Zweitligist Heidenheim:Die längsten zwei Wochen der Welt

1. FC Heidenheim - Holstein Kiel

Zuspruch in schweren Zeiten: Heidenheim-Trainer Frank Schmidt und Kapitän Marc Schnatterer.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Frank Schmidt, der nur aushelfen sollte, ist seit zehn Jahren Trainer in Heidenheim - und erlebt jetzt erstmals so etwas wie eine Krise.

Von Christof Kneer, Heidenheim

Im Urlaub kommt es manchmal vor, dass die Leute ihn ansprechen. Ob es sein könne, dass er was mit Fußball zu tun habe, fragen die Leute dann, das sei er doch gewesen, kürzlich in der "Sportschau", oder nicht? Selbst ein Kellner in Spanien hat ihn mal erkannt: "Coach! Football!", rief der Kellner, der an seinem Strand möglicherweise die deutsche "Sportschau" empfängt. Am liebsten erinnert sich Frank Schmidt aber an den Mann, der ihn nun wirklich präzise zuordnen konnte. Guten Tag, Herr Schmidt, sagte der Mann und erklärte den Umstehenden stolz, dass der Herr Schmidt der Trainer des SV Sandhausen sei.

Um genau zu sein, trainiert Frank Schmidt den 1. FC Heidenheim, was für viele Traditionsfans aber das Gleiche ist. Heidenheim und Sandhausen sind für viele Fans das, was früher der SV Meppen war: eine Chiffre für Zweitligafußball. Uiuiui, wenn der HSV absteigt, dann muss er demnächst in Heidenheim oder Sandhausen spielen, heißt es dann, und besonders boshafte Redaktionen blocken Landkarten ein, auf denen man erkennen kann, dass es Heidenheim (in Ostwürttemberg) und Sandhausen (in Nordbaden) wirklich gibt.

Platz 16 in der zweiten Liga ist der Stand - dabei wurde schon leise von der Bundesliga geredet

Frank Schmidt, 43, stört das nicht, er ist gerne in Heidenheim, und im Grunde nimmt er das immer noch als Kompliment: dass Heidenheim jetzt eine Chiffre für Zweitligafußball sein soll. Schmidt, geboren in Heidenheim, kennt die anderen Zeiten, die Achtziger- und Neunzigerjahre, in denen der Verein höchstens eine Chiffre für etwas war, das zwischen Landes- und Verbandsliga pendelte. Der Aufstieg begann, als Schmidt im Herbst 2007 Trainer wurde. Besser gesagt: Die Aufstiege begannen. Im Plural.

Das Schicksal ist aber ein bisschen spöttisch gelaunt im Moment, es quält Schmidt ausgerechnet jetzt, da es am schönsten sein könnte. Gerade hat Schmidt sein Zehnjahres-Jubiläum auf der Heidenheimer Bank gefeiert, er ist der dienstälteste Trainer im deutschen Profifußball - und muss nun pünktlich zum Fest eine Erscheinungsform seines Berufs kennenlernen, die ihm noch nie begegnet ist: "Wir hatten hier in zehn Jahren noch nie richtig Misserfolg", sagt er, "es gab mal kleinere Durststrecken, aber Krisen eigentlich nie."

Er sieht es so: Wenn's unbedingt sein muss, dann lernt er jetzt nach zehn Jahren halt auch noch Krise. Dann kann er das künftig halt auch.

Auf dem drittletzten Tabellenplatz liegen seine Heidenheimer gerade, sie haben zwei Heimniederlagen gegen Dresden (0:2) und Kiel (3:5) hinter sich und am Freitag ein Auswärtsspiel beim Erstliga-Absteiger Ingolstadt vor sich. Das klingt nicht gut. Aber Schmidt sagt, er fühle sich "von der aktuellen Situation herausgefordert". Es könne "ja auch Spaß machen, aus so einer Nummer wieder rauszukommen".

Heidenheim ist nicht Sandhausen, das ist schon wichtig zu wissen. In Sandhausen mussten sie zuletzt trotz der großzügigen Alimente eines privaten Gönners meist gründlich um den Klassenverbleib kämpfen, beim FC Heidenheim, von örtlichen Unternehmen seriös unterstützt, gelang das immer mühelos. Achter, Elfter, Sechster, das waren die Platzierungen der ersten drei Zweitligajahre, und der Blick ging schon fast in die andere Richtung: Wenn Darmstadt in die Bundesliga aufsteigen kann, können wir das dann nicht auch? Sehr laut haben sie das nicht gesagt in Heidenheim. Aber leise schon.

Tatsächlich haben drei Jahre gereicht, um sich zumindest unter Kennern einen kleinen, aber feinen Ruf zu erspielen. Heidenheim? Sind das nicht die aus der "Sportschau", die mit diesem kultigen Trainer, der den Kopf immer leicht schief hält und im angrenzenden Nacken eine solide Portion Schalk mit sich führt? Und gibt's da nicht diesen rotblonden Mittelfeldspieler, dessen Namen man sich nicht merken kann? Marc Schnatterer, inzwischen 31, hat irgendwann in seiner Karriere mal die Abzweigung verpasst, die ihn in den richtig großen Fußball hätte führen können, und so zeigt er seine Erstligabegabung eben seit Jahren in Heidenheim. Schmidt & Schnatterer: Sie stehen für Heidenheim und für Kontinuität, was tatsächlich dasselbe ist.

Als Trainer ist Frank Schmidt fast so alt wie der Verein, den er trainiert. Im Sommer 2007 entstand der FC Heidenheim durch Abspaltung vom Mutterverein Heidenheimer SB. Zwei Monate später baten sie Schmidt, der gerade seine Spielerkarriere beendet hatte, doch bitte schnell für den entlassenen Trainer einzuspringen - nur zwei Wochen, Frank, bitte, wirklich nur zwei Wochen. Bloß gewann der Trainer Schmidt dann seine ersten beiden Spiele in der Oberliga, eins 9:1 und das andere 2:1 gegen Normannia Gmünd, trainiert von einem gewissen Alexander Zorniger.

Seitdem dauern diese zwei Wochen an.

Er wolle der Volker Finke von Heidenheim werden, hat Schmidt damals gesagt, "das war natürlich arg leichtsinnig daherg'schwätzt", sagt er heute. Seit diesem Spruch im Herbst 2007 hat der Hamburger SV 16 Trainer verbraucht, Arminia Bielefeld setzte in dieser Zeit 19 unterschiedliche Menschen auf die Bank, in Heidenheim saß immer nur Frank Schmidt. Warum hätte man auch was ändern sollen?

Gleich in seinem ersten Jahr qualifizierte sich Heidenheim für die viertklassige Regionalliga, im nächsten Jahr folgte der Aufstieg in die dritte Liga. "Die Aufstiege gingen schneller, als ich meine Trainerlizenz machen konnte", sagt Schmidt. Er hat sie immer irgendwie nebenbei gemacht, bis hin zur sog. Fußballlehrer-Lizenz; er saß in der berühmten 2011er-Klasse mit Roger Schmidt, Markus Weinzierl, Markus Gisdol und Thomas Schneider.

Schmidt ist Schmidt. Aber jetzt ist sein verschmitzter Pragmatismus auf völlig neue Art gefordert

Das Thema "Abnutzung" stand nicht im Lehrplan, aber Schmidt braucht eh kein Buch, um sein Team zu führen. "Man muss die Spieler auch leben lassen", sagt Schmidt, "an der Stelle entscheidet sich, ob man länger Trainer bleiben kann. Und Spieler beobachten auch genau, ob ein Trainer den Erfolg für sich reklamiert, oder ob er sagt: Das waren wir alle."

Schmidt ist Schmidt, das war immer sein Erfolgsgeheimnis. Er ist weder Laptoptrainer, noch Fortschrittsskeptiker; weder verherrlicht er einen Spielstil, noch lehnt er einen anderen ab; weder drängt er sich nach vorne an die Rampe, noch macht er sich vorsätzlich klein.

Auf diese Weise ist er zu einer begehrten Insider-Marke geworden, zwei-, dreimal schon hat er Erstliga-Angebote abgelehnt. Aber jetzt, in der ersten Krise seines Trainerlebens, ist er mit seinem verschmitzten Pragmatismus auf einmal völlig neu gefordert. In seiner Heimatstadt hört er zum ersten Mal Geraune. "Natürlich sagen jetzt manche: 'Was macht der Schmidt denn da?' Aber ich bin den Leuten nicht böse: Ich weiß ja, dass wir durch unseren dauerhaften Erfolg diese hohe Erwartungshaltung erst geweckt haben."

Jetzt also Ingolstadt. Dort haben sie in dieser Saison übrigens auch schon mal den Trainer gewechselt.

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