Zweite Bundesliga: Hertha BSC:Die Abstiegseuphorie

Berlin ist der Hertha nach dem Abstieg nicht böse, nein, man rückt näher zusammen. Als Symbol des Vereins gilt Patrick Ebert: jung, talentiert - und plötzlich Zweitligist.

David Binnig

Sie passen nicht mehr zusammen, die Hauptstadt Berlin und ihre Hertha. Sie haben sich auseinandergelebt. Die Stadt erlebt derzeit einen Boom, der Verein kickt in der zweiten Liga. Trotzdem scheint ihre Liebe neu entflammt: Die Berliner mögen ihre alte Dame wieder, vielleicht sogar mehr denn je. Sogar Patrick Ebert haben sie wieder lieb, jenen Akteur, der mitverantwortlich gemacht wurde für den Abstieg. "Berlin ist meine Stadt", sagt der, "und Hertha ist Berlin".

Fußball - Hertha BSC Berlin - FC Bayern München 2:1

Was Patrick Ebert mit seinem Verein Hertha BSC verbindet? "Eigentlich alles", sagt er.

(Foto: dpa)

Nach dem Abstieg kam der Aufbruch. Berlin ist der Hertha nicht böse, nein, man rückt näher zusammen für den kurzen Marsch - zumindest soll er kurz werden - gen Bundesliga. "Ich bekomme hier überall großen Zuspruch", sagt Patrick Ebert, "die Menschen freuen sich auf die neue Saison". Die begann mit einem Heimspiel gegen Rot-Weiß Oberhausen, zu dem 48.400 Menschen ins Olympiastadion kamen, 2000 mehr als durchschnittlich in der vergangenen Bundesliga-Saison.

Abstiegseuphorie

Ein 17-jähriger Österreicher schoss zwei Tore, Hertha gewann 3:2, ein Anfang ist gemacht. Für gewöhnlich würde man jetzt so etwas schreiben wie: Die Hertha ist angekommen in der zweiten Liga. Doch die alte Dame steht nicht mit beiden Beinen auf dem schmutzigen Zweitliga-Boden, nein, sie schwebt darüber. In Berlin ist wohl erstmals in der Geschichte des unfreiwilligen Klassenwechsels eine Art Abstiegseuphorie ausgebrochen.

Der Mittelfeldspieler Patrick Ebert ist so etwas wie die Symbolfigur des Vereins, er hat in den vergangenen Jahren Hertha-Höhen und Hertha-Tiefen mitgemacht. So tief unten wie jetzt war er indes noch nie. Er ist ein 23 Jahre alter Veteran. Seit 1998 ist Ebert im Verein. In dieser Zeit hat er sich den Ruf eines Enfant terrible erarbeitet - und zwar eines der Mario-Basler-Kategorie. Patrick Ebert hat eine grottenschlechte Saison hinter sich, ist derzeit verletzt und steht, auf Krücken gestützt, als ein lebendes Symbol für die aktuelle Situation seines Vereins.

Kein Vergleich mit Özil

Einst zählte man ihn zu den größten Talenten Deutschlands. 2009 wurde er U21-Europameister - zusammen mit Mesut Özil, Sami Khedira, Jérôme Boateng. Die ehemaligen Mannschaftskameraden spielen heute bei Real Madrid und Manchester City. Sie spielen zusammen mit Tévez, Kaka, Cristiano Ronaldo. Ebert spielt, wenn er wieder gesund ist, in der zweiten Liga. "Im Vergleich zu den anderen stagniert meine Karriere wohl", sagt er.

Eberts Ziele: "Ich will erstens fit werden, zweitens aufsteigen, drittens in der Bundesliga spielen." Sein Problem: In nächster Zeit kann er sich zwangsweise nur mit dem Erstens beschäftigen. Beim Zweitens kann er nicht mithelfen, auf das Drittens hat er derzeit keinen Einfluss. Der Mittelfeldspieler brillierte in der Vorbereitung, und fühlte sich "so fit wie noch nie". Bis zum Testspiel in Ulm. Dort verdrehte er sich das rechte Knie. Die Diagnose: Kreuz- und Außenbandriss, sechs Monate Pause. Game over.

Neuanfang in Liga zwei

Das Wort Rehabilitation bedeutet bei Patrick Ebert mehr als nur das übliche "wieder gesund werden". Er will sich rehabilitieren, seinen Ruf, seine Karriere. "Ich habe eingesehen, dass ich mich außerhalb des Platzes nicht immer wie ein Profi verhalten habe. Das habe ich geändert." Ebert hat einige Skandälchen hinter sich: Eine Alkoholfahrt zum Beispiel - und eine Affäre, die von einigen professionell ausgeführten Tritten gegen Autospiegel ausgelöst wurde. Die Beschuldigten: Ebert und sein Kumpel Kevin-Prince Boateng, heute in Diensten des großen AC Mailand.

Berlin's Ebert sits on the pitch after their German Bundesliga first division soccer match against Hamburg in Berlin

Herthas Nummer 20 ist 23 Jahre alt und hat einige Skandale hinter sich. Die Zeit in der zweiten Liga könnte ihm gut tun.

(Foto: Reuters)

Sie gehören zu Herthas goldener Generation. Wie auch Jérôme Boateng, Sejad Salihovic, Ashkan Dejagah, Malik Fathi. Sie wurden bei der Hertha ausgebildet - und auf den Straßen Berlins. Sie halfen mit, dass sich in der Hauptstadt wieder eine Straßenfußballkultur entwickelte. "Fast jeder kleine Junge rennt hier mit einem Ball durch die Gegend. Viele spielen im Käfig." Die Käfige stehen da, wo kein Platz ist für Bolzplätze. Die Jugend trifft sich zum Kicken hinter Gittern.

Ankunft und Aufbruch

Patrick Ebert hat es weit gebracht - aber nicht weit genug. Er stand sich zu oft selbst im Weg. Die letzte Saison war ein Rückschritt, doch vielleicht kam er zur richtigen Zeit. Die zweite Liga bedeutet weniger Glamour, weniger Ablenkung, mehr Fußball-ist-Arbeit-Mentalität. Genau deshalb könnte sie einem wie Ebert gut tun. Sie könnte der Ort des Neuanfangs für ihn werden. Dafür muss er erst gesund werden, und dann dort ankommen, wo er gerade ist: auf dem rauen Zweitliga-Boden der Tatsachen.

Hertha BSC wird nicht auf einer Euphoriewelle in die Bundesliga surfen. Auch der mit Abstand größte Etat des Unterhauses wird sie nicht nach oben tragen - mag er auch mehr als doppelt so hoch sein wie der von 16 Konkurrenten, was er mit 33 Millionen Euro auch ist. Die Berliner müssen sich ihrer aktuellen Lage und Liga bewusst werden. Beim Aufstieg helfen nur solch erdverbundene Tugenden wie Einsatz und Wille.

"Ich muss an mir arbeiten, alles geben", gibt sich Patrick Ebert kämpferisch. Wenn er wirklich umsetzt, was er sagt, kann er halten, was einst sein Talent versprach. Er ist jung, er hat Fehler gemacht, er hat enormes Potential. Genau wie die gar nicht so alte Dame Hertha. Die Mannschaft wurde runderneuert, ihr dienstältester Spieler heißt Pál Dárdai und ist 34 Jahre alt. Er ist als einziger länger dabei als Patrick Ebert, der 1987 in Potsdam geboren wurde. "Ich bin hier groß geworden", sagt Ebert. Berlin ist seine Stadt - und Hertha ist, auch in Liga zwei, Berlin.

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