Dem Geheimnis auf der Spur:Der unsichtbare Clown

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Ein unmöglicher Film: Jerry Lewis bei den Dreharbeiten zu "The Day the Clown Cried", 1972. (Foto: AFP)

Bis heute kennt so gut wie niemand den Film, den Hollywood-Star Jerry Lewis Anfang der Siebzigerjahre über einen Komiker im KZ gemacht hat.

Von Fritz Göttler

Das Publikum ist nicht wirklich überzeugt, als der große Künstler, der Clown Doork, eine Probe seiner Kunst vor ihm ablegt: "Wenn er Deutschlands größter Clown ist, dann gnade Gott dem Vaterland. Der große Doork! Und dafür kriegst du Geld? Ohne Essen hier zu hausen ist schlimm genug. Aber dass man dann noch so was anschauen muss . . . Du bist nicht der Clown, den ich erlebt habe. Du hast gelogen. Ja, du bist wirklich groß. Ein großer Lügner."

Helmut Doork, das ist eine Geschichte von Glanz und Elend. Deutschland in den Vierzigern, der einstige Star-Clown hat seine magische Power verloren. Er ist heruntergekommen, hat in seinem Grimm Hitler verspottet, ist verhaftet und ins KZ gesteckt worden. Dort soll er seinen Mitgefangenen noch einmal seine Kunst demonstrieren. Der Komiker Jerry Lewis verkörpert Doork in dem Film "The Day the Clown Cried", den er Anfang der Siebziger drehte. Es ist sein merkwürdigstes, schwierigstes, zweifelhaftestes Projekt.

Der Regisseur schloss den Film weg und begann allmählich, sein Sorgenkind zu verleugnen

Der Film wurde nicht fertiggestellt, ist nie in die Kinos gekommen, gilt vielen als der womöglich schlechteste Film der Welt, wird aber dennoch - oder gerade deshalb - von den Cineasten heftigst ersehnt. Ein obskures Objekt cineastischer Begierde? Ein los t film, wie es in der Kinogeschichte Tausende gibt? Eigentlich war der Film nie verloren, Jerry Lewis hat eine Kopie, eine Arbeitskopie, womöglich ein Negativ - die er uns aber alle vorenthält.

Nun ist die Erregung um den Film mal wieder hochgekocht, Anfang August schwirrten Meldungen durchs Netz, Jerry habe der Library of Congress in Washington, der Hüterin aller amerikanischen Kulturschätze, Kopien seiner Filme verkauft, darunter auch den "Clown". Die Library habe aber zugestimmt, den Film frühestens in zehn Jahren öffentlich zu zeigen. Das klingt, nach den Jahrzehnten der Ungewissheit, nach einem festen Versprechen, einem Date. Als würde Jerry, der nächsten März neunzig wird, mit dem Gedanken spielen, dass er dann womöglich gar nicht mehr unter den Lebenden weilt?

Anfang der Siebziger, als der "Clown" entstand, hatte die Geschichte des Jerry Lewis Höchstglanz gewonnen. Seit den Fünfzigern war er einer der erfolgreichsten amerikanischen Komiker gewesen, anfangs im Zusammenspiel mit Dean Martin, später dann allein, und schnell hatte er sich dann auch selbst an der Regie versucht - mit sarkastischen Prachtstücken zum American Way of life, "The Nutty Professor" oder "The Ladies' Man" - und war, über Kritiker-Fans in Frankreich, als veritabler Kino-Autor etabliert. (Im Münchner Leopoldkino lief über ein Jahr lang eine Jerry-Lewis-Retrospektive, ein Hit bei Studenten und anderen Intellektuellen.)

Der Clown-Film war ein bizarres Unternehmen von Anfang an. Das Drehbuch stammte von Joan O'Brien und Charles Denton, es ist im Internet zu lesen. Eine eher konventionelle Erlösungsgeschichte, Jerry Lewis hat sie auf seine Persona hin umgeschrieben, den Clown Doork sehr viel sympathischer gemacht. Jämmerlichkeit gehört zum Clownsprofil, aber es muss eine glamouröse Jämmerlichkeit sein. Die des Helmut Doork aber ist, schon vor dem KZ, nur noch schäbig und bitter. Sein Clownsgesicht fertigt er selber, aus Kreide und Kohle. Im KZ trifft er eine Gruppe jüdischer Kinder, die werden sein neues Publikum. Er versucht, die Schrecken des Lagers für sie zu mildern. Geht am Ende mit ihnen in die Gaskammer.

Es ist ein unmöglicher Film, die Schrecken des KZ und der Gaskammern lassen sich auf der Leinwand, mit Schauspielkunst und Inszenierung, nicht darstellen - auch durch Steven Spielberg nicht und nicht durch Roberto Benigni. Hat Jerry Lewis dies geahnt, als er den Dreh zu seinem "Clown", fernab von Hollywood, in Schweden, beendete? Natürlich kamen produktionstechnische Probleme dazu, die Finanzierung brach weg, Lewis musste eigenes Geld in das Projekt stecken, die Drehbuchautoren waren sauer über den neuen sympathischen Clown und meinten, die Option auf ihr Werk wäre verfallen. Lewis schloss den Film weg, eine Arbeitskopie, hoffte eine Zeit lang noch auf Fertigstellung (und eine Premiere auf dem Festival in Cannes) und begann dann allmählich, sein Sorgenkind zu verleugnen.

Wie wir uns den "Clown" vorzustellen haben, wird bis heute vor allem durch die Aussage des Schauspielers und Synchronsprechers Harry Shearer bestimmt, der ihn Ende der Siebziger sah. Im Magazin Spy orakelte er: "Mit den meisten solchen Dingern ist ja die Erwartung, das Konzept viel besser als das Ding selbst. Aber wenn man diesen Film sieht, das flößt einem wirklich Ehrfurcht ein, schließlich ist man selten in der Gegenwart eines perfekten Objekts. Dies war ein perfektes Objekt. Dieser Film ist so drastisch falsch, sein Pathos und seine Komik sind so wüst deplaciert . . . Oh my God, das ist alles, was man sagen kann." Was heißt, der Film ist ein unglaubliches Unikat, zu dem es überhaupt keine Vergleichsstücke gibt - nicht einmal Chaplins "Der große Diktator" und Lubitschs "To Be or Not to Be", mit denen der Kritiker Jean-Michel Frodon den "Clown" zusammenbrachte, nachdem er den Film 2012 sehen konnte: "Die bizarre Merkwürdigkeit dieses Films ist nicht seine Schwäche, sondern seine Stärke."

Von Filmen träumen, die bisher noch nicht gesehen werden konnten, gehört zu den schönsten Momenten im Leben eines Cineasten, und keiner von ihnen wird die Hoffnung je aufgeben . . . Wenn man nur wüsste, was der Filmautor Jerry von seinem Werk wirklich halten mag. Nach der Meldung aus der Library of Congress hat er kategorisch bekräftigt: "Er wird niemals zu sehen sein. Niemals. Er wird nie von einem menschlichen Wesen gesehen werden."

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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