Architektur:Schick-Saal

Viele Universitäts-Hörsäle sind so einschläfernd wie eine schlechte Vorlesung. Ein neuer Bildband zeigt, wie großartig und inspirierend Auditorien auf der ganzen Welt aussehen können.

Von Gerhard Matzig

Es war sozusagen der Höhepunkt der Vorlesung. Vor einigen Jahren endete ein Psychologieseminar im Hörsaal an der Northwestern University von Chicago mit dem auch pädagogisch wertvollen Live-Orgasmus der damals 25-jährigen Faith Kroll. Für die rund 100 anwesenden Studenten muss das ein einzigartiges Erlebnis gewesen sein. Der Chicago Tribune sagte ein Student: "Das ist sicher etwas, woran ich mich mein Leben lang erinnern werde, das Gleiche kann ich von meiner Vorlesung in Wirtschaftstheorie jedenfalls nicht sagen."

In die Psychologievorlesung von Professor John M. Bailey, in der es auch um die Sexualität gehen sollte, und zwar in der Theorie, hatte die praktischer veranlagte Studentin Kroll ein Sexspielzeug mitgebracht. Sie zeigte die batteriebetriebene Apparatur, die in den USA unter dem Namen "Fucksaw" bekannt ist, im Auditorium herum. Laut Bild handelte es sich um "eine Art Presslufthammer mit angebautem Dildo". Dann wollte die bekennende Exhibitionistin wissen, ob sie . . . also hier und jetzt . . . Professor Bailey hatte keine Bedenken. Die Folgen: Miss Kroll erlebte einen Orgasmus, die Universität einen Skandal und das dortige Psychologie-Studium einen Boom.

Es ist nicht die einzige Hörsaal-Geschichte, die es zu Ruhm gebracht hat. Bekannt ist zum Beispiel auch die Vorlesung "Technik und Gesellschaft", die im Jahr 2002 an der Hochschule Trier stattfand. Sie dauerte - nonstop - 52 Stunden. Zwei Dutzend Studenten verfolgten die sich dann doch etwas in die Länge ziehende Vorlesung im videoüberwachten Hörsaal. Ohne einschlafen zu dürfen. Weshalb sie mit Bananen und Trimmrädern versorgt wurden. Und wer jetzt noch mag, der kann sich auf Youtube den Spot angucken, der zeigt, wie der Mathe-Vorkurs an der Uni Stuttgart aufgelockert wird: mit Papierfliegern. Eine Anleitung für weitere "Hörsaalspiele" gibt es auch dazu.

Papierflieger, Trimmräder, Bananen, ein Pressluft-Dildo . . . könnte es sein, dass der Hörsaal, der in Michel Foucaults Essay "Andere Räume" noch als "heilig" erwähnt wird, etwas von seiner Heiligkeit eingebüßt hat? Dass der Hörsaal, der von Max Horkheimer als "Refugium" und von Hans Maier als "Heimat" beschrieben wurde, seinen Nimbus verloren hat? Ist jener Ort, der auch als Auditorium (vom lateinischen "audire", hören) bekannt ist und nun zu Beginn des Wintersemesters wieder von Tausenden von Studenten bevölkert wird, so unglaublich fad ist, dass man ihn mit allerlei Spektakel reanimieren und wie andere öffentliche Orte auch sogar eventisieren muss?

Falls ja, dann gibt es dafür zwei mögliche Erklärungen. Erstens: Die Vorlesung über den transzendentalen Neuthomismus oder die Lehrveranstaltung "Data Structures, Algorithms and Complexity" machen irgendwie müde. Zweitens: Es ist der Hörsaal selbst, die Architektur, die einen einschläfert - sofern nicht gerade ein Event für Aufmerksamkeit sorgt. Letzteres, der Ort des Wissens als Unort, wäre für eine Wissensgesellschaft besonders fatal. Und es spricht einiges dafür, dass der Normal-Hörsaal an deutschen Bildungshäusern tatsächlich zu wünschen übrig lässt.

Die übliche Tristesse der einfallslosen, durchnormierten, resopalhaften Hörsäle, die nur deshalb zum Hören geeignet erscheinen, weil man darin zumindest das Sehen gerne abschaltet, ist an deutschen Akademien und Universitäten auch eine Folge des Baurechts. Der Staat beschreibt die Bauaufgabe "Hörsaal" in aller Regel sehr restriktiv - von der "Stirnhöhen-Sichtfreiheits-Relation" bis zur "Bestuhlung mit Drehschwingsitzen". Für die Raumkunst reicht dann weder die Fantasie noch das Budget der Baubeamten aus. Das ist auch deshalb bitter, weil es einem schwedischen Sprichwort zufolge drei Lehrer gibt. Erstens die Mitschüler oder Kommilitonen, zweitens den eigentlichen Lehrer oder auch gern die Professorin - und drittens: den Raum. Studien haben die sprichwörtliche Annahme belegt. Die Raumqualität hat einen gewaltigen Einfluss auf die Effizienz der Wissens- oder besser Bildungsvermittlung.

927 Jahre

ist es her, dass in Bologna die erste Universität der westlichen Welt gegründet wurde. Ihre Lehrstätten richtete die Hochschule in den mittelalterlichen Palästen einflussreicher Familien ein. In dem gotischen Palazzo dell'Archiginnasio ist bis heute ein eindrucksvoller Anatomiesaal erhalten. Das vertäfelte Auditorium mit Sektionstisch in der Mitte säumen in Holz gearbeitete Standbilder großer Mediziner. Die Universität Bologna ist mit über 84 000 Studenten eine der größten Hochschulen Europas. Die älteste Universität der USA ist Harvard, 1636 gegründet in Cambridge, Massachusetts.

Wie großartig und inspirierend die Räume des Geistes sein können, daran erinnert jetzt der Prachtband "Die schönsten Universitäten der Welt" (240 Seiten, 49,95 Euro), der Mitte Oktober im Knesebeck-Verlag erscheint. Der französische Fotograf Guillaume de Laubier hat dafür ruhmreiche Stätten besucht, von Bologna, der ersten Universität der westlichen Welt, über die Sorbonne in Paris bis hin zu den namhaftesten englischen und amerikanischen Universitäten wie Cambridge oder Princeton. Orte sind das, die dem Normalmenschen meist verschlossen bleiben.

Zu sehen sind altehrwürdige, kathedralhaft oder schlossartig erscheinende Hallen des Wissens; aber auch moderne, innovative Geistes-Laboratorien wie etwa das Rolex Learning Center in Lausanne. Das Buch bietet Informationen über die Entstehung der Bauwerke sowie anschauliche Beschreibungen der prachtvollen Hörsäle und Seminarräume, der legendären Bibliotheken, naturkundlichen Sammlungen und sogar der Wohnbauten von Professoren oder Studenten. Man erhält einen Einblick in eine Welt des Denkens, die so anmutig und anregend ist, dass man sich eigentlich gleich einschreiben möchte. Papierflieger heben hier schon vor lauter Ehrfurcht nicht ab.

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