Bilanz der Fashion Week Berlin:Reise um die Welt in vier Tagen

Michalsky schickte ein schwangeres Model auf den Laufsteg, Boss lud ins Eisstadion und bei Schumacher trugen die Frauen eine "Bizeps-Bag". Die Modewoche in Berlin geht zu Ende. Was bleibt? Eine Menge neuer Trends.

Anne Goebel

Der nächste Sommer wird eine Reise, und es geht weit weg. In Wüstenregionen, tief nach Mexiko oder Ägypten, oder gleich bis in die Sterne. Die Flucht an entfernte Orte: Das war ein übergreifendes Thema bei den wichtigen Schauen der Berliner Fashion Week für Frühjahr/Sommer 2013. Und so vorsichtig man sein sollte in der Mode mit dem Herausfiltern der großen Zusammenhänge - diesmal schien es verblüffend schlüssig zu gelingen.

Fashion Week Berlin

Bei der Berliner Fashion Week haben die Designer dem Eskapismus gehuldigt: Nichts wie weg hier - nach Südamerika, in die Sandwüste oder besser gleich ins Weltall.

(Foto: dpa)

Auf der einen Seite weiches Leder, fließende Stoffe in der neuen Palette der Naturfarben mit Sand und Safran, warmen Rottönen, dazu Palmen- und Kakteendrucke, aztekisch anmutende Kaleidoskopmuster. Ein Lateinamerika-Trip auf die andere Seite des Planeten. Sofern es nicht darum ging, ihn ganz zu verlassen. Als unterkühltes Weltraumwesen in Kleidkonstrukten mit ausgestanzten Gittern, metallisch glänzenden Einlagen. Eskapismus im Laufstegzelt an der Siegessäule: Kleidung hat schon immer die Sehnsucht befriedigt nach anderen Zeiten und Räumen, insofern war die Mode für vier Tage ganz bei sich.

Schon zum Auftakt hatte Escada Sport, nicht gerade bekannt für Experimentelles, mit dem "Huipil" Akzente gesetzt. Die eckig geschnittene Kurztunika, ursprünglich in Mexiko oder Guatemala verbreitet, ist die Antwort des Couturehauses auf den Trend zu Bauchfrei - ein Trend von der Straße, natürlich musste die Antwort umso erlesener ausfallen: tiefrotes Lammleder, bestickte Seide. Die sanften Farbnuancen, bei Escada von "Nectarina" bis Wasserblau, brachten die Minimalisten von Perret Schaad auf andere Weise schön zur Geltung. Die Berliner kontrastierten Kastenpullis aus Mohair-Gemisch in Schilf mit flatternden altrosa Hosen(-röcken).

Pastell dominierte auch bei den Lokalmatadoren mit maximaler Promidichte: Guido Maria Kretschmer, dessen volksfesthafte Schau von Szenenapplaus begleitet wurde, und Michael Michalsky, der sich im Tempodrom für ein schwangeres Mannequin auf dem Catwalk beklatschen ließ. Ersterer schneiderte seinen Models knappe Spenzer in schillernden Wüstensandfarben auf den Leib. Michalsky setzte in seiner Männerkollektion auf Siebenachtel-Hosen zu engen Sakkos und zeigte danach den Spree-Glamour, von dem er nicht lassen mag. Blütenprints, bodenlang schwingende Kleider, faustgroße Swarovski-Applikationen. Lieber coole Leuchtsignale statt Glitzer? Die Tirolerin Rebekka Ruetz gab der Farbe Gelb allen Raum und ließ sie in schmucklos fließenden Jerseykleidern oder als überbreite Gürtel strahlen.

Ideen mit Bodenhaftung

Hugo Boss zeigt seine Show traditionell an besonderen Orten der Stadt, und mit dem Erika-Hess-Eisstadion, erbaut in den sechziger Jahren, passte der Ort diesmal besonders gut zur Kollektion. Geradlinige Schnitte, schmale Hosen, das sind die Erkennungszeichen der schwäbischen Marke, die sich mit Tönen von Eisblau und Minzgrün bis gefrostetem Rosa unterkühlt zeigte. Für futuristische Nuancen - bei tropischen Temperaturen - sorgten Experimente mit metallisch glänzendem High-Tech-Material. Mal war das irisierende Textil wie ein Schutzschild in schmale Kleider gefügt. Mal ließ ein silberfarbenes Top in Kastenform die Trägerin wie eine düstere Barbarella des Zweiten Jahrtausends aussehen. Selbst Rosa kann wehrhaft wirken, wenn gekreuzte Bänder über der Brust einem knielangen Dress mit leicht ausgestelltem Rock alles mädchenhafte nehmen.

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Die passende Robe für den großen Auftritt. Wie hier im Meerjungfrauen-Schnitt mit opulenter Schleppe in Signalrot.

(Foto: Getty Images)

Dagegen sah die Show von Kaviar Gauche gefällig aus, obwohl sich auch das Berliner Label mit seiner "Toxic Touch"-Kollektion auf die Suche nach einer Formensprache für rigoros starke Frauen machte. Zwischen Lichtsäulen schritten die Models in transparenten Kleidern mit Bustiers und kantigen Schösschen durch Wabernebel. Hier tendierte das allgegenwärtige Gelb zu giftigem Neon, dazu hartes Schwarz - und dröhnende Beats. Die Musik machte es gar nicht so einfach, sich auf die wabenförmigen Applikationen aus Netzstoff, die ausgelaserten Sechsecke zu konzentrieren, die den finster blickenden Mannequins den Look von Astronautinnen kurz vor dem Countdown gaben. Am Schluss dann der weiche Bruch - flamencoähnliche Rüschenröcke. Auch die Berlinerin sehnt sich nach südlicher Opulenz.

Zwischen Feenwesen und Avatar" sieht Dorothee Schumacher ihre Kollektion angesiedelt, dabei ist eine Mischung herausgekommen, der das harmlos Rosazarte früherer Arbeiten abgeht. Zu sehr schmalen Hosen drapierte die Mannheimerin übergroße Tops aus fließenden Stoffen. Schönes Nachtblau zu Türkis und Oliv kombiniert sie mit Kaleidoskop-und Palmendrucken. Durch die gebrochene Palette, die wirkt, als sei allen Nuancen eine Prise warmes Zimt beigemischt, machen sogar die unschuldig wehenden Flügelärmel keinen naiven Eindruck. Erst recht nicht, wenn an den Arm ein "Bizeps-Bag" geschnallt ist: Das sind kleine Börsen für Frauen, die beide Hände für wichtigeres als eine Tasche brauchen.

Als Meister im Neuerfinden erwies sich erneut Karsten Fielitz für Rena Lange. Der Designer lieferte ein gekonntes Spiel mit Sommertweed ab, einem klassischen Textil der Münchner: Mal überraschend zum lässigen Blouson verarbeitet, mal spannend strukturiert durch Stickerei und Makramee-ähnliche Strickelemente. Da blieb nicht mehr viel vom adretten Image des braven Cocktailjäckchens. Und Fielitz' leger überschnittenes Minikleid aus zart orangefarbenem Material- und Blütenstoffmix hielten manche gar für eines der schönsten Stücke in Berlin. Passend wäre es: Neue Ideen mit Bodenhaftung - genau dafür steht die Fashion Week.

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