Zur Halbzeit von Wimbledon:Zehn Sekunden Alarm

Zur Halbzeit von Wimbledon: Wimbledon, ein Spektakel auch abseits des Spiels: Die Fred-Perry-Statue auf der Tennis-Anlage in London.

Wimbledon, ein Spektakel auch abseits des Spiels: Die Fred-Perry-Statue auf der Tennis-Anlage in London.

(Foto: Adrian Dennis/AFP)

Zehn Randaspekte des größten Rasenturniers: Ausraster, Zirkus Roncalli mit Nick und Dustin, Chelsea Girls und der Commissioner of Tennis

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Halftime, Halbzeit. Die 130. Championships an der Church Road in Wimbledon, das berühmte Rasenturnier im Süden Londons, kann Bergfest feiern. Dass dieses Jahr wieder ein spezielles ist, wurde am späten Freitagabend offiziell von den Turnieroffiziellen untermauert. Johnny Perkins, der PR-Chef des All England Lawn Tennis and Croquet Club, ein akkurat gekleideter Brite mit feinsinnigem Ton, gab um 22 Uhr eine staubtrockene Meldung heraus: Man bestätige hiermit, dass am mittleren Sonntag gespielt werde - "zum vierten Mal in Wimbledon's Geschichte (vorher 1991, 1997, 2004)". Dieser Spieltag wird sonst ja genutzt, um den Plätzen, die nach einer Woche sehr gelitten haben, etwas Erholung zu gönnen. Der mittlere und diesmal nicht spielfreie Sonntag, für den erstaunlicherweise nur online Tickets verkauft werden, ist damit bereits ein Gewinner der ersten Woche. Aber nicht der einzige - hier die Top Ten der Höhepunkte, die sich an den vergangenen regnerisch-windigen, dann wieder frühlingshaften Tagen in SW 19 zugetragen haben.

Der Feueralarm

Es ist völlig egal, ob die Tausenden von Fans in der berühmten Queue nachts im Matsch schlafen mussten, ob Andy Murray an dem einen und Serena Williams an dem anderen Tag spielt, oder ob nun am ersten, mittleren Sonntag gespielt wird: Um Punkt 9.35 Uhr schrillt der Feueralarm. All das Perfekte, das exakt Geplante, das Penible, das Traditionelle manifestiert sich in diesen zehn Sekunden. Es schmerzt in den Ohren, aber danach geht es einem gut. Man freut sich auf das, was jetzt kommt.

Debatten

Zur Tradition gehören Debatten, und dass die Briten sehr gut unterscheiden können zwischen Wichtigem und Unwichtigem, beweisen sie in Wimbledon. Brexit hin oder her, das ist genug besprochen worden. Handtuch-Gate war das neue heiße Thema: Novak Djokovic hatte nach seinem Erstrundensieg gegen den Engländer James Ward verraten, dass er stets eine seiner Reisetaschen halb leer lässt. Weil er für Freunde Handtücher abstaubt und Platz beim Packen benötigt. Daraufhin wurde quasi jeder der 600 Profis hier gefragt, ob er auch Handtücher mitgehen lasse. Das war insofern sehr lustig, weil in dieser Frage etwas Anprangerndes durchschimmerte, und diese Fragen kamen ja von Journalisten, die bei Turnieren gerne Geschenke erhalten beim Einchecken auf der Anlage und diese meist auch annehmen. Diesmal gab es eine Laptoptasche in den Wimbledon-Farben Grün und Lila. Nicht hübsch, aber praktikabel. Wer sie haben möchte, bitte an @doublebackhand twittern - der Autor tritt sie gerne ab.

Ausraster

Wenn Spieler die Beherrschung verlieren, ist das in Wimbledon unterhaltsam und ein schöner Kontrast. Denn gerade hier wird ja stets das Einhalten der Etikette erwünscht. Wenn also jemand wie der Serbe Viktor Troicki ausflippt, weil der Schiedsrichter einen Ball gut gab, obwohl er ihn im Aus sah, wird das spöttisch belächelt. "Sie haben heute überhaupt nichts gesehen! Sie haben dreißig Fehler gemacht, nicht nur bei mir", so schnauzte Troicki den Schiedsrichter am Ende seines Fünfsatzmatches gegen Albert Ramos-Vinolas aus Spanien an. Troicki verlor dann. Ständig am Rummaulen sind auch Typen wie der Australier Nick Kyrgios, aber im Grunde gehört das bei ihm zum guten Ton und wird eigentlich nie bestraft.

Circus Roncalli

Der gastiert zwar nicht in Wimbledon, und doch schien er am Freitag zu Besuch gewesen zu sein. Das Spiel Kyrgios gegen den Deutschen Dustin Brown war so etwas wie eine Trapezshow ohne Netz, eine Löwennummer ohne Dompteure, ein Sprung durch brennende Feuerreifen. Sie spielten durch die Beine, hinter dem Rücken, Flugrollen wurden dargeboten, bei einem Seitenwechsel warf Kyrgios seinem Kumpel Brown einen Energieriegel zu, jeder für sich brüllte den Schiedsrichter an, und das Ganze fand in sage und schreibe nur 2:06 Stunden statt. Die Hälfte aller Ballwechsel war kürzer als vier Schläge. Einmal gab es einen Ballwechsel, der mehr als neun Schläge beinhaltete. Da hatten die zwei sich sicher geärgert.

Royal Box

Um ein Gefühl für die Schönheit dieser sehr besonderen Zuschauerloge zu gewinnen, geben wir hier eine Auswahl der Namen von Gästen, die in Woche eins eingeladen wurden: Mr Lionel & Ms Victoria Greenwood, The Rt Hon the Lord & Lady (Ann) Naseby of Sandy, Councillor & Mrs Dave (Kathleen) Trimble, Miss Pippa & Mr James Middleton, Major General Andrew & Mr Ben Stewart, Ms Chelsea & Ms Wilma Shakespear, The Rt Hon Sir Christopher & The Hon Lady (Emma) Geidt, Honorable Mrs Caroline & Baroness Billingham of Banbury (Angela), Edwin Weindorfer.

John McEnroe

Ja, ja, Big Mac. Eigentlich war so klar wie die in SW19 hohe Regenwahrscheinlichkeit, dass es mit dem 57-Jährigen lustig wird. Er arbeitet jetzt also für den Kanadier Milos Raonic, der als einer der Favoriten gilt. McEnroe hatte schon vorab gesagt, er werde mehr Regungen zeigen als etwa Ivan Lendl, der ja zu Andy Murray als Coach zurückgekehrt ist. Im Training kann man das sehen: McEnroe steht an der Grundlinie, fuchtelt mit den Armen, wirft den Ball wie ein Baseball-Pitcher übers Netz, blickt oft nach links rüber, wenn etwa Roger Federer neben ihm trainiert. Gerade hat McEnroe gesagt, er würde auch Rafael Nadal trainieren, wenn der ihn fragen würde. Der frühere britische Spitzenspieler Tim Henman warf zu diesem Thema ein, McEnroe trainiere Raonic gar nicht mehr. Raonic dementierte das umgehend. Es würde nicht verwundern, wenn McEnroe am Montag bekannt gäbe, dass er Serena Williams übernimmt, um dann als Manager von Eugenie Bouchard seine Karriere als "Commissioner of Tennis" offiziell einzuleiten. Der Fußball hat den Firlefranz, Tennis hat Big Mac. Nur hat der Ahnung von seinem Sport.

Jennifer Bate

Zur Story von Marcus Willis ist sehr viel geschrieben worden. Ein brotloser Tenniskünstler aus einem Kaff in England, der sich verliebt, wegen der Frau weiterspielt, sich plötzlich für Wimbledon qualifiziert und dann auf dem Centre Court gegen Federer antreten darf, das war ein spektakulärer Plot, absolut. Als Nachtrag die letzten Informationen, um die Sache abzuschließen: Willis und Bate hatten sich nach einem Ellie-Goulding-Konzert kennengelernt, in einem Nachtclub namens Mahiki in London. Die Söhne von Bate aus erster Beziehung heißen Aubin, 2, und Hugo, 3. Als Bate Willis zujubelte, trug sie LK Bennett Jeans, Pumps und eine Jacke, um angeblich ihr Tattoo zu überdecken. Fand die Daily Mail heraus. Ein BBC-Reporter, der im Netz über Bate schrieb und meinte, er bedaure, "dass mein Zahnarzt nicht so aussieht", erhielt gleich den Vorwurf des Sexismus um die Ohren gepfeffert.

Chelsea Girls

Die Antwort auf die obligatorische Frage an die deutsche Spielerin Andrea Petkovic, welches Buch sie in Wimbledon lese. In "Chelsea Girls" geht es um die autobiografischen Erlebnisse von Eileen Myles, inklusive Brüchen, Dramen, Problemen. Ein Buch wie für Petkovic geschrieben.

Asse

"Ein schönes Ass geht immer", das hat Sabine Lisicki sehr prägnant auf den Punkt gebracht. Auf Rasen gelingen Asse ja leichter, weil der Ball wegditscht. Eine Statistik dazu aus den ersten beiden Runden: Bei den Männern wurden in der ersten Runde 1364 Asse geschlagen, in der zweiten 646. Bei den Frauen: 343 (erste Runde), 204 (2. Runde). Lisicki hat bisher am härtesten aufgeschlagen, mit 196 Km/h. Bei den Männern schlugen John Isner (USA), Milos Raonic (Kanada) und Sam Groth (Australien) mit jeweils 228 Km/h auf.

Queue-Kartenkäufer

Ein deutscher Fotograf hat große Bewunderung für all die Fans, die sich durchnächtigt in der Schlange anstellen, der berühmten Queue, um noch ein Ticket ergattern nach stundenlangem Anstehen. Leid tun sie Jürgen H. aber auch: "Man erkennt die Queue-Steher immer daran, dass sie mit Rucksack unten auf den Plätzen sitzen und dann einnicken." Schlafmangel kann Wimbledon nicht wegzaubern.

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