Jahn Regensburg:Die stärkste Mannschaft der Rückrunde

Jahn Regensburg - FC St. Pauli

"Ich würde nicht gerne gegen uns spielen" - das muss Marco Grüttner (l.) glücklicherweise auch nicht.

(Foto: Armin Weigel/dpa)
  • Jahn Regensburg kämpft um den dritten Aufstieg in Serie. Er würde in die erste Bundesliga führen.
  • Grund zum Selbstvertrauen hat die Mannschaft: Kein anderes Team hat in der Rückrunde mehr Punkte geholt.
  • Hier geht es zur Tabelle der 2. Fußball-Bundesliga.

Von Johannes Kirchmeier

Als Achim Beierlorzer im vergangenen Sommer gerade begonnen hatte mit seiner Arbeit als Trainer des SSV Jahn Regensburg, da sah er einem Stürmer auf dem Trainingsplatz zu, der ihm imponierte. Schon nach den ersten Szenen war ihm klar: "Er ist von der Mentalität her genauso: Lieber lauf' ich den Verteidiger an, als dass ich mich irgendwie in den Raum stelle und hoffe, dass er mir den Ball durch Zufall in die Füße spielt."

Beierlorzer hatte in Regensburg schnell einen Bruder im Geiste entdeckt. Er machte ihn zu seinem Kapitän. Und sollte es nicht bereuen.

"Jeder kann die Tabelle lesen"

Der Franke Beierlorzer, 50, hatte den Schwaben Marco Grüttner, 32, in der Oberpfalz gefunden. Zwei, die in ihrem Beruf nicht mehr die Jüngsten sind und eine lange Zeit ihres Lebens gar nicht damit gerechnet haben, im Profifußball zu landen. Allerdings auch zwei, die zum großen Sprung in der zweiten Fußball-Bundesliga ansetzen. "Ich hoffe, dass wir auf der Welle weiterschwimmen können", sagt Grüttner. Ein Surfbrett brauchen sie an der Donau nicht.

Die Welle, das ist ihre Serie, die im deutschen Profifußball bald ihresgleichen suchen könnte. Was den finanzstarken Klubs RB Leipzig oder TSG Hoffenheim nicht gelang, könnte dem Zweitliga-Klub mit dem kleinsten Etat glücken: der Durchmarsch von Liga vier bis in die Bundesliga.

Dem Jahn fehlen nach zwei Aufstiegen vor der Partie am Sonntag (13.30 Uhr) in Duisburg und drei Spiele vor dem Saisonende nur noch zwei Zähler auf Kiel und den Relegationsplatz drei, der zu Aufstiegsspielen in die Bundesliga berechtigt. Regensburg ist das stärkste Team der Rückrunde. "Jeder kann die Tabelle lesen. Da wollen wir natürlich da sein, wenn die oben ausrutschen", sagt Grüttner. Seit 2016 stürmt er beim Jahn. Nach sieben Jahren in der dritten Liga hat er sich dort zum Zweitliga-Stürmer entwickelt, steht bei zwölf Toren und sechs Vorlagen.

Doch nicht nur er hat keinen schnurgeraden Weg in den Profifußball hinter sich, sondern das gesamte Team, das zuvor fast gar keine Zweitliga-Erfahrung hatte. "Alle sind auf irgendeine Art und Weise mal gescheitert und aussortiert worden. Das ist ja nun das Coole daran, dass andere sehen, was für Spieler wir wirklich sind." Geschäftsführer Christian Keller hat auf große Zukäufe verzichtet und stattdessen Recht behalten mit seiner Prognose: "Ich traue vielen Spielern zu, dass sie noch mal einen Schritt gehen." Alle eint die Gabe, sich schnell an eine neue Situation zu gewöhnen. Erst akklimatisierten sie sich in Windeseile in Liga drei, nun in Liga zwei. Was viel mit der Philosophie zu tun hat, findet Grüttner: "Ich würde nicht gerne gegen uns spielen. Da wird man ständig unter Stress gesetzt, kann sich nicht ausruhen."

Regensburg sprintet und presst unermüdlich

Die Regensburger sprinten dem Gegner entgegen und erpressen sich unermüdlich den Ball. Zu Buche steht die viertbeste Laufleistung der Liga, Grüttner selbst, mit 346 absolvierten Kilometern ganz nimmermüder schwäbischer Hausmann, ist als Angreifer (!) der fünftbeste Spieler. Den Stil hat nicht Beierlorzer eingeführt, so ähnlich hat der Jahn schon unter Vorgänger Heiko Herrlich gespielt, Beierlorzer hat den SSV aber noch einmal beschleunigt.

Und er hat die richtigen Spieler für den Stil, der jeden Gegner vor Probleme stellt. So pingelig wie wohl kein Zweiter schaut Keller darauf, ob ein Spieler ins Gefüge passt, führt viele Gespräche vor einer Verpflichtung. Um zu erörtern, ob der Zugang "glaubwürdig, ambitioniert und bodenständig" ist, wie Kellers Klubmantra heißt.

So hat er eine Mannschaft erschaffen, die nicht nur miteinander Fußball spielt, sondern auch Schafkopf beim "Jahnwirt" oder den Super Bowl schaut. Am Abend vor jedem Heimspiel gehen die Spieler gemeinsam essen. Es mag banal klingen, doch die Geschlossenheit stärkt den Klub zusehends und bewirkt, dass "wir nie Angst haben vor dem, was uns auf dem Platz erwartet", findet Grüttner. In Regensburg steht jede Woche ein Team auf dem Platz. Das selbst ein 0:3 gegen den Tabellenführer Düsseldorf noch in ein 4:3 umbiegt.

Das Saisonziel, in der zweiten Liga zu bleiben, was der Jahn zuvor noch nie geschafft hatte, ist längst erreicht. "Aber klar sagen wir im Team nicht, wir wollen bitte auf gar keinen Fall aufsteigen. Wir sind Sportler und wollen immer das Bestmögliche erreichen", sagt Grüttner. Sie haben ihren Traum schon im Hinterkopf. Positiv stimmt ihn, dass seine Mannschaft da ist, wenn es darauf ankommt: Auch im vergangenen Jahr haben sie sich erst am vorletzten Spieltag auf den Relegationsplatz der dritten Liga geschlichen und dann den TSV 1860 München überrumpelt. Wie damals stechen viele Torschützen heraus, der Jahn ist schwer auszurechnen. "Wenn wir die Utopie vom Relegationsplatz nicht erreichen sollten, dann dürfte auch keiner enttäuscht sein, denn wir haben Historisches geleistet. Es wird eine Riesenparty geben", erzählt Grüttner. Der Kapitän weiß ja: Sie erleben ohnehin schon alle ihre beste Saison - und die beste des Regensburger Fußballs. Sie könnten halt nur noch ein großes Stück mehr Geschichte schreiben.

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