endrunde. Die Jury, besetzt unter anderen mit Suzy Menkes, begutachtete ihre Kollektion zunächst auf dem Kleiderständer, der, wie Stella Jean lachend erzählt, wirkte wie eine explodierte Nomadenkarawane. Bei Talentwettbewerben steht der Gewinner ja eigentlich schon nach dieser Begutachtung fest. Aber 2011 war alles anders: Als die Jury Stella Jeans Kollektion auf dem Laufsteg sah und die Einzelteile im Mix plötzlich Sinn ergaben, änderte sie ihre Entscheidung im letzten Moment. Sie gewann.

Die eigene Biografie als Mode

Selten sind Kleider so sehr mit der eigenen Lebensgeschichte verknüpft wie bei Stella Jean. Die Linie sei dabei immer italienisch, "das ist wichtig, weil die Stoffe, so weit von unserem eigenen Leben entfernt, für uns sonst immer genauso weit weg bleiben würden". Man könnte auch sagen: Die Schneiderkunst der alten Welt trifft auf den Rest der Welt. Sie ist damit der Gegenpol zu jungen Designern wie Mary Katrantzou oder Erdem, die ihre Looks durch die Hightech-Brille entwerfen und ihre hochmodernen Materialien digital bedrucken - so, dass sich Zuschnitt und Genauigkeit des Musters schon vorher kalkulieren lassen.

Stoffe von heute können nämlich so ziemlich alles: einen Schnitt mit steifer Festigkeit vereinfachen, Leichtigkeit vortäuschen, Volumen geben. Die traditionellen Stoffe sind anders, sehr leicht etwa, weil sie kühlen müssen, was sie nicht gerade standfester macht. Die Römerin modelliert diese Stoffe, mit Futter aus gestreifter Herrenhemdbaumwolle, mit geschickt gesetzten Nähten, ausgeklügelten Schnitten. Weil sie nie Mode studiert hat, entwickelt sie ihre Stücke mit Modellistinnen an der Puppe, ganz so wie Coco Chanel.

Designerin Stella Jean: Mode von Stella Jean: Exotische Stoffe, raffiniert verschmolzen mit klassischer Herrenhemd-Optik.

Mode von Stella Jean: Exotische Stoffe, raffiniert verschmolzen mit klassischer Herrenhemd-Optik.

(Foto: PR)

Vier Tage die Woche arbeitet sie in Cesena oder in Mailand, den Rest der Zeit in Rom bei ihren beiden Kindern, die beim Ex-Mann leben, wenn sie nicht da ist. Sie könnte es sich natürlich sehr viel einfacher machen, kommerzieller werden. Aber Giorgio Armani habe sie bei ihrer Show in seinem Teatro darin bestärkt, nicht dem Mainstream, sondern der eigenen Vision zu folgen. So werden diese wunderschönen Stoffe mit den begrenzten technischen Möglichkeiten stets das Herzstück ihrer Kollektion sein, auch wenn sie immer wieder auf neue Länder treffen. Japan zum Beispiel oder, wie in der vergangenen Winterkollektion, auf Check-Prints aus Schottland.

"Ich will mit meinen Looks erzählen, dass Multinationalität funktionieren kann", erklärt Stella Jean. "Dass man keine Angst vor einer fremden Ästhetik haben muss. Man gibt seine eigene Kultur ja nicht auf, wenn man eine andere trifft." Sie sagt das mit großer Weltenretter-Leidenschaft in der Stimme, und gleichzeitig mit diesem vornehmen Akzent, der das rollende italienische "R" verschluckt und den man nur in den besseren Kreisen Italiens spricht, unter Adligen und Agnellis.

Keine ästhetischen Zufälle

Bei der Herstellung der Stoffe arbeitet Jean mit dem International Trade Center der Vereinten Nationen zusammen, das die Mikro-Unternehmen afrikanischer und haitianischer Weberinnen finanziert. Nicht immer weiß man vorher, was genau für einen Stoff man aus Burkina Faso oder Mali bekommen wird. Trotzdem überwiegt wilde Entschlossenheit die Charity-Mentalität: die, aus diesen Materialien Kleider zu machen, die Frauen wirklich im eigenen Kleiderschrank haben wollen.

Designerin Stella Jean: Für ihre Kollektion verarbeitet Stella Jean Stoffe aus allen Winkeln der Welt.

Für ihre Kollektion verarbeitet Stella Jean Stoffe aus allen Winkeln der Welt.

(Foto: PR)

"Wenn ich dem, was ich tue, keinen Sinn gebe, sondern nur hübsche Sachen mache, dann gibt es für mich keinen Grund, es zu tun", sagt sie. So gibt es in ihrer Kollektion keine rein ästhetischen Zufälle. Sie zeigt auf einen Look aus einer vergangenen Sommerkollektion: Vichy-Karo, italienische Streifen, Hawaii-Prints und afrikanischer Wax - ein Outfit, aber auch ein Dialog der Kontinente. Anderer Look: ein Turban auf dem Kopf, dazu Modeschmuck im Stil des 19. Jahrhunderts. "Die Haitianer sind das erste unabhängige schwarze Volk. Ich habe mir immer vorgestellt, wie sie zum Zeitpunkt ihrer Befreiung die Häuser der Kolonialherren betraten und sich den Schmuck der Damen anlegten."

Stella Jean will von der großen Zentrifuge der Kulturen erzählen, in der nichts so ist, wie es scheint. Wax-Stoffe etwa, von denen alle glauben, sie seien eine afrikanische Tradition, sind in Wahrheit aus dem indonesischen Java, wurden von den Holländern zur Kolonialzeit nach Afrika exportiert - und kommen jetzt zu uns.

Die Designerin mag es gar nicht, wenn die Presse einer Kollektion den Stempel "Ethno" oder "Afrika" aufdrückt. Die Wahrheit ist ja immer differenzierter, aber das Einzige, was die Leute interessiert, ist das ewige Klischee. Und dann wird sie wieder ganz ernst, wenn sie sagt: "Meine Arbeit ist bisher nur ein ästhetisches Ergebnis. Aber irgendwann muss das doch auch im wahren Leben funktionieren!" Zumindest funktioniert Stella Jeans Mode schon mal gut in Sachen Völkerverständigung.

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