Design:Neues Licht, alte Formen

Strickmöbel, skulpturale Leuchten und eine minimalistische Sandale: Fünf Trendbeobachtungen vom 56. Salone del Mobile in Mailand.

Von Max Scharnigg

Eine ganze Frühlingswoche lang befindet sich Mailand in einem Ausnahmezustand, der mit dem Begriff "Möbelmesse" nur unzureichend erklärt ist. Was mal eine trockene Fachmesse war, ähnelt mittlerweile eher einem Festival und deckt den ziemlich breiten Stil-Horizont zwischen Architektur und Mode ab. Mehr als 340 000 Besucher kamen vom 4. bis zum 9. April zum Salone del Mobile, um die Neuheiten der Hersteller, die Designer, Vernissagen und Showrooms zu sehen. Für alle, die nicht dort waren, hier fünf Notizen aus Mailand:

Licht wird Kunst

Design: Wie zart LED-Technik sein kann, zeigte das Studio Formafantasma.

Wie zart LED-Technik sein kann, zeigte das Studio Formafantasma.

(Foto: Masiar Pasquali)

Die Mailänder Möbelmesse spielt traditionell auf zwei großen Bühnen: einmal auf dem riesigen Messegelände im Vorort Rho und dann an Dutzenden Orten in der Stadt, an denen im Rahmen des sogenannten Fuorisalone Ausstellungen und Showrooms eingerichtet werden. Morgens hastet also alles durch die Messehallen, nachmittags und abends kreuzen die Besucher mit Taxen wild durch die City, um zumindest einen kleinen Teil der Spielorte abzuhaken. Der Showroom, der diesmal am dringendsten weiterempfohlen wurde, war der von Formafantasma. Die Licht-Avantgardisten aus den Niederlanden zeigten in einem stillen Saal in Brera, wie poetisch man die neue LED-Technik in Form bringen kann: Zarte Messing-Strukturen schwebten an der Decke, aus denen winzige Dioden durch Prismen gebündelte Lichtkegel auf den Boden zauberten, überall hingen filigrane Leuchtstäbe oder Farbraster mit buntem Schatten - fast hatte man das Gefühl, einer Vorstellung in Lichtgymnastik beizuwohnen.

Auch die Aussteller auf dem Messegelände experimentierten mit LED-Möglichkeiten und zeigten, dass Licht von nun an fast wie ein Bauteil verwendet werden kann, jedenfalls nahezu unbegrenzt verform- und versteckbar ist. Besonders knifflig, aber auch spektakulär war dabei die Zusammenarbeit des Münchner Designers Stefan Diez mit dem spanischen Lampenhersteller Vibia. Am Ende langer Testreihen standen Zylinder aus Borosilikatglas mit eingelassenen Leuchtdioden, die für einen erstaunlichen Effekt sorgten: Das Licht wird an die Kanten des Glaskreises geleitet und tritt dort als Strahlenkreis aus, die Lichtquelle bleibt unsichtbar. Die Idee solcher aus sich selbst leuchtenden Gefäße ist faszinierend und wird die Designer weiter beschäftigen. Die Lichthallen in Mailand jedenfalls fühlten sich dieses Jahr sehr nach zeitgenössischer Kunst an. Lustig nur, dass ausgerechnet ein amtlicher Lichtkünstler wie Ólafur Elíasson ein Regal vorstellte, das als Prototyp bei Moroso zu sehen war.

Spannung, bitte!

Design: Den Stand von Moroso hatte Patricia Urquiola mitgestaltet und brachte den Flecht- und Knottrend ziemlich auf den Punkt.

Den Stand von Moroso hatte Patricia Urquiola mitgestaltet und brachte den Flecht- und Knottrend ziemlich auf den Punkt.

(Foto: PR)

Ob Rattan, Seile, recycelte Kunststoffgurte, Bambus, Lederriemen, Drahtgitter - moderne Netz- und Web-Strukturen waren das große Thema dieser Messe, und das war keineswegs digital gemeint. Nein, Rückenlehnen und Sesselschalen, Tischkonstruktionen und Trennwände mussten verwoben, geknüpft, geflochten und aufgewickelt sein, fast jeder der großen Hersteller hatte etwas Neues in dieser Optik im Angebot. Was reizt die Designer jetzt gerade daran? Vielleicht die Mischung aus Retro-Style, modernen Materialien und Leichtigkeit. Die neuen Flecht-Möbel verwischen aber auch den Übergang von drinnen nach draußen. Viele der Stände waren wie eine Mischung aus Garten und Wohnzimmer inszeniert, und das ist wohl eine Botschaft, die sich mit beweglichen und trotzdem stabilen Flechtmöbeln gut ausdrücken lässt: Modernes Mobiliar ist nicht mehr auf einen Bereich im Haus fixiert, sondern variabel einsetzbar. Ein Traditionshersteller wie Bonacina, der seit mehr als 120 Jahren kunstvolle und puristische Rattanmöbel anbietet, fand sich so plötzlich im Mittelpunkt eines Ästhetik-Trends wieder. Neben diesen klassischen Flechtformen war die Vielfalt der Spanntechniken beeindruckend: Mal sind sie, wie bei Louis Vuitton, zu mauretanisch anmutenden Lederriemen-Mustern oder Hängematten verknotet, mal wie von Sebastian Herkner für Ames als quietschbunte Sitzgarnitur geschnürt, die an die Wäscheleinen-Sonnenliegen der Siebzigerjahre erinnert. Sofa und Sessel der neuen Ikea-PS-Kollektion sehen dagegen mit ihren Metallgittern ein bisschen aus wie Klappmöbel, gemacht aus Gartenzaun, sind aber fürs Wohnzimmer gedacht. Alles also "Objets Nomades", wie Louis Vuitton seine Mailänder Sonderausstellung so treffend betitelte? Vielleicht ist es aber auch nur der Versuch, den Rückzug ins Private etwas luftiger und weniger blickdicht zu gestalten.

Farbe wird weniger

Design: Vitra setzt wie viele andere Gelb als Kontrast zu einer sonst ruhigen Farbpalette ein.

Vitra setzt wie viele andere Gelb als Kontrast zu einer sonst ruhigen Farbpalette ein.

(Foto: Florian Böhm/Studio AKFB)

Die beherrschenden Farbtöne der letzten Jahre waren gerade bei den jüngeren Herstellern eine pastellige Bonbonpalette, alles musste rosa, hellgrün, lindblau sein und stand am besten polychrom nebeneinander. Diese fröhliche Puppenstuben-Optik hat sich dieses Jahr ein bisschen abgeschwächt, die beiden neuen Farbtöne des dänischen Zeitgeist-Labels Muuto etwa sind exakt zwei: Nude und Oliv. Das sind genau die Nicht-Farben, die auch auf den Laufstegen zuletzt eine große Rolle gespielt haben. Es wird allgemein also wieder etwas dezenter eingerichtet, aber Farbe oder Muster bleiben immer noch ein Muss für die Designer. Unlackierte Flächen oder Massivholz waren vergleichsweise wenig zu sehen. Viele Hersteller setzen aber zusätzlich zum neuen Farbgeiz in ihren gezeigten Ideal-Interieurs auf ausgewählte Störer, am liebsten in Knallgelb. Deswegen tauchte diese Alarmfarbe in fast allen neuen Paletten, egal ob für Sofastoffe oder Stuhllackierungen, prominent auf.

Mode macht Möbel

Der Salone del Mobile lockt jedes Jahr mehr Branchen an, die das geballte Design-Publikum nutzen, um ihre Projekte und Produkte vorzustellen. Unterhaltungselektronik, Autos und Mode bildeten deshalb wieder das Rahmenprogramm. Dieses Jahr war die Präsenz der Modemarken aber auch in den Möbelhallen sehr deutlich. Diesel etwa zeigte in Zusammenarbeit mit Moroso und Foscarini eine komplette und stilistisch sehr eigenständige Home-Kollektion, die mit viel Samt, Rauchglas und Kakteen-Muster an einen Roadtrip durch Nevada in den Sixties erinnerte. Fendi Casa lotet schon seit einigen Jahren die elegante Wohnumgebung zu ihrer Luxusmode aus, Armani hat pünktlich zur Messe den weltweit größten Flagship-Store seiner Interieur-Linie auf dem Corso Venezia bezogen, und Marni präsentierte ein sehr buntes und verspieltes Sortiment an Home-Accessoires, unter anderem mit Fahrradtaschen und Drahtpinguinen, die keine weitere Funktion hatten als: niedlich, lass mal instagrammen! Mode will sich aber nicht nur mit Interieurs schmücken, das funktioniert auch andersherum. Jedenfalls hat der für seine minimalistische Formsprache bekannte britische Produktdesigner Jasper Morrison eine Sandale entworfen und mit der Schuhfirma Camper präsentiert: minimalistisch zwar, mit japanisch inspirierter Tatami-Matte als Fußbett - aber auch ziemlich bequem. Mal sehen, wie viele Besucher nächstes Jahr damit den Messemarathon in Mailand bewältigen.

Marcel Wanders

Design: Marcel Wanders ist der Designer der Stunde.

Marcel Wanders ist der Designer der Stunde.

(Foto: PR)

Jeder Salone hat seinen inoffiziellen König, einen Designer, der die meiste Aufmerksamkeit bekommt, weil er mit den spannendsten Labels und Entwürfen vertreten ist. Das war in diesem Jahr wohl der Niederländer Marcel Wanders, der seit mehr als 20 Jahren ein eigenes Designbüro in Amsterdam betreibt. Er ist eher dem extravaganten Lager zuzuschreiben, seine Entwürfe passen deshalb gut in den aktuellen Dekor-Zeitgeist: Sinnliche Formen und ein bisschen Dekadenz treffen auf Funktion und moderne Stilsprache. Wie vielseitig er ist, zeigte Wanders dieses Jahr bei etlichen Herstellern. Seine nostalgische Zirkus-Kollektion für Tischaccessoires von Alessi sieht aus wie in einem Spielzeugmuseum geklaut, aus Muranoglas gestaltete er opulente Lampen für Barovier & Toso, dann gab es eine Badeinrichtung für Laufen und natürlich noch Louis Vuitton. Die Luxustäschner schafften es mit ihrer gefeierten Kollektion "Objets Nomades", üppige Möbelentwürfe, höchste Handwerkskunst und die besten Designer der Welt zusammenzutrommeln. Wanders lederbezogener Schaukelstuhl und sein Raumtrenner aus kunstvoll verflochtenen Lederriemen gehörten dabei zu den meistfotografierten Objekten, für die die Besucher vor dem Palazzo Bocconi lange Wartezeiten in Kauf nahmen.

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