Bier:500 Jahre Reinheitsgebot - Schluss mit Ruß, Pech und Ochsengalle

German Brewery

Die Reinigung war schon in den 1930-er Jahren eine wichtige Sache beim Bierbrauen und ist es heute immer noch. Allerdings mit weniger Handarbeit.

(Foto: Getty Images)

Sternstunde des Bieres: Mit ihrer Vorgabe für die Zutaten setzten die Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. im Jahr 1516 einen wichtigen Standard.

Von Hermann Unterstöger

Als der Internationale Bierconvent anno 1993 25 Jahre alt wurde, feierte er dies mittels der "größten Bierorgel der Welt". Das war ein Metallgestell, auf dem mit 551 Kilo Kleber 1902 Bierflaschen beziehungsweise -dosen befestigt worden waren und das aus der Ferne an einen Orgelprospekt erinnerte. Deutsche Brauereien hatten daran den Löwenanteil von 1256 Flaschen, wohingegen die Banjul Breweries (Gambia) oder das Kombinat für Biere und Getränke in Klinskij (Russland) jeweils nur ein einziges Fläschchen lieferten.

An preisenden Worten hatte es keinen Mangel. Kultur, sagte beispielsweise Handelskammer-Präsident Dieter Soltmann unter Berufung auf Justus von Liebig, erkenne man nicht am Seifenverbrauch, sondern an der Vielfalt der Biere. Damals war Pater Anselm Bilgri noch das lebende Aushängeschild der Andechser Mönche, und als solches war er gern bereit, von der bayerisch-benediktinischen Bierseligkeit Proben zu geben. Ordensvater Benedikt hatte ja noch kein Bier gekannt. Beim Wein war es seine Faustregel gewesen, dass eine "Hemina" pro Tag und Mönch genüge - auf gut Bayerisch: ein Quartl.

Als Kulturphilosoph erlaubte sich Anselm sogar eine jener feinen Bosheiten, wie sie zwischen Ordensgemeinschaften schon mal unterlaufen. Er rekurrierte auf das dem Kulturbegriff zugrunde liegende lateinische Wort colere (bebauen, pflegen), um darzulegen, dass alle Kultur, auch die des Bieres, mit Verwurzelung zu tun habe, mit Beheimatet-Sein. Und da, fuhr er leise und süffisant fort, müsse man sich schon fragen, warum etwa die Jesuiten keine Brauereien hätten...

Die Frühgeschichte des bayerischen Bieres ist ein Gemenge aus Geistlichem und Weltlichem. In den Klöstern hat man früh mit dem Brauen begonnen, erstens, weil Benedikt sich für eine möglichst umfassende Autarkie in der Grundversorgung der Mönche ausgesprochen hatte, und zweitens, weil man, um noch mal Bilgri zu zitieren, Gott auch im Bierbrauen verherrlichen könne. Natürlich gibt, wo Bier gesotten wird, Satan seine Würze dazu. So galt es lange Zeit als unumstößlich, dass Weihenstephan auf Grund einer "Braugerechtsame" von 1040 die älteste Brauerei der Welt sei, bis sich herausstellte, dass die Mönche, um Gebietsansprüche der Freisinger Nachbarschaft abzuschmettern, an der Urkunde gefummelt hatten. Dem Bier hat das nicht geschadet, wohingegen das Weltenburger Bier, das einst unter der Kirche gelagert wurde, durch Witterungseinflüsse einmal so beeinträchtigt wurde, dass es nachgärte und die Spunde peinlicherweise aus den Fässern getrieben wurden.

Im Gilgamesch-Epos spielt das Bier eine entscheidende Rolle

Verglichen mit der Weltgeschichte des Biers ist die der Klöster kurz. Unter allen literarischen Quellen ist den deutschen Bierbrauern nächst dem Reinheitsgebot von 1516 die liebste das Gilgamesch-Epos, genauer gesagt jene Stelle, die schildert, wie aus dem zottigen, grasfressenden Enkidu ein Mensch wurde. Das geschah mit Hilfe eines leichten Mädchens, das Gilgamesch in die Steppe zu Enkidu schickte, wobei es wiederum nicht deren spezielle Dienste sind, die unsere Brauer interessieren. Ihr Augenmerk gilt einem Passus, dem zufolge Enkidu auf Anraten der Tussi - "Trinke das Bier, wie es des Landes Brauch!" - stattliche sieben Krüge Bier in sich goss, woraufhin er sich unendlich wohlfühlte und zum Menschen wurde.

Als Sternstunde des Biers gilt allgemein der 23. April 1516. Damals war es um die Sauberkeit des Bieres übel bestellt, weil die Brauer, um es "trincklich" zu machen, vor kaum einer Zutat zurückschreckten, weder vor Ruß und Kreide noch vor Pech und Ochsengalle. Verschiedene Städte hatten lange vor diesem Datum Verordnungen über die saubere Bierherstellung erlassen, wobei da und dort den ungetreuen Bierbrauern zur Strafe "ihr eigenes elendes Pier selber zu trincken" gegeben wurde.

Das Gebot

Das Reinheitsgebot vom 23. April 1516 war zunächst eine bayerische Angelegenheit, doch keineswegs der erste Bier-Erlass. In anderen Regionen Deutschlands gab es je nach Stadt oder Herrschaft ebenfalls Vorschriften, wie gutes Bier zu brauen sei. Im Norden regelten das jeweilige Stadtrecht wie Zünfte das Bierbrauen. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 übernahmen weitere deutsche Staaten das Reinheitsgebot: Baden 1896, Württemberg im Jahr 1900. Ab 1906 galt es im gesamten Reichsgebiet, mit Ausnahmen, die bis heute Bestand haben:

Traditionelle Biere wie die Leipziger Gose, die etwa Koriander enthält, dürfen weiter gebraut werden, nur in Bayern muss man sich uneingeschränkt an das Reinheitsgebot halten. Schließlich wurde 1923 das Biersteuergesetz erlassen, das bis 1993 galt. In diesem Jahr trennte man die lebensmittelrechtlichen und die steuerrechtlichen Elemente und schuf ein vorläufiges Biergesetz, wie Walter König, Geschäftsführer des Bayerischen Brauerbundes, erklärt. 1987 entschied die EU, dass in Deutschland auch im Ausland hergestelltes Bier verkauft werden darf, das nicht nach dem Reinheitsgebot hergestellt wurde.

Weniger sensationell als oft getan wird

Das Reinheitsgebot von 1516 ist also weit weniger sensationell, als oft getan wird. Freilich übertraf es an Reichweite alles vorher Verfügte, weil es von den Herzögen Wilhelm IV. und Ludwig X. auf dem Landständetag zu Ingolstadt erlassen wurde und den gesamten Brauerstand anging. Hauptpunkt ist der Passus, wonach "zu kainem Pier / merer stückh / dann allain Gersten / Hopffen / vnd wasser / genomen vnd gepraucht solle werden". Der zwischen Segensspruch und Stoßseufzer eigenartig changierende Vers "Hopfen und Malz, Gott erhalt's!" hat hier seine rechtliche Grundlage, was nicht heißt, dass von 1516 an nur allerreinstes Bier produziert worden wäre. Noch anderthalb Jahrhunderte später giftet sich der Prediger Abraham a Santa Clara über ein Bier, das "in dem menschlichen Leib nicht besser haust als ein Regiment Husaren in einem Land".

Dass man in diesem Kontext von der mit dem Bier verbundenen sprichwörtlichen "Gmüatlichkeit" reden muss, versteht sich allein im Hinblick auf das Oktoberfest und den Nockherberg, obwohl man zur Klärung des Phänomens Gemütlichkeit auf die zwei Großereignisse auch verzichten könnte. Das heißt, man wird die Gemütlichkeit wahrscheinlich weder mit noch ohne die beiden ganz in den Griff kriegen. Einerseits gilt es als Axiom, dass am Biertisch die sozialen Grenzen überwunden werden; dass, wie der Prophet sagt, Lamm und Löwe zusammen weiden; will sagen: dass der Maurergeselle und der Ministerialdirigent ihr Bier miteinander trinken und ein gutes Gespräch dabei führen.

Theorie und Praxis verhalten sich hier so zueinander wie am Nockherberg, wo man das Schwarzbier ja auch unter der Schutztheorie trinkt, es gelte eine Fastenkur. Um genau zu sein, kann man schon zweifeln, ob die Mönche den Salvator wirklich erfunden haben, um dem Fastengebot gerecht zu werden. Das ist aber so unerheblich wie die Frage, ob Maurer und Ministerialdirigent sich tatsächlich nach der vierten Maß verbrüdern. Entscheidend ist der Umstand, dass alle Welt sowohl dies als auch das für möglich hält und daran ihre Freude hat.

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