Das Geheimnis:Der dunkle Schalk

Älteste Eulenspiegel-Ausgabe vor 500 Jahren gedruckt

Till Eulenspiegel backt Eulen und Meerkatzen - Umschlagbild einer Eulenspiegel-Ausgabe von 1885 nach einem Aquarell von Eugen Klimsch.

(Foto: akg-images)

Nicht unbedingt ein Typ für Kinderbücher: Seit Jahrhunderten versuchen Archivare und Forscher die Existenz des sagenhaften Till Eulenspiegel zu beweisen, der die Fantasie der Leser bis heute beflügelt.

Von Florian Welle

Der heute fast vergessene Wolfdietrich Schnurre erhielt 1970 den Eulenspiegelpreis. In seiner Dankesrede wetterte der Schriftsteller gegen die immer weiter um sich greifende Entstellung des berühmten Schalks zu einer harmlosen Witzgestalt. Till Eulenspiegel, Freund aller Kinder. Ihm setzte er die Schwankfigur des erstmals um 1510/11 in Straßburg vom Verleger Johann Grüninger gedruckten Volksbuchs "Ein kurtzweilig lesen von Dil Ulenspiegel" entgegen. Dieser "Dil" oder "Dyl" sei ein Außenseiter mit "Kodderschnauze" gewesen, "derbgehobelt" und "krass asozial".

Sieht man einmal von der Riesenzahl kindgerechter Ausgaben ab, zeigt schon ein kurzer Blick ins Internet, dass die Figur derweil gänzlich politisch korrekt entschärft ist. Statt gerissener Wortverdreher, fauler Herumtreiber und rachsüchtiger Betrüger mit starkem Hang zu Fäkalien (und auch zur Tierquälerei) erscheint er nur noch als liebenswürdig-seiltanzender Possenreißer. In einem der bekanntesten Streiche schwätzt er erst einem Haufen junger Leute ihre Schuhe ab; spannt sie sodann an eine Leine, um sie schließlich wild durcheinanderzuwirbeln, worüber sich alle in die Haare kriegen.

Das lustig-freche Bild hat mit dem Ur-"Dil" des Volksbuchs nichts gemein. Schon die Narrenkappe, mit der man ihn sofort assoziiert, ist spätere Zutat. Auf den Holzschnitten der frühen Ausgaben des rasch in Europa wegen schonungsloser Verhöhnung der Großkopferten populären Textes trägt er keine Kopfbedeckung.

Wer aber war dieser Till Eulenspiegel wirklich? Gab es überhaupt eine historisch verbürgte Person gleichen Namens oder ist er lediglich literarisches Hirngespinst? Die Frage beschäftigt die Eulenspiegel-Forschung wie sonst nur noch die nach dem Verfasser des Volksbuchs - Till, so er denn existierte, hätte an den mitunter vehementen Debatten seine diebische Freude. Auch über den Autor herrscht derzeit wieder Uneinigkeit, nachdem man in den Siebzigern glaubte, in dem Zollschreiber Hermann Bote endlich den wahren Urheber entdeckt zu haben. Aber das ist eine andere verzwickte Geschichte.

Obwohl es keine eindeutigen Belege für die tatsächliche Existenz Till Eulenspiegels gibt, ging bereits der Hamburger Archivar und Eulenspiegel-Exeget Johann Martin Lappenberg Mitte des 19. Jahrhunderts davon aus, dass der Schalk einst im Braunschweigischen gelebt haben muss, ehe er auszog, um von Kopenhagen bis Wien, von Prag bis Straßburg sein Unwesen zu treiben. Er sei 1300 als Sohn eines Bauern in Kneitlingen am Elm zur Welt gekommen und 1350 in Mölln gestorben. Als wichtigstes Indiz dafür, das seither gerne weitergegeben wird, gilt, neben einem Eintrag zum Tod eines "Ulenspeygels to Möllen" in der Braunschweiger Weltchronik, ein Grabstein in Mölln. Die stark verwitterte Inschrift lautete zu Lappenbergs Zeiten: "Anno 1350 is dusse steen up gehauen tyle ulenspegel lent hir under begraven."

Besitzt man mit dem heute noch zu besichtigenden Grab in der Causa Eulenspiegel den Stein der Weisen? Die Verlockung, das zu glauben, ist groß. Schließlich berichtet die letzte Historie des Volksbuchs von Tills kuriosem Möllner Begräbnis im Jahre 1350 - er fand aufrecht stehend anstatt liegend seine letzte Ruhe. Doch Vorsicht ist geboten. Zum einen macht stutzig, dass ausgerechnet während der großen Pestepidemie einem umherstreunenden Gesellen ein Grabstein errichtet worden wäre. Zum anderen hatten diese damals nur lateinische Inschriften. Dann wird das Grab quellenkundlich erstmals 1536 vom Wismarer Stadtsekretär Jordan Höppener erwähnt - 186 Jahre nach dem angeblichen Tod Tills. Somit hat es ganz den Anschein, als wäre der Stein erst gut drei Jahrzehnte nach Erscheinen des Volksbuchs aufgestellt worden. Als eine Art Gedenkstein für die bei der breiten Bevölkerung durch die Buchveröffentlichung beliebte Schwankfigur.

Heißt das, Till Eulenspiegel ist nur dem Kopf eines fantasiebegabten Dichters entsprungen, wer immer es auch gewesen sein mag? So eindeutig lässt sich auch das nicht sagen. Es gibt Spuren, die nahelegen, dass im 14. Jahrhundert durchaus eine, wenn nicht mehrere Realpersonen lebten, die als Vorbilder für den literarischen "Dil" getaugt haben könnten. Im Laufe der Jahrzehnte verschmolzen sie in den Köpfen zu einem sagenumwobenen Helden Till, dessen mündlich überlieferte Taten schließlich 1510/11 schriftlich fixiert wurden. So verwies der Germanist Dieter Arendt vor 40 Jahren auf einen Briefwechsel zwischen dem Historiker Dietrich von Niem und dem Abbreviator Johannes Stalberg von 1411. Dort werde, so Arendt, durch eine Anspielung auf den Schalk und seinen Namen unmissverständlich dessen Existenz im Bewusstsein der Briefschreiber bewiesen.

Auf einen anderen urkundlichen Fund verweist der Historiker Bernd Ulrich Hucker. In dem "stadtbraunschweigischen Verfestungsbuch" fand er eine Notiz über einen gewissen Thile van Cletlinge oder Till von Kneitlingen. Dieser habe dort nicht nur von 1339 bis 1351 einen Ackerhof besessen, sondern war außerdem ein gefürchteter Straßenräuber. Heute lässt sich daher sagen, dass das Buch "Dil Ulenspiegel" nicht die Biografie einer historisch exakt bestimmbaren Person liefert, sondern dass der literarische "Dil" eine sogenannte Kristallisationsgestalt für eine Vielzahl kursierender Geschichten und Motive ist, wobei sich Fakt und Fiktion bunt mischen. Denn "sicher ist", schreibt Dieter Arendt, "dass sein Schelmenname mindestens hundert Jahre vor seiner Buchwerdung herumspukte im Volk. Anders ausgedrückt: Eulenspiegel, wann immer er gelebt haben mag, tritt in seine relevante Existenz um 1500, zur Zeit seiner literarischen Geburt".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: