Den Geheimnis auf der Spur:Galgenvogel als Dichter

Villon beim Dichten / Job. - -

Seine ersten Erfahrungen mit schweren Jungs machte der weltberühmte Dichter Villon wohl während des Studiums.

(Foto: akg-images)

Der unsterbliche französische Poet François Villon wurde immer wieder straffällig - und verschwand am Ende spurlos vom Erdboden. Wer war er wirklich?

Von Florian Welle

Du", haucht Klaus Kinski, "ich bin so wild nach deinem Erdbeermund." Der Schauspieler mit der großen Klappe spricht zu Beginn seiner Villon-Lesungen leise. Fleht, säuselt gar. Vom schwarzen Haar und tiefen Erdbeertal. Erst in den anderen Gedichten zieht er alle Register, bramarbasiert, lacht affektiert. Die Aufnahmen aus den Fünfzigerjahren sind legendär. Bis heute prägen sie das Bild von François Villon als liebestoll schnodderndem, sozialrevolutionärem Wüstling des Spätmittelalters. Es gibt nur einen Haken: Sie haben mit Leben und Werk des Poeten nur ansatzweise etwas gemein.

Als Textgrundlage für die Rezitationen benutzte Kinski "Die lasterhaften Balladen und Lieder des François Villon. Nachdichtung von Paul Zech". Man mag es dem streckenweise gemeingefährlichen Egomanen noch nachsehen, dass er einst das Wörtchen "Nachdichtung" geflissentlich überlas. Nach heutigem Forschungsstand ist es jedoch unverzeihlich. Denn um nichts anderes als eine freie Nachschöpfung handelt es sich bei dem 1931 erstmals erschienenen Werk von Paul Zech.

Wer aber war dieser unerhört modern dichtende François Villon wirklich?

Dafür griff der Lyriker hauptsächlich auf die erste bedeutende Übersetzung in deutscher Sprache zurück - K.L. Ammers "François Villon. Des Meisters Werke" von 1907. Zech macht, was ihm gefällt. Er kürzt, ergänzt und dichtet den Franzosen zum Bänkelsänger um. Und er schiebt ihm neue Texte unter - so besitzt das Erdbeermund-Poem überhaupt kein Vorbild bei Villon. Mit Erfolg: Zechs Werk gilt hierzulande als einer der meist verkauften Lyrik-Bände. Randbemerkung: Auch Brecht hatte schon 1928 die Verwendung von Villon-Gedichten für die "Dreigroschenoper" nicht gescheut. Plagiatsvorwürfe hin oder her.

Wer aber war dieser so unerhört modern dichtende François Villon wirklich, der noch Hunderte Jahre später die Gemüter diesseits und jenseits des Rheins bewegte?

Über sein Leben ist wenig bekannt. So wenig, dass sich einmal ein Philologe zu der These verstieg, Villon sei ein Pseudonym. Ein anderer hätte unter diesem Namen gedichtet. Dies ist mittlerweile widerlegt, trotzdem gilt noch immer, was in der Werkausgabe von Pierre Michel steht: "Alle Kritiker sind sich heute einig, dass es ein Geheimnis Villon gibt, wie es ein Geheimnis Homer und ein Geheimnis Shakespeare gibt. Aber über diese Tatsache reicht die Einigkeit nicht hinaus."

Was wir über Villon wissen, stammt hauptsächlich aus sechs Quellen, die den Namen in Verbindung mit kriminellen Delikten erwähnen - ohne sie würde man nahezu vollständig im Dunklen tappen. Sowie aus den Angaben, die der Dichter etwa in sein Opus magnum "Das Testament" (1461/62), eingestreut hat.

Man vermutet, dass François Villon 1431 in Paris geboren wurde. Der Vater starb früh, und das Kind kam in die Obhut des Kaplans Guillaume de Villon. Von ihm übernahm Villon den Nachnamen. Das geht aus einer von zwei Begnadigungsurkunden von 1456 hervor. Dort wird er geführt als "François des Loges, auch Villon genannt". Was war geschehen?

1452 firmierte der Anfang Zwanzigjährige als Magister, doch während des anschließenden Theologiestudiums scheint er auf die schiefe Bahn geraten zu sein. Gut möglich, dass er sich mit den "Coquillards", den Muschelbrüdern, herumtrieb, einer Vereinigung schwerer Jungs. Am 5. Juni 1455 kam es zwischen Villon und einem ebenfalls kriminellen Kleriker zum blutigen Streit, an dessen Folgen letzterer starb. Villon floh. Aus der Ferne hoffte er, die Gnadengesuche, in denen er auf Notwehr plädierte, würden erhört werden.

Schon ein halbes Jahr später konnte Villon zurückkehren. Nur um abermals straffällig zu werden. An Weihnachten 1456 brach er mit ehemaligen Studienkollegen ins Collège de Navarre ein und erbeutete 500 Goldtaler. Ehe er sich absetzte, entstand als Abschiedsgeschenk für die halbseidenen Freunde die erste größere Dichtung: das Legat, eine Mischung aus Minneklage und Testament, in dem Villon bereits wider den Stachel der Obrigkeit löckte. Seine Arbeiten werden später noch an Schärfe, Witz und Spott gewinnen, auch in den Jargon-Balladen, die nur für die Kumpane wirklich verständlich waren.

Villon entging dem Galgen wohl nur, weil der Herzog Charles d'Orléans aus Anlass der Geburt seiner Tochter Marie im Dezember 1457 eine Amnestie erließ. Was er in den Jahren danach trieb, ist unbekannt. Schenkt man den Strophen des "Testaments" Glauben, dann schmachtete er 1461 im Kerker des Bischofs von Orléans. Erneut kam er nur dank einer Amnestie frei. Diesmal sprach sie der frisch gekürte König Ludwig XI. aus.

Auch wenn Villon Besserung schwor: Ende 1462 geriet er wieder in eine Messerstecherei. Obwohl er sich raushielt, verhaftete man ihn. Die Richter verurteilten den notorischen Provokateur und Kriminellen zum Tode. Der berühmte Vierzeiler entsteht, der in der Übersetzung von Gert Pinkernell lautet: "Ich bin François, was mich bekümmert/gebürtig aus Paris nahe Pontoise/Und von dem Strick von einer Elle/wird mein Hals erfahren, was mein Hintern wiegt."

So weit kam es nicht. Villons Berufung gegen das unverhältnismäßig harte Urteil war erfolgreich. Der oberste Gerichtshof änderte es am 5. Januar 1463 um in zehn Jahre Verbannung aus Stadt und Umland. Danach verläuft sich Villons Spur. Wie er lebte, wann er starb? Wir wissen es nicht. Überlebt haben seine Werke. Bereits 1489 erschien in Paris die erste Villon-Ausgabe, die bereits 90 Prozent der heute bekannten Texte enthielt und den Grundstein legte für seinen Ruhm als einer der bedeutendsten Lyriker nicht nur Frankreichs.

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