Zum Tod von Udo Lattek:Meister des offenen Wortes

FILE - One Of Europes Most Successful Football Coaches Udo Lattek Has Died Aged 80

Udo Lattek: Prägend für den Fußball des FC Bayern

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Für seine raue Herzlichkeit wurde Udo Lattek geschätzt - das hat seine leuchtende Trainerkarriere geprägt. Der FC Bayern hat seine Dominanz in der Bundesliga bis heute auch Lattek zu verdanken.

Von Philipp Selldorf

Bis zu jenem schicksalhaften Tag, als plötzlich Egidius Braun bei ihm anrief, erfreute sich Erich Ribbeck nicht nur seines angenehmen Lebens als emeritierter Fußball-Lehrer, sondern auch der regelmäßigen Zusammenkünfte mit seinem ebenfalls emeritierten Kollegen Udo Lattek im Stammlokal "Alte Schmiede" in Köln-Lövenich. Doch der Anruf des DFB-Präsidenten brachte Unfrieden in die Zweisamkeit der Herren. Braun trug Ribbeck das Amt des Bundestrainers an, und Ribbeck zeigte sich geschmeichelt und geneigt, die Offerte anzunehmen, was wiederum Lattek für keine gute Idee hielt.

In einer Kolumne für die Zeitschrift Sport-Bild erzählte er später, was er seinem Freund damals zu dem Thema zu sagen hatte: "Ich habe mich totgelacht und zu ihm gesagt: ,Bist du denn wahnsinnig?' Ich nehme mir das Recht zu sagen, was ich von seiner Verpflichtung halte - sie ist ein großer Fehler." Ribbeck nahm sich daraufhin das Recht, beleidigt zu sein und fortan in anderer Gesellschaft Kölsch zu trinken.

Udo Lattek, der bereits am Sonntag im Alter von 80 Jahren in Köln gestorben ist, war ein Freund des offenen Wortes und demzufolge nicht immer ein Meister der Diplomatie. Wenn er seine Meinung hatte, dann ging er einem Disput nicht aus dem Weg. Selbst wenn er deswegen mit einem engen Freund Krach kriegen sollte. In eben jenem Jahr, in dem sich Ribbeck zum Bundestrainer krönen ließ und dadurch - wenngleich eher unfreiwillig - an der großen Zeitenwende des deutschen Fußballs mitwirkte, sah sich auch Lattek der Versuchung ausgesetzt, sein Dasein als Trainer-Pensionär aufzugeben und noch mal einzusteigen.

Der Erfolg gab dem Manöver recht

Die Islamische Republik Iran wollte ihn als Nationaltrainer engagieren und mit dem erfahrenen Deutschen ins WM-Turnier nach Frankreich gehen. Die Perser lockten mit großem Lohn und der Leidenschaft eines fußballverrückten Landes. Im letzten Moment schaffte es Lattek abzusagen. Er hatte es klugerweise besser gewusst, er hat gewusst, dass seine Trainerzeit vorüber war. Dass er sich zwei Jahre später bei den abstiegsbedrohten Dortmundern noch mal als Coach präsentieren ließ, steht dazu nicht im Widerspruch. In Dortmund fungierte er im befristeten Notfalleinsatz nur als Chefberater des Junior-Trainers Matthias Sammer.

Der Erfolg gab dem Manöver recht - Dortmund stieg nicht ab. Und Lattek konnte endlich entspannt aufhören, als Rekordtrainer, mit acht deutschen Meistertiteln.

Begonnen hatte Udo Lattek seine große und leuchtende Trainerkarriere 1965 beim DFB, er betreute dort die Jugendnationalmannschaft. Außerdem gehörte er zum Stab des Bundestrainers Helmut Schön und nahm an der WM 1966 in England teil. Pokale und Medaillen begann er in den Siebzigerjahren zu sammeln. Auf Betreiben Franz Beckenbauers und anderer Spieler, die ihn aus der Nationalmannschaft kannten, übernahm er das Team des FC Bayern. Dort formierte er mit Geschick, Verstand und mit Hilfe einer fortschrittlichen Öffentlichkeitsarbeit eine Elf, die alles gewinnen sollte, was der Vereinsfußball zu bieten hat.

Nach Schicksalsschlag zum FC Barcelona

In der fünf Jahre währenden Ära Udo Lattek, so darf man das heute deuten, liegt der Beginn der bis heute anhaltenden Herrschaft des FC Bayern in der Bundesliga. Im Januar 1975 wurde er nach Unstimmigkeiten mit Präsident Neudecker entlassen. Für die nächste Saison hatte er ein Engagement bei Rot-Weiss Essen verabredet, dann ging er aber doch als Nachfolger von Hennes Weisweiler zu Borussia Mönchengladbach, dem großen Bayern-Rivalen. "Was würden Sie machen, wenn Sie die Wahl zwischen einem Fahrrad und einem Mercedes hätten?", hat er dazu gesagt. Das war aus Sicht der Essener keine schmeichelhafte Begründung für die Absage, aber sie war eben echt Lattek: klar und ehrlich.

Mit den Gladbachern wurde Lattek auf Anhieb zweimal hintereinander Meister, im Europapokal erreichte er mit Borussia das Endspiel, das aber der FC Liverpool 3:1 gewann. Seine Gegner, von denen es einige gab, lästerten, dass Lattek es wieder verstanden habe, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Aber so einfach lassen sich seine Erfolge und seine Kunst nicht abwerten. Nach vier Jahren am Niederrhein arbeitete er bei Borussia Dortmund, ehe er wegen eines Schicksalsschlags - sein Sohn starb 15-jährig an Leukämie - um Auflösung des Vertrags bat. Begründung: Er brauche "eine neue Aufgabe".

Mit Maradona kollidiert

Die fand er beim FC Barcelona, der damals keine geringeren Ansprüche stellte als heute. Was Lattek spätestens erfuhr, als der Klub Diego Maradona engagierte, den besten Spieler der Welt. Maradonas Eigensinn kollidierte bald mit Latteks autoritärer Führung, der Trainer war in diesem Machtkampf der logische Verlierer. Nach dem Abenteuer in Spanien fand Lattek aber schnell wieder eine adäquate Anstellung - sein ehemaliger Spieler Uli Hoeneß, inzwischen Manager, holte ihn zum FC Bayern zurück, wo er seinen Verdiensten weitere drei Meistertitel zugesellte, ehe er 1987 das Fach wechselte.

Beim 1. FC Köln wurde er Sportdirektor, und auch in dieser Rolle sorgte er mit Vergnügen für Schlagzeilen. Unter seiner Führung begann der Aufstieg von Christoph Daum als Trainer, den Bayern und deren Trainer Jupp Heynckes bereitete das Duo damals viel Mühe.

Nach seiner aktiven Zeit wurde Lattek Stammtisch-Trainer im Fernsehen. Für dieses Metier hatte er eine natürliche Begabung. Der populären Sendung "Doppelpass" am Sonntagvormittag gehörte er als ständiger Gast an. Manche schön ätzende Bemerkung hat er dort gemacht. Aber die, die ihn näher kannten, schätzten seine Herzlichkeit. Auch mit Erich Ribbeck hat er sich versöhnt und noch einige Kölsch in der "Alten Schmiede" getrunken.

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