Dem Geheimnis auf der Spur:Das Bernsteinzimmer

Bernsteinzimmer im Schloss von Königsberg 1942

Das Original im Jahr 1942 - die Nazis hatten das Bernsteinzimmer zunächst nach Königsberg gebracht.

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Der preußische König schenkte es einst dem Zaren. Später wurde es von den Nazis abtransportiert - es bleibt verschwunden bis heute.

Von Tim Neshitov

Das Bernsteinzimmer war erst einmal ein Geschenk, dessen Wert man in Zweifel ziehen darf. Der preußische König schenkte dem russischen Zaren im Jahr 1716 etwas, was der König selbst nicht sonderlich schätzte und was das Herz des Zaren nur kurzfristig erfreut haben dürfte (dafür aber das Herz der Zarin). Ein ganzes Zimmer aus Bernstein, von einem Meister wie Andreas Schlüter geschaffen, das ist materiell und ästhetisch immer wertvoll, aber eben auch überflüssig, wenn man gerade damit beschäftigt ist, seine Armee auf Vordermann zu bringen. Damit waren beide Monarchen befasst.

Peter der Große führte den Krieg seines Lebens, gegen Schweden, bereits seit 1700. Nun galt es, die in den nördlichen Sümpfen gegründete neue Hauptstadt, Sankt Petersburg, zu verteidigen, sollten die Schweden es wagen . . . Peter suchte Verbündete. Friedrich Wilhelm I. glaubte seinerseits, möglichst groß gewachsene Soldaten für seine Leibgarde zu benötigen, "lange Kerls". Diese ließ ihm Peter dann auch schicken. Der Soldatenkönig trennte sich offenbar ohne großen Seelenschmerz von dem warm glimmenden Prunk-Zimmer in seinem Berliner Stadtschloss, das sein kunstaffinerer Vorgänger Friedrich I. in Auftrag gegeben hatte.

Elisabeth, die Zarentochter, liebte das Geschenk. Sie ließ es in ihrer Sommerresidenz aufbauen

Zar Peter schrieb damals seiner Frau Katharina aus Berlin und erwähnte das Bernsteinzimmer erst, nachdem er von einer Yacht berichtet hatte, die ebenfalls Teil des Deals mit dem Preußenkönig war. Dieses Boot ist leider nicht erhalten. Peter I. schrieb: "Der König beschenkte mich mit einem beachtlichen Präsent, einer Yacht, in Potsdam gar fein ausgestattet, und auch einem Kabinett aus Bernstein, was wir uns seit Langem gewünscht haben." Meinte Zar Peter, dieser spartanisch veranlagte Hobbyzimmermann, mit "Wir" seine eigene kaiserliche Hoheit oder eher ein "Wir" im Sinne von "Du und Ich", mit Betonung auf "Du"?

Die größte Freude an diesem Luxuskabinett fand jedenfalls die Tochter des Zaren, Jelisaweta, die in Europa Elisabeth genannt wurde. Als sie nach dem Tod ihrer Eltern selbst regieren durfte, ließ sie das Bernsteinzimmer aus dem Winterpalast in Sankt Petersburg in ihre Sommerresidenz in Zarskoje Selo 25 Kilometer weiter südlich verfrachten und durch den aus Italien angelockten feinfühligen Hofarchitekten Bartolomeo Francesco Rastrelli um weiteren Mosaik-Spiegel-und-Schnitzerei-Prunk erweitern.

Aus einem halbherzigen Geschenk an Peter wurde so ein heiß geliebtes Spielzeug für Jelisaweta Petrowna und später ein Grund für mehrere Generationen von Palastbewohnern in Zarskoje Selo, sich hier besonders auserwählt zu fühlen.

Interessant ist, dass die Bolschewiken nach ihrer Revolution von 1917 das Bernsteinzimmer weder zerstörten (etwa als Inbegriff zaristischer Dekadenz) noch ins Ausland verkauften. Sie restaurierten es. Das launische Petersburger Sumpfklima und die Ofenheizung sind für Bernstein nicht gut, man hatte bereits im 19. Jahrhundert dreimal fachmännisch eingreifen müssen. Für 1941 war eine abermalige Restauration anberaumt. Das Bernsteinzimmer wurde zu einem unverzichtbaren Teil jener etwas paranoiden sowjetischen Museumskultur, die Vergangenes fälschte, aber das, was nicht gefälscht wurde, penibel für die Nachwelt aufbewahrte. Adrett gekleidete, ideologisch geprüfte und kunsthistorisch lückenlos ausgebildete Mitarbeiterinnen sorgten im ehemaligen Zarengemach für pietätvolle Stille.

Kurz nachdem die Kunstraubexperten der Wehrmacht - Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg - im Oktober 1941 ihre Hände an das Bernsteinzimmer legten, wurde dessen Verbleib zum Lieblingsrätsel aller Raubkunstexperten. Man weiß noch, dass das Zimmer 1941 in Kisten nach Königsberg abtransportiert und im dortigen Schloss noch einmal ausgestellt wurde. Danach: Schieß mich tot (das sagt man auch in Russland so).

Die Suche nach dem Bernsteinzimmer hat mittlerweile Maße erreicht, die den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. vermutlich verwundert hätten. Der heutige Wert dieses Wandschmucks wird zwar auf 100 Millionen Euro geschätzt, aber sollte er doch gefunden werden, hätte man ein Dilemma. Man müsste das originalgetreu nachgebaute Bernsteinzimmer im Katharinenpalast in Zarskoje Selo wieder abbauen. Das neue Bernsteinzimmer ist ein Kunstwerk an sich, Russlands beste Restauratoren arbeiteten daran seit Ende der Siebzigerjahre, in den Neunzigern ging ihnen das Geld aus, bis die Ruhrgas AG nachhalf, so dass Wladimir Putin und Gerhard Schröder pünktlich zum 300. Stadtjubiläum von Sankt Petersburg das Kunstwerk eröffnen konnten. Eduard Alexandrowitsch von Falz Fein, der russischstämmige Adlige mit liechtensteinischem Pass, der einen großen Teil seines langen Lebens der Suche nach dem Bernsteinzimmer widmete, meinte, die Kopie sei schöner als das Original.

Das Original befeuert trotzdem hartnäckige Fantasien. Überstand das Bernsteinzimmer die Bombardierung Königsbergs durch die britische Luftwaffe, könnte es sich heute, das wird nun hoffnungsvoll vermeldet, zum Beispiel in dem mysteriösen Nazi-Zug von Walbrzych befinden, oder in einem Schacht im Fortuna-Stollen, oder, da wollen russische Sucher bald ran, unter dem Bunker von Otto Lasch in Kaliningrad, ehemals Königsberg.

In dieser Stadt gibt es übrigens heute ein anderes Bernsteinzimmer, das womöglich einem sinnvolleren Zweck dient als die Schatzsucherei. Da werden mithilfe von Bernstein Kinder mit psychischen Erkrankungen therapiert. Sie laufen über Bernsteinkrümel, und es geht ihnen danach besser.

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