Zum Tod von Carlos Alberto:Der Mann, der das Meisterwerk vollendete

Fussball: Carlos Alberto und Franz Beckenbauer (beide, Cosmos New York)

Spielten zusammen bei Cosmos New York: Carlos Alberto (links) und Franz Beckenbauer.

(Foto: Werek)

Er war Pelés Kapitän, spielte mit Franz Beckenbauer - und schoss ein Tor im WM-Finale, so schön wie die Mona Lisa. Zum Tode des brasilianischen Weltmeisters Carlos Alberto.

Nachruf von Javier Cáceres

Wenn es ein Datum in der Geschichte gibt, das den Übergang des Weltfußballs von Schwarz-weiß in das bunte Farbuniversum markiert, dann ist es der 21. Juni 1970. Seinerzeit stieg im Estadio Azteca von Mexiko-Stadt das Weltmeisterschafts-Finale zwischen Brasilien und Italien, das zuvor im Halbfinale Deutschland im sogenannten Jahrhundertspiel ausgeschaltet hatte. Brasilien siegte im Endspiel nicht nur 4:1, sondern definierte einen Stil, eine Epoche, eine Marke, die später bloß noch ein platter Marketing-Spruch sein sollte: "o jogo bonito" - das schöne Spiel.

Pelé (18.) erzielte die Führung, Italien glich durch Roberto Boninsegna aus (37.), Gerson (66.) und Jairzinho (71.) brachten Brasilien wieder in Front, doch was wirklich haften blieb, war die Pointe, die Carlos Alberto Torres setzte (86.), mit dem choralsten Treffer der WM-Finalgeschichte; einem Tor, bei dem alles stimmte wie bei der Mona Lisa: der Rahmen, die Farben, die Pose, das Lächeln und vor allem die Emotionen, die es immer wieder weckt.

Es war ein Tor mit einer langen Geschichte. Brasilien hatte nicht weniger als fünf Zehner aufgeboten, Spielmacher vom Schlage Tostãos, Pelés, Rivelinos, Gersons und Jairzinho, wobei sich die Puristen streiten, ob Letzterer nicht vielleicht doch eher der Gattung der Außenstürmer zugeordnet werden sollte. Einerlei: Nie zuvor und nie danach war das vom früheren FC-Bayern-Trainer Pep Guardiola geäußerte Diktum, wonach der Fußball den Mittelfeldspielern gehöre, so wahr wie damals.

Nur Alberto wusste, was Pelé vorhatte

Zu den vielen, betörenden Details jenes Treffers gehört, wie der schmächtige Künstler Tostão kärrnert, in die eigene Hälfte eilt, um einem Italiener den Ball abzujagen und ihn nach hinten zu passen, auf dass er nach vier Stationen bei Clodoaldo lande, der erst mit einem, dann mit einem zweiten, dritten Italiener Samba tanzte und den Ball an Rivelino an der Mittelfeld-Linie weitergab. Rivelino bediente Jairzinho auf der Linksaußenposition, der auf zwei italienische Verteidiger zustürmte und den Ball zu Pelé passte. Pelé stand 25 Meter vor dem Tor, majestätisch und gelassen. Was dann folgte, gehört zur subtilsten Kunst, die je geboten wurde: ein Moment der Pause in Bewegung.

Pelé legte sich den Ball mit vier Kontakten zurecht und spielte ihn dann in den Strafraum, wo niemand im Trikot der Brasilianer zu sehen war. Urplötzlich aber konnten 107 412 Zuschauer im Aztekenstadion und Millionen an den TV-Schirmen den Gedanken nachvollziehen, der zuvor nur im Kopf Pelés existiert hatte. Ein Geistesblitz, der bei jeder Betrachtung aufs Neue verblüfft, weil es wirkt, als habe Pelé auch im Nacken Augen gehabt. "Pelé hatte, noch ehe er den Ball angenommen hatte, schon gesehen, dass ich auf der rechten Seite heransprinten würde, und dann hat er so lange gewartet, bis er mir den Ball genau vorlegen konnte", so erzählte es Carlos Alberto später einmal.

Später spielte er mit Franz Beckenbauer in New York

Auf den TV-Bildern wirkte es, als tauche Carlos Alberto aus dem Nichts auf, um einer Symphonie den logischen Tusch aufzusetzen und mit den drei äußeren Zehen des rechten Fußes den Ball aus 14 Metern neben den linken Pfosten zu jagen.

Carlos Alberto war ein offensiver Rechtsverteidiger, wie ihn die Brasilianer zuvor in Djalma Santos und später in Cafú hatten. Er war bei Fluminense, Botafogo, Flamengo, Santos und später mit Franz Beckenbauer bei Cosmos New York aktiv. Er war der Kapitän - "o capitão" oder kurz "o capita" - jener brasilianischen Elf, die ein Meisterwerk hinterließ, "einen Spielzug, der alles repräsentierte, was jene Elf verkörperte", wie Carlos Alberto selbst sagte. Am Dienstag starb Carlos Alberto mit 72 Jahren in Brasilien an den Folgen eines Herzinfarkts.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: