Quarantänestation Poveglia:Die Geisterinsel vor den Toren Venedigs

Quarantänestation Poveglia: Verfallene Gebäude auf der unbewohnten Insel Poveglia.

Verfallene Gebäude auf der unbewohnten Insel Poveglia.

(Foto: Alamy/mauritius)

Wo man leicht irre wird: Auf der kleinen Insel Poveglia in der Lagune von Venedig sollen seit Jahrhunderten die schauerlichsten Dinge geschehen.

Von Florian Welle

Isole del Dolore - Inseln des Schmerzes - werden die kleinen Flecken Erde, die sich in der Lagune von Venedig tummeln, von den Einheimischen genannt. Die Gründe: Das Inselchen Lazzaretto Vecchio beherbergte von 1423 an für Jahrhunderte eine Quarantänestation für Pestkranke.

Auf San Servolo wandelte man 1725 das bereits als Lazarett genutzte Kloster in eine Psychiatrie um. Rund 150 Jahre später erhielt auch San Clemente eine bald berüchtigte psychiatrische Anstalt, die schließlich bis 1992 existieren sollte. Die Bewohner: Frauen.

Orte, an denen unzählige Menschen viel (er)leiden mussten, begünstigen seit jeher die Entstehung von Spuk- und Gespenstergeschichten. Über keines der Lagunen-Eilande existieren aber so schaurig-schöne Horror-Stories wie über Poveglia.

Schon die Spitznamen für die gegenüber dem Örtchen Malamocco auf dem Lido di Venezia gelegene Insel sprechen Bände: "Island of Madness" nennen sie die einen. "Island of no Return" die anderen.

Geheimnisvoll raunende Namen, die man sich erst einmal verdienen muss. Vor allem, da die eine Hälfte der insgesamt etwa 2,5 Hektar großen Insel mit ihrer vorgelagerten achteckigen Festungsanlage nicht viel mehr zu bieten hat als alte Weinstöcke, verdorrte Gemüsebeete und wild rankendes Gestrüpp.

Handelt es sich da nicht um eine Idylle, die nur gestört wird durch das Gekreisch der Möwen, die sie umschwirren? Ein wenig verwunschen, mehr aber auch nicht?

Könnte man annehmen. Wären da nicht die aufgelassenen Gebäude im anderen Teil, den man über eine kleine Brücke erreicht: ein hochaufragender Campanile, der die Säkularisation überstand, während die Kirche San Vitale selbst abgerissen wurde, und der lange als Leuchtturm diente.

Vor allem aber der Gebäudekomplex, in dem von 1922 bis in die späten Sechzigerjahre hinein Kranke und Alte behandelt und gepflegt wurden.

Dann gab man das Areal auf. Wie kurze Zeit später die gesamte Insel, die seither unbewohnt und für die Öffentlichkeit (eigentlich) nicht zugänglich ist, während etwa auf San Clemente mittlerweile die Schönen und Reichen hinter luxussanierten Hotelmauern ihren sicherlich süßen Träumen nachhängen.

Poveglia hingegen hat sich in all den Jahren langsam aber sicher in einen typischen Lost Place verwandelt, dem es genauso erging, wie vielen anderen verlorenen und verlassenen Orten: die Legenden begannen so wild zu wuchern wie die Natur, die sich ihren Platz zurückeroberte.

Das Gerücht vom verrückten Professor

Seitdem sind viele ziemlich fest davon überzeugt, dass Krankenhaus und Altenheim auf Poveglia in Wahrheit eine Irrenanstalt gewesen sind, in der ein verrückter Professor sein Unwesen trieb.

Mit allerlei Instrumenten habe dieser Arzt, von dem wir, oh Wunder, nicht einmal den Namen kennen, seine Patienten malträtiert und gefoltert, bis er sich selbst, wahlweise in geistiger Umnachtung oder besessen von den Geistern, die er rief und die noch heute auf der Insel herumspuken sollen, von einem Turm herunterstürzte.

Als angebliche Beweise kursieren im Netz mit stets unheimlich wabernder Musik unterlegte Fotos und Filmchen von verwaisten, schutt- und laubverdreckten Räumen, in denen verrostete Betten und klapprige Rollstühle herumstehen. Oft mal dazwischen montiert: Bilder, in denen Ärzte Menschen quälen. Schon heißt es, willkommen am gruseligsten Ort der Welt, wie Poveglia gerne genannt wird.

Unschwer zu erkennen, dass in diese Legende zahllose populäre Horrormythen eingeflossen sind. Dabei gibt die angebliche Geisterinsel auch ganz ohne Spuk und Trug Rätsel genug auf.

Das fängt beim Namen an und hört nicht unbedingt bei einem sehr berühmten Maler auf. Führen die einen Poveglia auf eine römische Adelsfamilie namens Popilia zurück, bringen andere sie mit dem üppigen Pappelbestand, italienisch: pioppo, in Verbindung.

Bei dem Künstler handelt es sich um niemand geringeren als den früh vollendeten Giorgione. Was insofern ziemlich passend ist, da viele seiner Gemälde, etwa "Das Gewitter", ein Mysterium für sich sind, über das die Kunstgeschichte bis heute debattiert.

Was wir über das kurze Leben Giorgiones wissen, ist dürftig, und so gibt es Quellen, die behaupten, er fand im Herbst 1510 33-jährig auf Poveglia seine letzte Ruhe, nachdem er zuvor in Venedig der Pest erlegen war.

Sicher ist, dass man die Insel, auf der so gut wie keine Menschen mehr lebten, Ende des 18. Jahrhunderts für eine Quarantänestation nutzte. In ihr brachte man neuerlich Pestkranke, später auch Cholerafälle unter. Ein Gedenk- und Warnstein aus dem Jahr 1793 trägt die Aufschrift: "Nicht graben, hier ruhen die, die an der Ansteckung starben."

Auf den entsprechenden Internetseiten geistern im wahrsten Sinne Zahlen herum, wonach in der Erde Poveglias weit mehr als Hunderttausend Tote liegen sollen. Diese Zahl gehört ins Reich der Legende wie so vieles, was man sich heute über das Eiland erzählt.

Der klamme Staat wollte das Nutzungsrecht versteigern - und scheiterte

Wahr hingegen ist, dass vor drei Jahren der notorisch klamme italienische Staat das 99-jährige Nutzungsrecht für das Eiland versteigern wollte. Es kam zu einem Bieterstreit zwischen einem privaten Investor und der Bürgerinitiative "Poveglia per tutti - Poveglia für alle". Sie wollte die Insel in einen öffentlichen Park verwandeln.

Der Investor bot mit knapp über einer halben Million Euro mehr als die venezianischen Bürger, was der Verwaltung aber immer noch zu wenig war. Der Deal platzte.

Und so blieb Poveglia bislang das Schicksal erspart, zu einem weiteren Luxusresort in der Lagune zu werden. Sehr zur Freude der in der vermeintlichen "Irrenanstalt" spukenden Geister und deren Fans auf der ganzen Welt.

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