Zweite Liga:Aufbruch in der Elb-Bombonera

Tor zum 1 1 Jubeltraube der Dresdner Spieler in der Mitte mit offenem Mund Niklas Kreuzer SG Dyn

Emotionaler Schlusspunkt: Die Dresdner Spieler bejubeln in der fünften Minute der Nachspielzeit den Ausgleichstreffer gegen Nürnberg, mit weit aufgerissenem Mund feiert Niklas Kreuzer.

(Foto: Hentschel/imago)

Durch ein Tor in letzter Sekunde und einen lebensbejahenden Auftritt zeigt Rückkehrer Dresden, dass die Hoffnung auf den Klassenverbleib keine Schimäre sein muss.

Von Javier Cáceres, Dresden

Die wichtigste Nachricht des Tages hatte das Spiel präsentiert, noch ehe es begonnen hatte. Sie zeigte sich in Form eines Banners, das in jenem Teil des Dresdner Stadions zu sehen war, in dem die Ultras Dynamos beheimatet sind. "Die SGD ist wieder da", war dort zu lesen, drei Ausrufezeichen rundeten die Kunde ab, dass die Sportgemeinschaft Dynamo nach zweijähriger Drittligazugehörigkeit in die zweite Liga zurückgekehrt ist. Es lohnt sich, daran zu erinnern, weil genau das am Ende der neunzig Minuten gegen den 1. FC Nürnberg leicht hätte in Vergessenheit geraten können, aus einer Reihe von Gründen, von denen dieser vielleicht der wichtigste war: Im Angesicht der durch empfindliche Abgänge geschwächten, aber dennoch drittbesten Elf des vergangenen Zweitligajahres schlug sich Dynamo derart respektabel und lebensbejahend, dass man leicht hätte meinen können, der achtmalige Meister und elfmalige Pokalsieger der verblichenen DDR sei gar nicht richtig weg gewesen.

Mit einem 1:1-Unentschieden endete die Partie, gefeiert wurde das Remis auch deshalb mit einer Ehrenrunde der Heimmannschaft, weil es durch eine dramatische Schlusspointe zustande gekommen war. Nach 44 Minuten waren die Nürnberger durch einen Elfmeter in Führung gegangen, den der neue Club-Trainer Alois Schwartz aufrichtig als "ein kleines Geschenk" wertete. Nach einer unsouveränen Attacke von Innenverteidiger Florian Ballas war Tim Leibold zu Fall gekommen, Nürnbergs österreichische Offensivkraft Guido Burgstaller verwandelte sicher. Den Ausgleich erzielte Dresdens Stürmer Pascal Testroet erst Sekunden vor dem Ende der fünfminütigen und damit - gemessen am Gewohnheitsrecht des Fußballs - außergewöhnlich langen Nachspielzeit. Sie hinterließ bei den Nürnbergern einen "faden Beigeschmack", wie es Trainer Schwartz formulierte. Testroets Freude tat das keinen Abbruch. Nach der Partie eilte er - begleitet von einem kleinen Mädchen, auf deren Trikot das Wort "Nichte" zu lesen war - von Interview zu Interview und gab dabei Erstaunliches zu Protokoll. "Sie hat mein Tor schon beim Frühstück vorausgesagt. Naja, eigentlich hatte sie zwei gefordert", sagte Testroet, ehe auch das Kind namens Nala zu Mixed-Zone-Ehren kam. Sie musste nicht nur ihr Alter verraten ("Fünf!"), sondern auch ihr Seelenleben nach außen kehren. Ob sie traurig sei, dass es bei nur einem Tor des Onkels geblieben sei, wurde sie gefragt. Und Nala nickte.

In Dynamos Startelf standen neun Spieler aus der Aufstiegsmannschaft

Trainer Uwe Neuhaus war da weit entspannter: "Ich bin für den Anfang sehr zufrieden mit meiner Mannschaft, dazu habe ich jegliches Recht. Wir haben gegen einen Mitfavoriten um den Aufstieg ein richtig gutes Spiel gezeigt." Neuhaus hatte neun Spieler aus der Aufstiegsmannschaft aufgeboten, nur Torwart Marvin Schwäbe (vormals Hoffenheim) und Ballas (FSV Frankfurt) kamen zum Zuge. Umso beeindruckter war der Coach, dass sein Team nervlich standhielt. In der zweiten Liga begegne man Gegnern, die "deutlich mehr Qualität" haben als die Rivalen des vergangenen Jahres, "da darfst du nicht unruhig werden", sagte Neuhaus, und spielte damit darauf am, dass seine Elf auch nach dem Rückstand ihre Linie nicht verlor. Er hätte es aber auch gut auf Dynamos Fans münzen können, die das Stadion in eine Elb-Bombonera verwandelten, weil sie auf und ab hüpften wie es die Fans von Boca Juniors in Buenos Aires bei den Spielen in der echten Bombonera tun. Dynamo leistete sich durchaus nervenzehrende Fehler, zumal im Aufbauspiel. Doch auf den Rängen war nie ein Murren zu hören, im Gegenteil: "Es ist gut, dass uns die Fans einen gewissen Kredit geben", sagte Kapitän Marco Hartmann. "Man merkt, es gibt eine andere Erwartungshaltung."

Man darf das wohl als Beitrag der Fans interpretieren, der fußballerischen Aufbruchsstimmung der Stadt Kontinuität zu verleihen, die für den lange gebeutelten Osten fast größere Relevanz hat als der Bundesliga-Aufstieg von RB Leipzig. In Dresden hatten sie lange genug auf ein solches Gefühl gewartet. "Nach der Wende gab es bei Dynamo kaum Phasen, in denen mal mit Ruhe und Sachverstand etwas aufgebaut wurde. Oft hatten Leute das Sagen, die von Fußball wenig Ahnung hatten", sagte Klublegende Hans-Jürgen Kreische im Stadionmagazin Kreisel. Nun scheint alles anders. Schon vor der vergangenen Saison, die das Team mit nur zwei Niederlagen aus 38 Spielen beendete, war die finanzielle Stabilisierung des Klubs verkündet worden, nun geht Dynamo mit einem 20-Millionen-Euro-Etat in die Saison. Euphorie? Oh ja! Der Klub musste den Verkauf von Dauerkarten einstellen, nachdem 18 000 Saisontickets abgesetzt waren. Man benötigt noch Tickets für die Tageskassen.

Im Austausch bietet Dynamos Team Aufrichtigkeit und auch das eine oder andere feinfüßige Talent. Allen voran Mittelfeldspieler Marvin Stefaniak, der 2015/16 mit 20 Torvorlagen bester Vorbereiter der dritten Liga war und nun vom Trainer zum Vizekapitän bestellt wurde. Ähnliches gilt für den eingewechselten Mittelfeldspieler Niklas Hauptmann, der Testroets Treffer durch einen geistesgegenwärtigen Direktpass vorbereitete. Dass der Weg zum Klassenerhalt steinig werden wird, wie Testroet sagte - geschenkt. Eine Schimäre muss er nicht sein, auch wenn der Sprung in die zweite Liga als gewaltig wahrgenommen wird. "In den ersten drei Minuten habe ich geschluckt", gestand Testroet mit Blick auf die Qualität und Wettkampfhärte der Nürnberger Verteidiger, sein Körper künde davon: "Ich habe mehr blaue Flecken als sonst". Die Blutergüsse aber sind ihm überaus willkommen. Mit solchen Spielern "will man sich messen" - jetzt und möglichst in Ewigkeit, Amen.

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