Zweite Station der Vierschanzentournee:Wieder auf Normalmaß

Beim Neujahrsskispringen wird Severin Freund Siebter - und doch wirken die Deutschen etwas entzaubert. Freund versagen im entscheidenden Moment die Nerven, Gregor Schlierenzauer ist auch in Garmisch nicht zu bezwingen. Für Martin Schmitt ist die Tournee vorzeitig beendet.

Thomas Hahn, Garmisch-Partenkirchen

Die Laune des Skispringers Severin Freund ist unerschütterlich. Er wandert mit einer solch freundlichen Gelassenheit durch diese 60. Vierschanzentournee, als störten ihn weder Sauwetter noch Druck noch Reporterfragen. Aber eine kleine Enttäuschung hat er dann doch zurückbehalten vom Neujahrsskispringen in Garmisch-Partenkirchen: Zweiter war er nach dem ersten Durchgang gewesen, nach einem mächtigen Sprung auf 138,5 Meter. Er hatte die Chance auf eine verheißungsvolle Ausgangsposition für die zweite Hälfte der Tournee gehabt.

Four Hills Tournament - Partenkirchen Day 2

War auch beim zweiten Springen der Tournee nicht zu schlagen: Gregor Schlierenzauer.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Aber ganz reicht die Kraft eben noch nicht. Kopfschütteln im Zielraum. 130,5 Meter. Der Österreicher Gregor Schlierenzauer (138 Meter/134 Meter) gewann nach seinem Sieg in Oberstdorf auch die zweite Etappe auf der Olympiaschanze am Gudiberg, wieder vor seinem Landsmann Andreas Kofler (130,5/137,5). Severin Freund blieb Platz sieben. Ein gutes Ergebnis, kein glänzendes. Seinen zweiten Sprung nannte er "daneben". "Das war mit mehr Gewalt gesprungen, und dann fehlt eben die Leichtigkeit." Er schaute der vergebenen Chance hinterher. Er sagte: "Naja."

Das ist nicht unbedingt ein Bilderbuch-Wintertag gewesen, was sich den Besuchern der Werdenfelser Marktgemeinde am Neujahrstag bot. Es war warm geworden, der Schnee, der tags zuvor noch Bäume und Häuser bedeckt hatte, war in sich zusammengefallen, und auf den Gehwegen stapften die Leute durch grauen Matsch. Aber die Luft war einigermaßen ruhig, und es regnete nicht. Es würde nicht schon wieder ein Schanzenchaos geben wie am ersten Wettkampfabend der Tournee in Oberstdorf, als der Wind mit der Konkurrenz Lotto spielte. Ein fast reibungsloser Wettkampf mit vertretbaren Windwechseln entfaltete sich, der den Deutschen ihre Grenzen aufzeigte.

So einfach ist das eben nicht, mit zwei jungen Leuten die Schanzenwelt einzureißen. Severin Freund, 23, war im Grunde nichts vorzuwerfen, aber im Kampf um den größten Sieg seiner bisherigen Karriere hatte er sich eben doch zum Übereifer hinreißen lassen. "Er ist einfach zu flach rausgekommen", sagte der deutsche Cheftrainer Werner Schuster, "er war zu schnell in der Vorlage." Ihm fehlte im entscheidenden Augenblick der Killerinstinkt, der vollendete Siegertypen ausmacht. Und Richard Freitag, 20, der seit seinem Weltcupsieg in Harrachov am dritten Aventssonntag, wie Freund als Tournee-Geheimfavorit galt, konnte in Garmisch-Partenkirchen gar nicht vorne mitmischen.

In Oberstdorf rettete er sich noch auf Platz zehn, obwohl er da auch schon nicht optimal vom Tisch gekommen war, in Garmisch-Partenkirchen strandete er auf Platz 25. "Er springt nicht ganz so befreit auf", sagte Werner Schuster. Aber ist das nicht normal für einen Hochbegabten im ersten Jahr seines Schaffens als potentieller Siegspringer? "Auf jeden Fall", antwortete Richard Freitag, "aber es nervt."

Kofler oder Schlierenzauer

Die Deutschen sind ihre Geheimfavoritenrolle los, für den Sieg scheinen vor der zweiten Hälfte mit Springen in Innsbruck und Bischofshofen nur noch zwei Österreicher infrage zu kommen. Andreas Kofler, der Tournee-Gewinner von 2010, und Weltmeister Gregor Schlierenzauer, der natürlich sofort etwas zu der Aussicht sagen sollte, nach seinen zwei Auftaktsiegen mit zwei weiteren Erfolgen, den Tournee-Rekord von Sven Hannwald anno 2002 zu wiederholen.

Und ebenso natürlich antwortete Schlierenzauer, dass er sich darüber keinen Kopf mache. Auch nicht über die eine Million Schweizer Franken, welche in diesem Jahr die Prämie für einen Vierfach-Triumph ist. "Die Versicherungen haben das clever abgeschlossen", sagte er zum großen Geld. Mehr nicht.

Bei den Deutschen wiederum war eine ganz andere Frage wichtig. Welches Sechser-Team darf weiter nach Österreich? Und die Frage war vor allem deshalb interessant, weil sie den früheren Goldspringer im Team betraf, den hochprominenten Martin Schmitt, Doppelweltmeister von 1999 und 2001. Nach Knieproblemen in der Vorbereitung und einem sehr mäßigen Saisonstart hatte er schon vorher auf der Kippe gestanden. Nach dem Neujahrsspringen war klar, dass er raus musste aus dem Team.

Wie schon in Oberstdorf gehörte Schmitt zu den Verlierern des ersten Durchgangs: 38. Platz mit 121 Metern, unterlegen im K.o.-Duell mit dem Japaner Taku Takeuchi. Da konnte Cheftrainer Schuster im Grunde gar nicht anders, als ihn aus der Mannschaft zu komplimentieren. Seine internen Rivalen im Team glänzen nicht gerade mit konstanten Leistungen. Aber besser sind Michael Neumayer (in Oberstdorf nicht qualifiziert/in Partenkirchen 17.), Stephan Hocke (Achter/26.), Andreas Wank (44./20.) und Maximilian Mechler (27., 43.) eben doch.

Wäre Schmitt besser gesprungen als Wank, hätte er seinen Platz behalten. Aber so? Schmitt machte sich nichts vor. Noch ehe Schuster seine Nichtnominierung bestätigen konnte, sagte Schmitt im "ZDF", er rechne damit, die nächsten beiden Etappen nicht mehr bestreiten zu dürfen. "Es ist klar, dass die besten Sechs weiterfahren, und zu den ersten Sechs gehöre ich nicht." Und nun? Weltuntergang? Oder wenigstens Karriere-Ende? Martin Schmitt schmunzelte. Er sagte: "Morgen wird die Sonne auch wieder aufgehen, und ich werde immer noch Skispringer sein."

Die Tournee geht weiter. Die Deutschen sind aufs Normalmaß zurechtgestutzt, und Werner Schuster hoffte, dass nach den aufregenden Auftritten daheim nun wieder etwas mehr Ruhe im Inneren seiner Leute einkehrt. Eine Gelassenheit, die sich nicht nur in Interviews zeigt, sondern auch im entscheidenden Augenblick am Schanzentisch.

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