Zweite Liga:Neu ist nur die Sauna

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Hanno Behrens weiß, wie sich Aufsteigen anfühlt: Mit seinem bärtigen Kollegen Marco Sailer feierte er 2015 in Darmstadt. (Foto: Roland Holschneider/dpa)

Schnörkellos nähert sich Darmstadt 98 dem Erstliga-Aufstieg. Dabei ist der Klub erst vor sechs Jahren der Insolvenz entkommen.

Von Johannes Aumüller, Darmstadt

Der Trainer ist Verwaltungsbeamter und setzt die Übungseinheiten erst für 15.30 Uhr an, seine Spieler sind keine richtigen Fußballer, sondern unter anderem Metzger oder Ingenieur. So ähnlich beginnen jedes Jahr ein paar schöne Amateur-Geschichten aus dem DFB-Pokal, aber so beginnt auch eines der kuriosesten Kapitel aus 52 Jahren Fußball-Bundesliga. Der Verwaltungsbeamte und der Metzger und der Ingenieur, das waren Mitglieder jenes Teams, mit dem der SV Darmstadt 98 in der Saison 1978/79 erstmals in der Bundesliga antrat - und das bald wieder abstieg, weil Feierabendkicker in Spielklasse eins schon damals selten waren.

Nun könnte es mal wieder - zum inzwischen dritten Mal - soweit sein, dass es Darmstadt in die Bundesliga schafft. Auch wenn diesmal kein Spieler hauptberuflich Formulare ausfüllt oder Fleisch hackt, sondern alle einen Angestelltenstatus als Profifußballer genießen, wäre das ähnlich verwunderlich wie damals.

Am Samstagnachmittag sitzt Darmstadts Trainer Dirk Schuster abgekämpft, aber zufrieden in einem stickigen und muffigen Raum im Keller des Böllenfalltores, dem Uralt-Stadion seines Klubs. 3:2 hat seine Elf das Zweitliga-Spitzenspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern gewonnen und ist jetzt Tabellendritter. Es war ein glücklicher Sieg, weil es auch an einer Elfmeter-Entscheidung von Schiedsrichter Wolfgang Stark lag, dass Darmstadt einen frühen 0:1-Rückstand umbiegen konnte. Aber es war auch ein Sieg nach typischer Art der "Lilien", wie sie heißen, weil eine solche Blume das Stadtwappen ziert: reduzierte fußballerische Mittel, aber viel Leidenschaft, Schusters Lieblingswort.

Es gehört ja zu den Trends des deutschen Profifußballs, dass jährlich ein Klub ins Oberhaus aufrückt, mit dem so niemand rechnet. 2012 hat es Fürth geschafft, 2013 Braunschweig, 2014 Paderborn, das gab immer wundervolle Geschichten über ungewöhnliche Außenseiter. Doch ein Aufstieg von Darmstadt wäre wohl die ungewöhnlichste all dieser Geschichten.

Es ist erst knapp sechs Jahre her, dass die 98er knapp der Insolvenz und dem Absturz in die Fünftklassigkeit entgingen. Und es ist nur ein Jahr her, dass sie in der Nachspielzeit der Verlängerung das Relegationsduell gegen Bielefeld um den Zweitliga-Aufstieg gewannen. Präsident Rüdiger Fritsch hat das als "achtes Weltwunder" bezeichnet; da konnte er nicht ahnen, das er bald vielleicht zur Formulierung vom neunten Weltwunder greifen muss.

Seit einem Jahr mischen die Lilien die zweite Liga auf - unter Bedingungen, die an jene Zeit erinnern, als der Verwaltungsbeamte, der übrigens den Namen Lothar Buchmann trug, das Training steuerte. Der Etat beträgt gerade mal fünf Millionen Euro, viel läuft über ehrenamtliche Strukturen. Das beste am Böllenfalltor ist der altehrwürdige Klang des Namens, wobei sich selbst hier ein Sponsor in den offiziellen Stadionnamen geschmuggelt hat. Ansonsten steht die Spielstätte im Wesentlichen noch so da, wie sie 1921 errichtet worden ist. Mit Platz für nur 16 150 Zuschauer und wenig Sitzschalen, mit bröckelndem Putz und jenem muffigen Räumchen für die Pressekonferenzen, dem es so zu gönnen wäre, mal einen Besuch von Pep Guardiola zu erleben. Eine Rasenheizung und eine Videoleinwand haben sie eingebaut, aber so richtig ran ans Stadion können sie erst demnächst. Ein großer, fast 30 Millionen Euro teurer Umbau ist geplant, aber vor 2018 wird das nichts. Auch die Trainingsbedingungen sind miserabel, manchmal kommt nur kaltes Wasser aus den Duschen. Einer von Schusters besten Sprüchen geht so: "Alles ist uralt, das Stadion, das Trainingsgelände, sogar die Massagebänke. Das einzig Neue ist die Sauna, die ist erst 20 Jahre alt."

Dirk Schuster, 47 Jahre und beim DFB-Trainerlehrgang 2007 der Jahrgangsbeste, ist ohne Zweifel eine zentrale Figur dieses unerwarteten Aufschwungs. Vor zweieinhalb Jahren hat er die Elf übernommen, da war sie Letzter in der dritten Liga. Dann hat er sie nach oben geführt und ihr ein Spielkonzept verpasst, das irgendwie auch an Fußball von früher erinnert. Keine akademischen Schnörkel oder langes Mittelfeldgeschiebe, dafür viel Kampf und viel Gerenne. "Wenn einer mit nur ein bisschen Muskelmasse hinten den Ball hat, haut er ihn nach vorne", stellte Kaiserslauterns Kerem Demirbay am Samstag leicht polemisch, aber nicht unzutreffend fest. Dazu kommt ein großes Augenmerk auf Standards, aus denen heraus die Darmstädter schon rund zwei Dutzend Treffer erzielten, und fertig ist der Mix, mit dem viele spielstärkere Teams kaum zurechtkommen - und mit dem sich Schusters Team in Aufstiegsnähe schob.

Wobei: Aufstieg, das ist so ein Wort, das sie in Darmstadt etwa so gerne haben wie die Lilie das gefräßige Lilienhähnchen. Selbst in dieser guten Ausgangslage drei Spieltage vor Schluss schafft es der Trainer, seine Sätze noch so zu bauen, dass sie vor allem Bausteine wie "von Spiel zu Spiel gucken" enthalten. Aus seinen Augen funkelt es aber heraus, als könne er sich kaum etwas Schöneres vorstellen, als der nächste Trainer einer Darmstädter Bundesliga-Mannschaft zu sein. Er würde die Einheiten sicher auch früher als 15.30 Uhr ansetzen.

© SZ vom 04.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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