Dem Geheimnis auf der Spur:Der sanfte Eroberer

Thaddäus Haenke erforschte als einer der ersten Chile, Bolivien und die Atacama-Wüste. Um den Tod des Universalgelehrten ranken sich viele Verschwörungstheorien.

Von Josef Schnelle

Er kam immer zu spät: 1789 im spanischen Überseehafen von Cádiz, wo sich Thaddäus Haenke der Weltumseglung des italienischen Entdeckers Alessandro Malaspina anschließen sollte. Und in der Bucht von Montevideo, wo er wenig später nach einer beispiellosen Verfolgungsjagd mit einem Schnellsegler über den Atlantik doch noch Malaspinas Expedition erwischen wollte. Doch wieder hatte er Pech. Der Kapitän ließ sein Schiff über Nacht im braunen Wasser vor dem Hafen ankern und wollte erst am nächsten Tag einlaufen. Mit dem nächtlichen Sturm, der nun losbrach, hatte er nicht gerechnet. Das Schiff sank. Haenke konnte nur seine Kiste mit den Empfehlungsschreiben der spanischen Krone und seiner Ausgabe von Carl von Linnés "Systema Naturae" retten.

Der Universalgelehrte aus Österreich ist Lateinamerikas bedeutendster Entdecker

Nach all den Strapazen hielt ihn nun aber ein rätselhaftes Fieber fest, das er immerhin recht komfortabel beim Gouverneur von Montevideo auskurieren durfte. Als er wieder ans Reisen denken konnte, war Malaspina schon wieder weg. Haenke fasste einen folgenschweren Entschluss. Er überquerte in 20 Tagen zu Fuß die Anden, wobei er als aufmerksamer Naturforscher viele unbekannte Pflanzen entdeckte und sich mit der Kultur der Indios anfreundete. 15 Kisten mit der Ausbeute dieser unverhofften Forschungsreise schickte er an den spanischen Hof. Nach all den verpassten Chancen geschah dann doch noch ein Wunder. Auf einem Landausflug, den Malaspina unternommen hatte, traf er zufällig den von der spanischen Krone für ihn vorgesehenen "Fisico-botanico" Haenke. Der Botaniker und Universalgelehrte konnte sich nun endlich Malaspinas Expedition anschließen. Die Reise führte die südamerikanische Küste entlang bis nach Alaska hinauf und später sogar zu den Philippinen. Aber erst als Thaddäus Haenke, der "sanfte Konquistador" aus Österreich, sich nach der Rückkehr der Schiffe ganz den Geheimnissen Chiles, Boliviens und der Atacama-Wüste widmete, wurde er wirklich zum bedeutendsten Entdecker der Geheimnisse Lateinamerikas.

America. Canada. Expedition of Malaspina (1789-1794). View of the settlement and port of Nutka. Drawing by Fernando Brambila. Drawing. SPAIN. Madrid. America's Museum.

Malaspinas Expedition führte die südamerikanische Küste entlang bis nach Alaska hinauf und später sogar zu den Philippinen.

(Foto: ullstein bild)

Schon vorher hatte er viele Kisten mit Pflanzen-Mustern an seine Majestät, den spanischen König geschickt, in dessen Diensten und denen der Vizekönige in Lima und Buenos Aires er sein Leben lang blieb. Haenke entwickelte ein besonders effektives Schießpulver für den Abbau von Bodenschätzen und entdeckte den Wert der Salpetervorkommen in der trockensten Wüste der Welt, um die später sogar ein Krieg zwischen Chile und Bolivien ausbrechen sollte. Er ließ sich am Rand der Wüste Atacama im bolivianischen Cochabamba nieder, betätigte sich als Arzt, dämmte sogar eine Pockenepidemie ein, heiratete eine Mestizin und unterhielt die Nachbarn mit Konzerten am Cembalo. Europa sollte er nie wiedersehen. Weil sein Kapitän Malaspina am spanischen Hof bald nach seiner Rückreise in ein Gewirr von Intrigen geraten war, wurden nicht einmal die wichtigsten seiner Forschungsergebnisse veröffentlicht.

Haenke war verliebt in dieses Land am Rand der bewohnten Welt. Die Karte mit seinen Entdeckungsreisen zieht sich wie ein Spinnennetz über die ganze Region. Er erkundete die noch verbliebenen "weißen Flecken" auf der Landkarte und bemerkte in seinem Forschereifer kaum die sozialen Veränderungen, die sich anbahnten. Lateinamerika war in Aufruhr und stand kurz vor den Unabhängigkeitskriegen des Simon Bolivar. Schon bei seiner Postkutschenfahrt nach Cádiz 1789 hatte Haenke auf dem Weg von Wien über Paris kaum etwas von der Französischen Revolution bemerkt. Höchstens ein paar unangenehme Reisebeschwernisse mit Kontrollposten der Bürgerkriegsparteien und Schwierigkeiten der Visabeschaffung behinderten ihn.

Haenke, Thaddäus ßßß

Thaddäus Haenke reiste von 1789 an mehrere Jahre mit der Expedition des Italieners Malaspina an der Küste Amerikas entlang.

(Foto: interfoto)

Thaddäus Haenke übertrifft vielleicht nicht Alexander von Humboldt. Doch schon vor Humboldt hatte er den erloschenen Vulkan Chimborazo im heutigen Ecuador bestiegen. Im Unterschied zu Humboldt löste er sich ganz aus der europäischen Wissenschaftskultur und wurde für die Indios einer der Ihren. Insbesondere den Gouverneur von Mojos, Miguel Zamora, beunruhigten Haenkes Aktivitäten. Er wurde zu seinem erbitterten Feind.

1806 brach Thaddäus Haenke zu seiner rätselhaftesten, drei Jahre währenden Reise auf. Er erkundete die Amazonas-Region, fand dort auch die größte Seerose der Welt. Doch anders als bei früheren Expeditionen brachte er keine Kisten mit kostbaren Herbarien oder Mustern von Bodenschätzen mit. Und er war nach der Rückkehr seltsam still. War er etwa als Agitator für die Sache der Unabhängigkeitskämpfer unterwegs gewesen, als Freund der Indios, deren Sprache er sprach und zu denen er sich hingezogen fühlte?

Zumindest Gouverneur Zamora schien so etwas zu vermuten. Daher umranken den Tod Haenkes am 14. November 1816 viele Verschwörungstheorien. In den Kirchenbüchern Cochabambas fehlt jeder Hinweis auf seinen Tod. Nur eine viel später eingefügte Notiz konstatiert sein Ableben. Wurde der "sanfte Konquistador" von einer Mörderbande im Dienste des Gouverneurs umgebracht? Selbst sein Cembalo, das sie zerschmetterten, schien sie gestört zu haben. Haenkes Besitz samt Tagebüchern wurde von den Spaniern beschlagnahmt. Nachweislich hatte Haenke auch einen Sohn. Sein Name ist in Bolivien und Chile immer noch legendär. Manch einer trägt ihn, und es existieren viele Geschichten über den Ur-Ur-Ur-Urgroßvater, der sich ein von den spanischen Kolonialisten unabhängiges Lateinamerika erträumte und doch treuer Diener der spanischen Krone war.

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