Dem Geheimnis auf der Spur:Der Hexentanz

Walpurgisnacht auf dem Brocken

Wenn die Hexen zum Blocksberg reiten, kann alles passieren: Eine Postkarte zeigt die Walpurgisnacht, um 1910.

(Foto: bpk)

Die Walpurgisnacht: Wenn sich in der letzten Nacht im April heidnische Kulte, christliches Brauchtum und Lebenslust verbinden.

Von Tobias Sedlmaier

Steht der 1. April ganz im Zeichen von Spott und Spaß, ist in der letzten Nacht des Monats Schluss mit lustig. Dann erheben sich der Sage nach die finsteren Mächte. Hexen bestreichen sich mit Flugsalbe, besteigen ihre Besen und suchen den Blocksberg auf, wo sie in einer infernalischen Orgie den Leibhaftigen selbst zum Tanz herausfordern. Seit dem 15. Jahrhundert sind solche Überlieferungen unter der Bezeichnung "Hexensabbat" bekannt. So finden sich etwa in den Traktaten des Juristen und Philosophen Johann Georg Gödelmann (1559 -1611) die grundlegenden Elemente der Hexentreffen wieder: Die Anreise durch die Luft auf "Stäben" oder magischen Tieren, die ekstatischen Gelage, das Fressen und die Wollust. Gödelmann selbst tut dies als einer von nur sehr wenigen Gegnern der Hexenverfolgungsprozesse als Unsinn ab; die Kunst erfreut sich indes bis heute am Mythos. Von Johann Wolfgang von Goethe bis zur Hip-Hop-Gruppe K.I.Z, von Michail Bulgakow bis Bibi Blocksberg: Stets ist die Nacht zum 1. Mai verbunden mit dämonischen Ritualen, Nachtflügen, der Wilden Jagd und dem Tanz der Nymphen ums Feuer.

Dabei ist der Hexensabbat nur eine Darstellungsform des allgemein als "Walpurgisnacht" geläufigen Datums. Denn dieses ist ein vielschichtiges Konzept, das sich aus mehreren Bausteinen zusammensetzt und heute seinen festlichen Charakter stark verändert hat. Ihren Namen beispielsweise hat die Walpurgisnacht aus christlicher Überlieferung erhalten: Der 1. Mai ist ein Gedenktag für die heilige Walburga, auch als Walpurgis bezeichnet. Die neun Tage vor dem 1. Mai werden auch als Walpurgistage bezeichnet. Die Heilige war im 8. Jahrhundert nach Christus Benediktinernonne und gilt unter anderem als Patronin der Bauern, Wöchnerinnen und Haustiere. Sie soll für das Gedeihen der Feldfrüchte sorgen und vor Pest und Hungersnot beschützen. An diesen Attributen ist bereits erkennbar, dass Walburga sozusagen die christliche Funktion von Gottheiten heidnischer Herkunft besetzt, deren Anbetung frühjahrliche Fruchtbarkeit gewährleisten sollte. Nicht umsonst besagt eine Bauernregel diesbezüglich: "Regen auf Walpurgisnacht / hat stets ein gutes Jahr gebracht."

Die Ankunft des Frühlings ist ein wichtiges Element der vielschichtigen Historie der Festivitäten. Sowohl Germanen als auch Römer verbanden den Jahreszeitenwechsel mit weiblichen Bildern, bei letzteren manifestiert in den "ludi florales". Zwar divergieren die Quellenangaben bei Ovid oder Augustinus über deren detaillierten Verlauf, doch lassen sich erotische Tänze mit Dirnen, Volksspeisungen oder die Jagd als konstituierende Bräuche ausmachen. Dem Erblühen der Natur als elementarer Grundlage für gesellschaftlichen Wohlstand und Wachstum, auch sexueller Art, kommt ein hoher symbolischer Gehalt zu.

Der Mai muss begossen werden: Im Süden gibt es die Freinacht, im Norden den Bollerwagen

Dieser findet sich nach wie vor in den zahlreichen Maibräuchen, die heute regional variabel in ganz Deutschland begangen werden. Mit Hexenwerk haben sie nicht viel zu tun. Dafür wird viel Unfug getrieben, und mancher Maibaum kommt auf rätselhafte Weise seiner Gemeinde abhanden. In diesen, in südlichen Gegenden auch Freinacht genannten Stunden, kann man leicht diversen Streichen zum Opfer fallen, seine Hände auf mit Senf bestrichenen Türklinken halten oder das Auto umhüllt mit Klopapier vorfinden. Im Norden dagegen bleibt man dem trauten Heim tendenziell eher fern und zieht mit Bollerwagen voll Bier durch die Heide.

Aller Tradition und mystischen Aura zum Trotz wurde natürlich, ähnlich wie bei Halloween, aus dem heidnischen Fest mit christlichem Einschlag ein Verkaufsversprechen, ein Markt. Schließlich gilt: Hex sells. Hochburg der Vermarktung ist der Harz, aus naheliegenden Gründen vor allem die Gegend um den Brocken (Blocksberg). Da ist laut Veranstalter wahrlich "der Teufel los": Gleich Dutzende Walpurgisnacht-Events zwischen Bad Grund und Thale locken die Zuschauer. Feuerspucker treten auf, Verkleidungen werden zur Schau gestellt, Imbissstände locken, Lasershows strahlen, Faust rockt in einer Oper und lokale Coverbands spielen die Gassenhauer der Toten Hosen und Konsorten. Ein sicherlich spaßiges, wenn auch geregeltes Vergnügen.

Am nächsten Morgen ist der Spuk wieder vorbei. Dann bricht der "Tag der Arbeit" an

Denn das eigentliche Geheimnis der Walpurgisnacht, die ekstatische Befreiung, lässt sich womöglich so leicht nicht zähmen. Die belebende Wirkung des Frühlings springt auf den Menschen über und lässt den Drang erwachen, dem zivilisatorischen Gleichlauf doch einmal einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen, unvernünftig zu sein, sich zu berauschen. Echtes Waldfeuerglimmen statt künstlichem Bürobildschirmflimmern. Es scheint sich eine Verbindungslinie der Auflehnung durch die verschiedenen Ursprungsmythen der Walpurgisnacht hindurchzuziehen, alle sind sie geprägt von einer Sehnsucht nach Ausschweifung und Ursprünglichkeit. So beruft sich manch namhafter Vertreter harter Rockmusik, ein Genre, das gerne und laut bei zahlreichen "Tanz in den Mai"-Veranstaltungen dröhnt, auf Richard Wagner, der im "Tannhäuser" eines der bekanntesten Opernbeispiele für ein ausuferndes Bacchanal schuf. Headbangende Metaller als Wagner-Epigonen? In der Walpurgisnacht gar keine abwegige Verbindung.

Womöglich ist es dieser, jedem Zeitgeist zuwiderlaufende Synkretismus, der ein so seltsam zusammengestückeltes Fest wie die Walpurgisnacht zum Faszinosum werden lässt. Hexe und Heilige verbinden sich zu etwas Neuem, das sich vorschnellen Einordnungen erst einmal entzieht. Immerhin ist diese besondere Nacht - egal ob christlich oder heidnisch begründet - dem triebbefreienden Frühlingsrausch ohne kapitalistischem Hintergedanken geweiht. Bereits am nächsten Morgen ist der wilde Spuk wieder vorbei: Dann bricht nämlich der ganz und gar weltliche "Tag der Arbeit" an.

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