Bea Szenfeld:Blattmacherin

Bea Szenfeld: Vor "Haute Papier" machte Bea Szenfeld Kleider aus Metall, aus Plastik und sogar aus Salatblättern. Zufrieden war sie nicht: "Zu schwer, zu sehr Sechzigerjahre, nicht dauerhaft genug." Vom Papier jedoch ist sie begeistert.

Vor "Haute Papier" machte Bea Szenfeld Kleider aus Metall, aus Plastik und sogar aus Salatblättern. Zufrieden war sie nicht: "Zu schwer, zu sehr Sechzigerjahre, nicht dauerhaft genug." Vom Papier jedoch ist sie begeistert.

(Foto: Bea Szenfeld)

Die schwedische Künstlerin ist mit ihren Kostümen aus weißem Papier berühmt geworden. Wie ein Alltagsmaterial zum Designtrend wurde.

Von Kathleen Hildebrand

Wenn Bea Szenfeld von Papier spricht, dann klingt es, als spräche sie von einem guten Freund. "Es hat seinen eigenen Willen", sagt sie. "Wenn man es einmal zerschnitten hat oder gefaltet, oder wenn es nass geworden ist, dann gibt es kein Zurück. Es hat sich für immer verändert. Papier ist sehr menschlich."

Nur wenige wissen wohl so genau, was Hände, Scheren und im schlimmsten Fall auch Nässe mit Papier machen können, wie die in Polen geborene Schwedin Bea Szenfeld. Ihre irrsinnig aufwendigen Kostüme aus weißem Papier haben die 43-jährige Künstlerin berühmt gemacht. Ihre Stücke waren in Lady Gagas Musikvideo "G.U.Y." zu sehen, sie hat eine Operninszenierung in Stockholm ausgestattet. Mehr als 200 Millionen Menschen sahen sie im Fernsehen, als bei der Eröffnungsshow des diesjährigen Eurovision Song Contests in Stockholm Models mit ihren weißen Kostümen auftraten. Auf jedes wurden die Flaggenfarben eines Teilnehmerlands projiziert: Auf hundertlagige Papierstummel, die an den Körpern der Trägerinnen und Träger wie Anemonen in der Strömung wippten. Große Blüten, verteilt über den gesamten Oberkörper, Dutzende wuchernde Prismen, die aussahen, als hätte man ein Computerprogramm zur Berechnung von Fraktalen eine Weile unbeaufsichtigt gelassen.

Szenfelds Gorilla ist weniger Kostüm als vielmehr ein überproportionales Accessoire. Man trägt ihn wie ein großes Kind auf der Hüfte

Und dann war da noch der Gorilla. Der "Affe", wie Bea Szenfeld ihn nennt. Ihr bekanntestes, ihr begehrtestes Stück. Er ist weniger Kostüm als vielmehr ein sehr überproportionales Accessoire. Man trägt ihn wie ein großes Kind auf der Hüfte, der Gorillakopf ragt dann über den eigenen hinaus, die Arme mit den Papierschuppen umschlingen den Hals der Trägerin. King Kong mal andersrum. Seit Bea Szenfeld in einem Interview verraten hat, dass der Gorilla eigentlich eine Handtasche ist - am Hals hat er ein kleines Fach für die Kreditkarte - seitdem bekommt sie immer wieder Anfragen und Bestellungen. "Kann ich ihn etwas kleiner haben", fragen die Leute. "Oder in Schwarz?"

Bea Szenfeld sagt immer Ja. Ihre Kostüme mögen aussehen wie Kunstobjekte, aber eigentlich ist sie Modedesignerin, hat an der renommierten Beckmans Design-Hochschule in Stockholm studiert. Vor dem Papier-Erfolg hatte sie ein eigenes Label, entwarf kommerzielle Mode. Sich an Kundenwünschen zu orientieren ist ihr nicht fremd. "Auf Modemessen", sagt sie, "muss man die Einkäufer oft regelrecht anflehen, dass sie einem etwas abkaufen. Jetzt denke ich nicht mal mehr über Verkäuflichkeit nach. Ich mache Sachen, die es so noch nie gegeben hat und die in der Herstellung Monate brauchen. Und plötzlich wollen alle sie haben." Ihre Kostüme gehen an private Sammlungen, an Museen oder einzelne Käufer, die sie als Kunstobjekt in ihre Wohnung stellen möchten.

Die Nachfrage zu bedienen ist nicht leicht, denn die gefalteten, geklebten Stücke sind tatsächlich genauso kompliziert anzufertigen, wie es aussieht. Für ihre Durchbruch-Kollektion "Haute Papier" von 2013, deren 15 Kostüme nur aus weißem, natürlich gebleichtem Papier in zwei Stärken gefaltet und geklebt sind, brauchten Szenfeld und ihre zehn Assistenten länger als ein Jahr. Seither sind sie und ihr Team hauptsächlich damit beschäftigt, Ausstellungsstücke für den Versand zu verpacken und die fragilen Löwen, Affen und Blütengewächse zu reparieren, wenn sie - meist beschädigt - zurückkommen. Erst jetzt kann sie anfangen, über eine Folgekollektion nachzudenken. Auch deshalb ist die Modedesignerin Bea Szenfeld mit ihrer Arbeit wohl doch auf dem Kunstmarkt angekommen. Mit dem atemlosen Rhythmus heutiger Kollektionen könnte sie schlicht nicht mithalten.

"Sich an Papier zu schneiden tut sehr weh. Aber man kann nicht richtig jammern - weil man sich ja nur an Papier geschnitten hat."

Bea Szenfeld ist nicht die Einzige, die das Alltagsmaterial Papier für Kunst und Design neu entdeckt hat. Neben den aufwendig neu entwickelten Hightech-Materialien, die viele zeitgenössische Designer faszinieren, hat es offenbar einen sehr eigenen Reiz zu zeigen, was alles möglich ist mit dem ewig gleichen, meist DIN-normierten Material. Welche große Schönheit in den glatten weißen Blättern steckt, die man sonst nur genervt in die Schublade des Büro-Kopierers steckt, wenn der gerade wieder schrill vor Hunger piepst. Seine Alltäglichkeit kontrastiert mit der jahrtausendealten Tradition des Papiers: indisches Papier, ägyptischer Papyrus, handwerkliche Papiere aus China und Japan - jede Kultur entwickelte ihre eigenen Sorten aus den Rohstoffen, die ihr zur Verfügung standen. Der japanische Modedesigner Issey Miyake experimentiert in seinem Alterswerk mit Kleidern aus gewebtem Papier, das aus einer der letzten übrig gebliebenen Papiermanufakturen in Nordjapan kam. Der kalifornische Künstler Jeff Nishinaka macht elaborierte Papierskulpturen - Stadtpanoramen, Vögel und mannshohe Drachen mit fein ziselierten Schnurrbärten, die Unternehmen wie Starbucks und Lexus für ihre Werbekampagnen nutzen. Alles aus weißem Papier. In Prag fertigt die Designerin Tereza Hradilková unter dem Label "Porigami" erfolgreich kunstvolle Scherenschnitt-Grußkarten, die aussehen wie durchscheinende Architekturmodelle. Die Britin Su Blackwell schneidet aus alten Büchern skulpturale Pop-up-Bücher.

Nur: Ist es auch wirklich so ein praktisches Material? Schneidet man sich bei der Arbeit mit Papier nicht zum Beispiel ständig in die Finger? "Ja!" sagt Bea Szenfeld - sie sagt es sehr hoch, sehr gedehnt, sehr leidend. "Daran gewöhnt sich die Haut nie. Sich an Papier zu schneiden ist schrecklich. Es tut sehr weh, aber man kann nicht so richtig jammern - weil man sich ja nur an Papier geschnitten hat. Und wenn man beim Falten plötzlich blutet, hinterlässt das natürlich überall Flecken auf dem Papier." Da sie das Papier aber selten schneide, sondern meist nur falte, passiere das weniger oft, als man denken könnte. Ein Glück, denn gerade arbeitet Szenfeld nicht nur an neuen Entwürfen - vielleicht diesmal aus farbigem Papier. Sie muss auch bald die alte Kollektion, "Haute Papier", aufarbeiten: Ihre aktuelle Ausstellung "Everything you can imagine is real" ist gerade von Stockholm nach Berlin umgezogen. Zur Eröffnung kam Königin Silvia von Schweden. "Vielleicht ist es besser aufzuhören, wenn man gerade ganz oben ist", sagt Bea Szenfeld. "Aber andererseits: Ich bin mit dem Papier noch längst nicht fertig."

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