Bundesliga:Hertha kämpft um den Berliner Hipster

Bundesliga: Jubeln oft vor vielen leeren Plätzen: Die Spieler von Hertha BSC Berlin

Jubeln oft vor vielen leeren Plätzen: Die Spieler von Hertha BSC Berlin

(Foto: AFP)

Obwohl Berlin auf Rang drei in der Bundesliga steht, bleiben viele Plätze im Olympiastadion leer. Wie man zu Publikum kommt? Der Verein hat da ein paar Ideen.

Von Klaus Hoeltzenbein, Berlin

Wie die Hauptstadt gerade tickt, lässt sich am besten in ihren Adern erforschen. In den U- und S-Bahnen, zum Beispiel auf einer Fahrt zu einem Spiel von Hertha BSC. Mühelos ist am Bahnhof Friedrichstraße ein Sitzplatz für die Durchfahrt bis zum Olympiastadion zu ergattern, kaum Gedrängel, keine Platzangst, die Hertha ist zwar fit wie selten, aber sie zieht nicht so recht. Beim 2:1-Sieg am Samstag gegen den FC Ingolstadt wurde die Zuschauerzahl nur mit Mühe knapp über die 40 000er-Schwelle hochgerechnet (40 385), aber was ist das schon angesichts des sportlichen Hochs? Und angesichts solcher Rahmenbedingungen: Nicht ein Erstliga-Konkurrent im Umkreis von fast 200 Kilometern, zudem 3,5 Millionen potenzielle Kunden allein im unmittelbaren Stadtgebiet.

Das Problem: Die Hertha kann aufführen, was sie will, sie kann schillernd spielen wie jüngst beim 2:1-Heimsieg gegen Schalke oder zweikampfstark und wild entschlossen wie jetzt gegen Ingolstadt, sie kann gegen den Abstieg anrennen wie in der Vorsaison oder als Dritter hinter dem FC Bayern und Borussia Dortmund einen Champions-League-Startplatz anvisieren - der Verein wird von einem Großteil der Berliner ignoriert.

Die Medien der Stadt versuchen gerade, in Umfragen zu ergründen, warum auch der griffige Pal-Dardai-Fußball keinen Boom auslöst, sie bekommen die seit Jahrzehnten bekannten Antworten. Das Olympiastadion sei zu kalt, zu unwirtlich, es habe als einzige Erstliga-Arena noch immer eine Laufbahn, auf der sich zwar ein schönes Leichtathletik-Sportfest wie das ISTAF organisieren lasse, die aber auch als Stimmungskiller wirkt. So mancher merkt dann noch an, er sei aus Dortmund, Freiburg, München zugezogen, um in der Gründerszene in der Berliner Mitte Fuß zu fassen, aber natürlich bleibe seine Fan-Seele zu Hause, er werde seinen Heimatklub doch nicht verraten.

Hertha startet "Crowdlending"-Aktion

Nun ist es aber durchaus nicht so, dass Hertha sich in den Schmollwinkel zurückzieht, weil sich trotz all der frischen Reize keine neuen Verehrer einfinden. Hertha sucht jetzt Anschluss an die Szene, will ihre Stammkundschaft im Wedding, in Reinickendorf, in Steglitz behalten, aber junge Zielgruppen in Kreuzberg und im Friedrichshain erschließen. Eben dort, wo der Hipster vermutet wird, wo in den umgebauten Fabrikhallen gerade die Zukunft erfunden wird, die der erste Fußballklub der Stadt lange verpasst zu haben schien. Hertha startet eine digitale Offensive.

Diese war am Samstag bereits in der S-Bahn zum Stadion angekommen. Zwei junge Berliner, Typ Zielgruppe, diskutierten leidenschaftlich, ob sie mit Hertha reich werden wollen, jedenfalls ein bisschen. Der eine sagte, er erwäge, hundert Euro anzulegen; der andere meinte, das sei zu viel, er sei gerade nicht flüssig. Aber er werde es sich überlegen, die Aktion sei schließlich auf 60 Tage angesetzt.

Verlockend erschien die Hertha-Offerte in jedem Fall: Der Klub startet als erster Bundesligist eine "Crowdlending"-Aktion, das heißt, er leiht sich mit Hilfe eines dieser neuen Internet-Kreditmarktplätze für drei Jahre eine Million Euro bei jedem, der dabei sein will, und verspricht dafür den festen Zinssatz von 4,5 Prozent. Das ist attraktiv in Zeiten von Nullzins und Negativzins bei den traditionellen Banken. Allerdings: Die Zeichnungsfrist wurde am Samstag um 14 Uhr gestartet und war lange vor Anpfiff des Ingolstadt-Spiels um 15.30 Uhr bereits wieder beendet.

"Sie provozieren viel, machen Theater. Das können sie sehr gut"

Nach nur neun Minuten und 23 Sekunden hatte sich Hertha die Million mit Beiträgen zwischen 100 Euro (Minimum) und 10 000 Euro (Maximum) gesichert. Damit sollen Aktivitäten wie der Online-Fanshop oder die Hertha-App forciert werden. Man will präpariert sein, sollte das Hoch anhalten, seit neun Spielen ist Hertha ja trotz des Fremdelns im Olympiastadion dort ungeschlagen, und selbst bei einer Niederlage im nächsten Duell bei Borussia Mönchengladbach blieben die Berliner auf Platz drei. Allerdings ist da jetzt die Frage, ob Herthas Kosmetik-Programm auch bei denen ankommt, die es locken soll? Für eine solche Million braucht es ja eigentlich auch nur 100 Bessergestellte, die zu 10 000 Euro zeichnen.

Gut, Hertha tut was, der Klub stemmt sich gegen die Ignoranz in der Stadt in etwa so energisch, wie die Mannschaft auf dem Rasen ihre Gegner in die Knie zwingt. Eigentlich "ein typisches Null-zu-null" hatte Ingolstadts Trainer Ralph Hasenhüttl beobachtet bis zu jener 54. Spielminute, in der die Dramaturgie zugunsten der ohnehin aktiveren Berliner kippte. Während der FCI noch wild protestierte, nutzte die Hertha die Verwirrung, um durch den Japaner Haraguchi das wegweisende 1:0 zu erzielen. Skjelbred hatte Lezcano zuvor den Ball mit einer Aktion entwendet, die das FCI-Kollektiv als Foul beklagte, was kontraproduktiv wird, sobald der Schiedsrichter dies nicht tut.

"Jeder wartet eigentlich auf den Pfiff, aber keiner pfeift", stellte Hasenhüttl fest, derweil Skjelbred einerseits geständig war ("Ich habe den Ball gewonnen, aber es gab auch Körperkontakt"), andererseits zu einer Generalkritik anhob, wie sie der Aufsteiger schon häufiger zu hören bekam: "Die sollen nicht reden, die sollen Fußball spielen. Sie provozieren viel, machen Theater. Das können sie sehr gut."

Wieder so ein Tag, an dem jeder seine Perspektive zu Protokoll gab. Eine exklusive hinterließ Hasenhüttels Assistent Michael Henke, als er zornbebend ("Nicht zu fassen! Nicht zu fassen!") aus der Arena rauschte: "Wirst hier nur beschissen, weil die Hauptstadt Champions League spielen muss!" Nichts wünscht sich Hertha derzeit sehnlicher, als die Bürger Berlins derart zu elektrisieren wie am Samstag den Fußballlehrer Henke.

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