Pastrami erobert Berlin:Nicht koscher, aber köstlich

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Für New Yorker ist Pastrami so spannend wie für Münchner eine Leberkässemmel. Hierzulande ist der jüdisch-amerikanische Sandwich-Klassiker noch weitgehend unbekannt. Ein Deli in Berlin Mitte serviert die Spezialität jetzt - mit Erfolg. "Selbst die Mädchen schrecken nicht vor den Fleischbergen zurück", sagt Besitzer Oskar Melzer.

Antje Wewer

Wer Pastrami sagt, denkt meist an "Katz's Delicatessen" und den vorgetäuschten Orgasmus von Meg Ryan. Die jüdisch-amerikanische Spezialität, die rumänische Einwanderer nach Manhattan brachten, ist für die New Yorker inzwischen so aufregend wie eine Leberkässemmel für Münchner.

Für die New Yorker so aufregend wie eine Leberkässemmel für Münchner, für Berliner jedoch eine neue kulinarische Erfahrung: Pastrami. (Foto: robynmac - Fotolia)

Im Herzen der Pastramiwelt sitzen bis heute Touristen, Bauarbeiter und Broker unter Neonlicht an Resopaltischen. Hinter dem meist speckigen Tresen: alte Männer, die Fleischberge in dicke Scheiben schneiden. Die eingelegte Gurke wird lapidar auf einem nassen Unterteller serviert. Über den Köpfen baumelt der Slogan, mit dem der Laden an der East Houston Street während des Zweiten Weltkriegs bekannt wurde: "Send a Salami to your boy in the army."

Auch der Mann, der das Pastrami nach Berlin brachte, hat hier sein erstes Sandwich gegessen. Damals war Oskar Melzer 13 Jahre alt und mit seinem Vater auf Bar-Mizwa-Reise. Inzwischen ist er Ende 30 und hat eine ansehnliche Karriere als DJ und Clubbesitzer ("Pogo", "Weekend") hinter sich. Nun macht er etwas, das seine Eltern nachvollziehbar finden: Zusammen mit Paul Mogg, einem englischen DJ, der die letzten Jahre allerdings mehr Zeit in der Küche des "Grill Royal" verbracht hat, eröffnete er Anfang Mai seine Interpretation eines jüdischen Deli.

"Jewish Penicillin", Ceasar Salad und Shakshuka

Bei "Mogg & Melzer" sitzt man an Designertischen von Tapiovaara oder auf lilafarbenem Kwadrat-Stoff. Hier steht kein jüdischer Nippes hinter Glas, sondern ein ausgelatschter Converse Chuck von Oskar Melzer, den der Künstler Johannes Albers zu einer Installation verarbeitet hat. Die Edelstahlküche glänzt, im Regal steht "French's" Senf. Auf den Tischen: Papageienblumen. Ein Deli, dessen Interior es auch unter Margit J. Mayer in die "AD" geschafft hätte.

Auf der Karte: Matzeballsuppe, die auch "Jewish Penicillin" genannt wird, aber im Grunde nur eine Hühnersuppe mit Klößen ist, klassischer Caesar Salad oder das israelisch-arabische Frühstücksgericht Shakshuka (ein würziges Eiergericht). Während man in Brooklyn gerade dabei ist, das jüdische Deli zu modernisieren und fettarme Varianten auszuprobieren, setzen die Jungs in Berlin auf Coleslaw mit Mayonnaise, die Pickels werden selbst gemacht, genauso wie das Rye Bread. Bei der Entwicklung der einzelnen Gerichte hat Siegfried Danler, der österreichische Sternekoch aus dem "Pauly Saal", mitgeholfen.

An diesem sonnigen Freitagnachmittag sitzt Oskar Melzer, Dreitagebart, Käppi, schwarze Ray-Ban-Sonnenbrille, vor einem Stück Cheesecake und erzählt, dass er die Pastrami-Idee schon lange mit sich herumschleppte. Die Eröffnung der ehemaligen jüdischen Mädchenschule sei dann die Initialzündung gewesen, den Plan endlich umzusetzen. "Wenn nicht hier, wo bitte dann?", sagt Melzer.

Die Jüdische Gemeinde hat das Haus für die nächsten dreißig Jahre an den Galeristen Michael Fuchs vermietet, im Februar eröffnete mit Promi-Aufgebot das Restaurant Pauly Saal. Neben diversen Galerien residiert im Erdgeschoss auch "The Kosher Classroom". Dort wird jeden Freitag ein traditionelles Schabbat-Dinner veranstaltet und sonntags ein Brunch - alles ist koscher.

"Der Prozess ist irre aufwendig"

Bei Melzer nicht. "Bei uns ist alles, was auf den Tisch kommt, nur köstlich", sagt er. Er begrüßt ein paar Gäste, DJ Fetisch ist gerade gekommen, der Künstler Cyprien Gaillard und zwei Mädchen, die aussehen, als würden sie sich von Reiswaffeln ernähren. "Alles Bekannte, die sich freuen, dass es wieder einen Hang-out in Mitte gibt", kommentiert Melzer. "Und selbst die Mädchen schrecken nicht vor den Fleischbergen zurück. Sie bestellen meist die kleine 150g-Variante."

Am liebsten seien ihm aber die jüdisch-amerikanischen Touristen um die sechzig, die auf ihrem Rundgang durchs Scheunenviertel auch einen Stopp in der Mädchenschule einlegen und dann verblüfft sind, dass es hier, im alten, neuen Berlin ein Reuben-Sandwich gibt.

Nach dem perfekten "brisket" (Rinderbrust) hat Melzer anfangs in Deutschland gesucht, aber nicht die Qualität gefunden, die ihm vorschwebte. Schließlich sollte das Pastrami Berliner Style die höchsten kulinarischen Erwartungen erfüllen. Nun kommt das Fleisch tiefgefroren aus Chicago und wird in Berlin gepökelt, kräftig gewürzt und dann heiß geräuchert. Nach sechs Wochen ist es servierbereit. "Der Prozess ist irre aufwendig. Vermutlich hat sich deshalb bisher keiner drangetraut", vermutet Melzer.

Vielleicht ist Berlin aber auch erst jetzt reif für ein jüdisches Sandwich, das man sich einfach nur schmecken lassen kann.

Mogg & Melzer, Auguststraße 11-13, Berlin-Mitte, Öffnungszeiten: tägl. ab 8 Uhr, www.maedchenschule.org

© SZaW vom 02./03.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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