Zuschauer-Skandal beim Relegationsspiel:Eineinhalb Minuten zu früh

Nachdem die Fans beider Klubs während des Spiels Raketen und Leuchtfeuer zünden, gerät die Relegationspartie am Ende aus Freude über den Aufstieg der Fortuna außer Kontrolle. Die Düsseldorfer lassen die Anhänger schlichtweg zu früh aufs Feld. Die Berliner sehen die Sicherheit ihrer Spieler gefährdet und sich um die Chance gebracht, noch das entscheidende Tor zu schießen.

Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Am 28. April 2004 beim Aufstieg in die Regionalliga hatten die Fans von Fortuna Düsseldorf den Rasen gestürmt. Am 23. Mai 2009 beim Aufstieg in die zweite Liga hatten sie den Rasen gestürmt. Und natürlich wollten sie auch an diesem 15. Mai 2012 beim Aufstieg in die Bundesliga den Rasen stürmen. Friedlich, fröhlich, ohne gewalttätige Absichten.

Die Ordner waren bereit, dies zuzulassen. Sie ließen die ersten Fans bereits vier Minuten vor dem Ende der Nachspielzeit von den Tribünen herunterklettern und am Spielfeldrand warten. Doch dann stürmten die Fans zu früh los. Eineinhalb Minuten wären noch zu spielen gewesen, als Tausende auf den Rasen der Düsseldorfer Arena rannten. Ein paar rannten los. Die anderen hinterher.

"Wie konnte denn das überhaupt passieren?", ist Fortunas Sportdirektor Wolf Werner hinterher gefragt worden. "Haben Sie noch nie Fußball erlebt?", fragte Werner entrüstet zurück, "da brauchen Sie doch bloß Fernsehen zu gucken." Welche Spiele ihm da einfielen? "Meine Güte, kann ich jetzt nicht aufzählen, aber im Fernsehen habe ich schon öfter erlebt, dass die Fans einen Pfiff als Abpfiff missverstehen und das Spielfeld stürmen." Wie es denn überhaupt passieren könne, dass so viele Fans zu früh aufs Spielfeld gelangen, seien da etwa Tore aufgemacht worden? "Erzählen Sie nicht so einen Quatsch!", schimpfte Werner. "Sie fragen dämlich. Fragen Sie vernünftig." Dann lief er wütend davon.

Die Reaktion des Fortuna-Sportchefs deutete daraufhin, dass die Düsseldorfer sich ihrer Schuld an dem Desaster am Dienstagabend durchaus bewusst waren: Sie haben die Fans schlichtweg zu früh zu nah ans Spielfeld herangelassen. Geraten Fans erst einmal in Bewegung, sind sie nicht mehr aufzuhalten.

2:2 stand es zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC Berlin im Relegations-Rückspiel. Düsseldorf war so gut wie aufgestiegen. Berlin benötigte noch ein Tor. Sie machten Druck. Sie hätten dieses eine dramatisch wichtige Tor in den verbleibenden 80 Sekunden der insgesamt siebenminütigen Nachspielzeit vielleicht noch schießen können. Doch dann mussten alle vom Feld flüchten: die Schiedsrichter, die Düsseldorfer und die Berliner.

Als Wolfgang Stark die Partie auf dem nur langsam geräumten Spielfeld 20 Minuten später wieder anpfiff und die Berliner dazu mit Engelszungen aus ihrer Kabine hatte herausargumentieren müssen, gelang den Hertha-Fußballern binnen der exakt 86 nachgespielten Sekunden keine einzige Torchance mehr.

"Bei Einflüssen von außen muss ein Spiel wiederholt werden", sagte am Mittwochmorgen Herthas Rechtsbeistand, der Anwalt Christoph Schickhardt beim TV-Sender Sky: "Das war kein Fußball mehr. Der Schiedsrichter wollte das Spiel nur irgendwie zu Ende bringen. Das war ein irreguläres Spiel." Hertha wird womöglich Protest gegen die Spielwertung einlegen. Schon aus formalen Gründen. Um alle Rechte zu wahren.

Preetz: "So ein Spiel darf man nicht mehr anpfeifen."

"Die Sicherheit unserer Spieler war nicht mehr gewährleistet", sagt Herthas Sportdirektor Michael Preetz. "Man stelle sich nur vor, was passiert wäre, wenn noch ein Tor für uns gefallen wäre." Preetz berichtet: "Ich habe den Schiedsrichter Wolfgang Stark explizit gefragt, ob er die Sicherheit der Spieler gewährleisten kann, und er hat gesagt, das kann er nicht. Da bin ich dann der Meinung, dass man so ein Spiel nicht mehr anpfeifen darf."

Bereits zwischen der 59. und der 63. Minute war es unmittelbar nach dem 2:1-Führungstreffer für Düsseldorf zu einer vierminütigen Unterbrechung gekommen, weil sowohl Berliner als auch Düsseldorfer Fans Leuchtfeuer und Raketen gezündet hatten.

Der Sturm der Fans auf das Feld 36 Minuten später hatte allerdings mit der pyrotechnischen Randale eher nichts zu tun und entstammte vielmehr dem Bedürfnis vieler Fans, den Aufstieg auf dem Spielfeld zu feiern. Das ordnungsgemäße Ende eines Spiels, in dem eine der beiden Mannschaften bloß noch ein einziges Tor benötigt hätte, um den Bundesligaverbleib zu sichern, war unter diesen Umständen allerdings nicht mehr möglich. Die Berliner haben sich lange geziert, wieder aus der Kabine zu kommen.

"Der Einzige, der das Recht hat, das Spiel abzubrechen, ist aber der Schiedsrichter", betonte Hellmut Krug als Schiedsrichterexperte der Deutschen Fußball Liga im ZDF. Schiedsrichter-Chef Herbert Fandel lobte Wolfgang Stark: "Wir sind froh, unseren erfahrensten Mann zu diesem Spiel geschickt haben. Mit seiner starken Persönlichkeit hat er alle schwierigen Situationen sauber gelöst."

Während die Düsseldorfer ihre Rückkehr in die Bundesliga nach 15 Jahren bereits ausgiebig feierten, betrauerten die Berliner ihren sechsten Abstieg. Ob beide Umstände Gültigkeit behalten, muss aber erst noch geklärt werden. Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bunds hat am Mittwoch die Ermittlungen aufgenommen.

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