Designer-Abgänge:Burnout der Mode

Christian Dior : Runway - Paris Fashion Week Womenswear Spring/Summer 2016

Raf Simons nach seiner letzten Dior-Schau.

(Foto: Getty)

Erst Alexander Wang, dann Raf Simons und jetzt auch noch Alber Elbaz: In wenigen Wochen sind drei der wichtigsten Modedesigner von ihrem Amt zurück getreten - oder enthoben worden. Der Druck ist einfach zu groß geworden.

Von Dennis Braatz

Als Dior vergangene Woche den Rücktritt von Designer Raf Simons bekannt gab, schoss das so schnell durchs Netz wie keine andere Nachricht aus der Modewelt. Erst Bekundungen auf Instagram und Twitter ("We will miss you, Raf!"), dann Fotogalerien seiner schönsten Looks auf Facebook ("Dior and Raf"). Schließlich die ersten Deutungsversuche auf Blogs und Zeitungsseiten ("Why?"). Alles in gerade mal vier Stunden. Wer sich kurz einklickte, hätte denken können, Raf sei gerade gestorben.

In Wahrheit lief sein Arbeitsvertrag aus, nach dreieinhalb Jahren. Verlängern wolle er nicht, "aus persönlichen Gründen", wie offiziell mitgeteilt wurde. So verabschiedete sich vor ein paar Wochen auch Alexander Wang von Balenciaga. Alber Elbaz musste am Mittwoch bei Lanvin gehen. Zufall?

Zuerst mal eine Überraschung, weil diese Marken, allen voran der Luxus-Koloss Dior, für einen Designer das Höchste sind, was er an Ruhm und Ehre erreichen kann. Dann ein Schock, wenn man überlegt, wie Raf Simons Dior nach dem Skandal um Vorgänger John Galliano ("Ich liebe Hitler") aus der Krise half: Die Umsatzzahlen steigerte er quartalsweise zweistellig, bis heute. Und Lanvin wäre ohne Alber Elbaz immer noch ein vergessenes Geschäft in Paris. Trotzdem ist ihr Abgang verständlich.

Die Spirale der Superlative: 400 000 Ritterspornblüten schmückten den Laufsteg

Simons sah das schnelle, konsumorientierte Modesystem stets kritisch. Blitzlichtgewitter sind nichts für ihn, schon als Chef bei Jil Sander ging er nicht gern auf den Laufsteg. Für Dior musste er pro Jahr je zwei Haupt- und Zwischenkollektionen für Prêt-à-Porter, zwei für die Haute Couture und für jede einzelne davon Accessoires, Interviews und Schauen stemmen - neben der eigenen Männermarke. Darauf angesprochen, sagt er in einem Dior-Dokumentarfilm: "It's heavy!". Das war kurz nach seinem Amtsantritt.

Das Modesystem ist seitdem noch schneller geworden. Zwischenkollektionen verkaufen sich immer besser, ihre Inszenierung wird spektakulärer. Damit die Schauen der Hauptkollektionen dagegen nicht langweilig aussehen, werden auch sie aufwendiger, Diors letzte fand unter einem Berg aus 400 000 Ritterspornblumen statt. Das macht sie in den sozialen Medien zu Spektakeln, die tausendfach gepostet, zehntausendfach geliked und geteilt werden und Millionen Menschen erreichen. Interessiert noch jemanden die Mode? Egal! So einfach geht Werbung. Weshalb neuerdings jede Kampagne, jede Tasche, jeder noch so kleine Schnipsel genauso funktionieren soll - und fertig ist eine Informationsflut, die User nur bewältigen, indem sie wahllos mitmachen. Viral-mediale Scoops für Häuser wie Dior werden schwieriger, der Druck auf einen wie Raf Simons steigt. Eine einzige überhitzte Leistungsspirale.

Alber Elbaz sagt: "Wir Designer haben mal als Couturiers angefangen, mit Träumen, Werten, Gefühlen. Dann wurden wir Kreativdirektoren. Heute sind wir für das Image zuständig und dazu da, dass die Bilder gut aussehen. Sie müssen von den Bildschirmen schreien."

Dass sich das Modesystem selbst abschaffen könnte, weil die guten Kreativen abhauen oder gehen müssen, wenn sie einfach nicht alles mitmachen wollen - das wurde schon diskutiert. Auch jetzt werden große Marken wieder zu mehr Verantwortung aufgefordert. Eine Spirale kann aber nie allein an einer Stelle unterbrochen werden. Das hier geht also auch alle Instagram-Bekunder, Facebook-Galerie-Hochlader und Schnellfeuer-Kommentatoren an, die am Tag nach den Rücktritten die Bedeutung der Nachricht längst aus dem Blick verloren hatten. Weil sie mit ihren Spekulationen über mögliche Nachfolger bereits dem nächsten Scoop hinterherjagen. Was die Neuen vor allem brauchen? Stoische Gelassenheit.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: