Dem Geheimnis auf der Spur:Der Juwelier des Königs

Portrait of Jean Baptiste Tavernier in Oriental Dress, 1681. Artist: Anonymous

Jean-Baptiste Tavernier verhalf seine Leidenschaft für Diamanten zu großem Reichtum. Diese Zeichnung zeigt ihn 1681 auf einer seiner Reisen.

(Foto: Fine Art Images/dpa)

Wie der französische Baron Jean-Baptiste Tavernier auf seinen Reisen Edelsteine entdeckte und die Diamantenschleiferei begründete.

Von Josef Schnelle

Wie es ihm gelang, den Potentaten des indischen Großmogulreiches die wertvollsten Diamanten abzuschwatzen, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben. Auch wenn Jean-Baptiste Tavernier, 1605 in Paris geboren, seine sechs Reisen in den Orient zwischen 1628 und 1668 so ausführlich und detailreich dokumentieren ließ wie kein anderer Zeitgenosse. Die Bücher machten ihn zum "Pop-Star" seiner Zeit. Dabei hatte er seinen größten Coup nur mit einem einzigen, allerdings außergewöhnlichen Stein gelandet.

Und zwar beim Diamantenkenner Ludwig XIV. An dessen Hofe gehörte es zum guten Ton, zum Diner in Kristallgläsern Diamanten und Brillanten zu reichen. Das waren die neuen Reichtümer aus dem Orient, über die Tavernier nach seinen Handelsreisen verfügte und an den Hof vermittelte. Louis XIV. war der schönste Stein, der "Bleu de France", den Tavernier mit 25 anderen Funkelsteinen präsentierte, 100 000 Livre wert, heute etwa 36 Millionen Euro. Eine Erhebung zum Baron legte der König noch obendrauf. Nun konnte Tavernier das Schweizer Château Aubonne mit seinem charakteristischen Wehrturm erwerben. Er war ein gemachter Mann, doch seine umfangreiche Verwandtschaft nutzte ihn so aus, dass er das Château Aubonne wieder veräußern musste.

Tavernier schuf eine bis heute florierende Schmuckindustrie

Jean-Baptiste Tavernier hatte im Lauf der Jahre eine bedeutende Entdeckung gemacht. Diamanten gab es zwar schon seit Millionen Jahren. Sie waren im Orient und in Indien auch beliebt und voller Magie. Nur der Schliff fehlte ihnen, den scheuten die Inder, weil er die magische Wirkung zerstörte. Tavernier aber kannte die europäischen Höfe und ließ glänzend schleifen, was das Zeug hielt. So entstanden zwar weniger magische, aber um so mehr funkelnde Kostbarkeiten, die in den Diamantenschleifereien von Antwerpen und Amsterdam, die bald gegründet wurden, immer weiter vollendet wurden. Tavernier schuf damit eine florierende Schmuckindustrie, die noch heute besichtigt werden kann.

Wann ihm die Erkenntnis kam, dass sich aus den stumpf-glanzlosen Ansammlungen von Grafit-Kristallen, Preziosen für die Schatzschatullen europäischer Königshäuser herstellen ließen, ist nicht bekannt. Den Edelsteinen haftete bald der Ruf an, verflucht zu sein. Der "Blaue von Frankreich" brachte, der Legende nach, das französische Königshaus zu Fall, Marie-Antoinette liebte ihn bis zum Ende auf der Guillotine. In der Revolution verschwand der Stein und tauchte erst 1830 in London wieder auf, nun nach seinem neuen Besitzer Henry Philip Hope als "blauer Hope" bekannt. Heute kann man diesen legendären Edelstein, der sogar beim Untergang der Titanic 1912 eine Rolle gespielt haben soll, im National Museum of Natural History in Washington bewundern.

Der "Bleu de France" war auch für seinen Entdecker kein reiner Erfolg: Reichtum schwindet oft schnell, und so sah sich Tavernier 1689 mit 84 Jahren noch einmal gezwungen, auf Reisen zu gehen. Doch er erreichte sein Ziel Persien nicht mehr. In Moskau starb Jean-Baptiste Tavernier am Hof von Zar Peter dem Großen.

Tavernier hat zwar nicht Amerika gefunden und auch nicht das Atom gespalten. Aber die Entdeckung der Schönheit glänzender Kleinodien ist weiß Gott etwas. In den Diamantenminen von Golkonda hatte Tavernier 1645 jener Zauber befallen, der ihn nie wieder losließ und die Suche nach Schätzen und Geschmeide für immer veränderte. Vielleicht war Tavernier nur ein genialer Dieb und Betrüger. Seine Lügengeschichten stellten von Aleppo bis Konstantinopel, von Isfahan bis zum indischen Surat die Erzählungen aller anderen in den Schatten und sie verschafften ihm beim Großmogul und anderen Herrschern eine hohe Reputation. Er trug den gestreiften Reichsprunkmantel des Schahs von Persien und ging an den absolutistischen Höfen Europas ein und aus. Auf allen Porträts der Zeit gibt es sein sardonisches Lächeln so, als habe er sein Lügengespinst selbst durchschaut.

Noch hatten Holländer, Portugiesen und Briten nicht erkannt, dass die Kolonialherrschaft über die Schatzkammern der Welt militärisches Engagement erforderte. Doch die dubiosen Geflechte der frühen Handelsgesellschaften in Indien und anderswo, die den Raub dortiger Schätze zum Geschäftsmodell erhoben hatten, schufen erst die ökonomischen Voraussetzung für Abenteurer wie Tavernier, der 1683 auch mit dem Schildpatt persischer Riesenschildkröten Handel trieb. Ebenso gehörten dubios geschliffene Trickspiegel und falsche Glaskristalle zu seinem Repertoire.

Das alles hatte er sich aufgebaut mit den Karten und Reiseführern seines Vaters Gabriel, mit denen er 22-jährig zur allerersten Fahrt aufgebrochen war. Gabriel, der protestantische Kartograf aus den Niederlanden, war im katholischen Frankreich nicht sehr angesehen. Deshalb zog Jean-Baptiste nach dem Edikt von Fontainbleau 1685 an den Hof des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm nach Preußen. Einen genialen kreativen Geschichtenerzähler brauchte man schließlich überall. Das hatte ja schon der legendäre Großmogul Aurangzeb, der um 1680 Tavernier seine Schatzkammern besichtigen ließ, entdeckt.

Tavernier beherrschte die orientalischen Schatzkammern und die Herzen der europäischen Herrscher und veränderte den Blick auf die Klunker. Niemals wieder haben seither Edelsteine mit ihrer funkendeln Oberfläche ihren Wert verloren. Welche Steine Tavernier Aurangzeb noch entwendet hat, wird ein Rätsel bleiben, das in den Schleiferkellern von Antwerpen gewiss wohl gehütet wird.

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