Zweite Liga:Der tiefe Fall nach dem großen Krabbeln

Szene im Vordergrund die zum Elfmeter fuehrt Dong Won Ji SV Darmstadt 98 im Zweikampf mit Richard

Bauchlandung mit Folge: Darmstadts Angreifer Dong-Won Ji geht im Zewikampf mit Sandhausens Richard Sukuta-Pasu zu Boden. Den fälligen Elfmeter verwandelt Tobias Kempe zum Ausgleich.

(Foto: Michael Bermel/Eibner/imago)

Steigt Darmstadt ab, wäre der Klub wieder dort angekommen, wo vor vier Jahren ein einzigartiger Aufstieg begann.

Von Frank Hellmann, Sandhausen

Es gibt kaum einen Verein, der den provinziellen Charme der zweiten Bundesliga derart verkörpert wie der SV Sandhausen. Die Gemeinde im nordwestlichen Baden-Württemberg hat nur 15.000 Einwohner und das Stadion liegt mitten im Hardtwald, dem es seinen Namen verdankt. Heidelberg liegt nur acht Kilometer, Darmstadt eine Dreiviertelstunde Autofahrt entfernt. Was schon mal erklärt, warum an seinem sonnigen Samstagnachmittag fast die Hälfte der 10.269 Zuschauer blaue Trikots trugen und nach Schlusspfiff den aufmunternden Applaus des Trainers Dirk Schuster mit artigen Ovationen erwiderten.

Schuster hatte als einer der ersten das 1:1-Remis an einem sonnigen Samstagnachmittag als Teilerfolg verortet, während Spieler wie der eingewechselte Terrence Boyd, der den Ball in der 84. Minute an den Innenpfosten geköpfelt hatte, nach diesem zum Heimspiel umfunktionierten Auswärtsspiel auf dem Rasen zusammensackte. Denn noch immer stehen die Darmstädter auf Rang 17, sie sind Vorletzter, auf einem direkten Abstiegsplatz. Für solch scheinbar ausweglose Situationen hat Darmstadt seine loyalen Fans - und Typen wie Aytac Sulu, die nach dem Duschen aus der Kabine kommen und sagen: "Ein Punkt ist immer was wert. Komischerweise sind es nur noch drei Punkte bis zum Relegationsplatz." Stimmt ja auch. Der FC St. Pauli, aktuell 16., verlor am Samstag 1:3 in Regensburg.

Sulu dient als wahrer Zeitzeuge für das Auf und Ab dieses Klubs in einem halben Jahrzehnt. Im Sommer 2018 könnte Sulu den zweiten Abstieg in Serie erleben und würde damit wieder dort landen, wo auch für ihn alles begonnen hat. Dann hätten die Lilien, die im Slogan bekunden, aus Tradition anders zu sein, nämlich Bemerkenswertes vollbracht: erst direkt rauf aus der dritten Liga bis in die Bundesliga zu krabbeln - und dann nach zwei Erstligajahren direkt wieder runter.

Die Gegner würden 2018/2019 statt Sandhausen, Braunschweig oder Heidenheim dann Münster, Rostock oder Aalen heißen, was zunächst gar nicht so schlimm klingt. Doch die finanziellen Unterschiede zwischen dritter und zweiter Liga sind so exorbitant, dass sich die Drohkulisse für viele Vereine existenzbedrohend darstellt. Nicht aber aktuell für Darmstadt 98, wie Präsident Rüdiger Fritsch betont: "Wir haben Rücklagen gebildet. Wir könnten die dritte Liga finanzieren, sie würde uns nicht umbringen." Doch beispielsweise ist der von der Stadt beschlossene und auch bereits begonnene Stadionumbau am maroden Böllenfalltor eigentlich an Einnahmen geknüpft, die vom Verein mit den Fernsehgeldern des deutschen Profifußballs gedeckt werden sollten. Wie das alles im Abstiegsfall funktionierten soll, möchte Fritsch im Detail erst erörtern, wenn es wirklich soweit ist.

"Die Situation ist noch lösbar", sagt Trainer Dirk Schuster

Für Fritsch ist es nach eigenem Bekunden zu früh für eine Bilanz: "Ganz am Ende wird erst abgerechnet." Noch klammern sich die Protagonisten an die Hoffnung, die auch dank der eigenen Historie lebendig ist. Vor vier Jahren hatte Darmstadt im Relegationsspiel bei Arminia Bielefeld ein wahres Wunder vollbracht und im Jahr darauf das entscheidende Heimspiel gegen den FC St. Pauli gewonnen. Beide Male gelang Darmstadt der Aufstieg. Der Unterschied zur aktuellen Lage ist allerdings, dass das auch damals von Schuster trainierte Team im Grunde nur gewinnen konnte.

"Solche Momente müssen wir als Hilfe nehmen", fleht der Trainer jetzt, der im Winter nach Darmstadt zurückgekehrt war. "Die Situation ist noch lösbar", sagt er. Andererseits ist ihm nach dem insgesamt 13. Unentschieden auch klar: "Uns fehlt der richtige Befreiungsschlag." Der soll nun im nächsten Heimspiel gegen Union Berlin oder allerspätestens am letzten Spieltag gegen Erzgebirge Aue her. Schuster verspricht den "vollen Fokus." Er scheint in der aktuellen Phase beinahe mehr Durchhalteparolen als Spielsysteme im Kopf zu haben. Zum insgesamt eher durchwachsenen Auftritt am 31. Spieltag sagte er: "Wir haben alles versucht, alles rausgefeuert. Das war ein sehr gutes Auswärtsspiel, auch wenn es von der Optik nicht so gut aussah." Zum einen widersprachen ihm selbst die eigenen Spieler (Felix Platte: "Es passiert im Fußball, dass man nicht 100 Prozent geben kann"), zum anderen entstand in der ersten Halbzeit eher der gegenteilige Eindruck: Da wirkte Darmstadt so schwach wie lange nicht mehr.

Die Gäste gerieten folgerichtig durch ein Tor von Denis Linsmayer in Rückstand, auch wenn die Sandhausener Führung eigentlich irregulär war, weil der Ball sich bei der Vorlage von Richard Sukuta-Pasu eigentlich schon im Toraus befunden hatte (11.). Darmstadt war selten auf der Höhe, die Abwehr wacklig, der Angriff harmlos. Dass Akteure wie die ausgeliehenen Dong-Won Ji (FC Augsburg) oder Slobodan Medojevic (Eintracht Frankfurt) Erstligaerfahrung besitzen, war nicht einmal in Ansätzen zu erraten.

Und dann war da auch noch der bedauernswerte Kevin Großkreutz, der dermaßen neben den Schuhen stand, dass sein Trainer kaum eine andere Wahl hatte, als seinen auf der Rechtsverteidigerposition irrlichternden Weltmeister zur Halbzeit von den Qualen dieser Begegnung zu erlösen. Ohne ihn nahm Darmstadt endlich an diesem kampfbetonten Spiel teil, erzwang durch einen von Tobias Kempe sicher verwandelten Foulelfmeter das 1:1 (50.) und hatte einige gute Siegchancen. So hinterließ das Endergebnis ziemlich zwiespältige Gefühle, die Linksverteidiger Fabian Holland vielleicht am treffendsten zusammenfasste: "Was dieser Punkt wert ist, wird man erst am Ende der Saison wissen."

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