Zum Tod von Fußballlegende Alfredo Di Stéfano:Erster Regent am königlichen Hof

Former Spanish football star Di Stefano dies at the age of 88

Pokale für zwei Karrieren: Alfredo Stéfano Di Stéfano Laulhe gewann auf Klubebene fast alles in seinem Leben.

(Foto: dpa)

Der Stürmer Alfredo Di Stéfano war ein Pionier des vielseitigen Spiels und das erste wirkliche Welt-Idol des Fußballs. Bei Real Madrid avancierte er in den 50er und 60er Jahren zu einem der besten Akteure der Historie - mit 88 ist er jetzt an einem Herzinfarkt gestorben.

Von Javier Cáceres , Belo Horizonte

Im Bauch des Estadio Santiago Bernabéu, unterhalb der Südtribüne, gibt es einen Raum, in dem die Veteranen von Real Madrid versuchen, ihrem Rentnerdasein einen Sinn zu geben. Dort pumpt das Herz dieses großen Klubs, nicht auf der VIP-Tribüne, die man eigentlich BIP-Tribüne nennen müsste, weil da die fürs Brutto-Inlands-Produkt wichtigsten Industriellen Spaniens hocken, seit der Bauunternehmer Florentino Pérez die Geschäfte führt.

Dort unten also saß auch Alfredo Di Stéfano, jeden Tag. In einem fensterlosen Raum und umgeben von Spielern, mit denen er zahllose Trophäen errungen hatte, und von solchen, die nach seiner aktiven Zeit ebenfalls Meisterschaften und Pokale gewonnen hatten; an ihn, Di Stéfano, aber konnten sie nie heranreichen. Denn Di Stéfano war einzigartig. Pelé pflegte zu sagen: "der Größte." Er hätte auch sagen können: der Größte von uns allen, von den besten Fußballern der Geschichte. Egal, ob Pelé, Cruyff, Maradona oder nun Messi, sie werden immer wieder an Di Stéfano zurückverweisen.

Wobei er es selbst anders sah. Bis in seine späten Tage bekam Di Stefano, 1926 in Buenos Aires geboren, glänzende Augen, wenn er an eine legendäre Truppe von Künstlern und Bohèmes zurückdachte, die "la Máquina de River" genannt wurde, die "Maschine" von River Plate Buenos Aires. Sie galt in den Vierzigerjahren als das Nonplusultra in Lateinamerikas Fußball - und damit der Welt, denn Europa führte Krieg.

Ihre Sturmreihe umfasste Spieler, die in Di Stéfanos Erinnerung besser waren, als er je wurde. "Wer die besten Spieler der Geschichte waren? Muñoz, Moreno, Pedernera, Labruna und Lustau". Di Stéfano? "Auf der Bank." Gleichwohl galt er als der legitime Erbe, und er hätte die Legende fortgeschrieben, wenn es 1949 nicht diesen Streik gegeben hätte, der alle argentinischen Stars ins Ausland spülte. Auch ihn.

Di Stéfano selbst landete in Kolumbien, bei Los Millonarios in Bogotá. Als Santiago Bernabéu, der legendäre Präsident Real Madrids, das längst nach ihm benannte Stadion bauen ließ, lud er jene sagenumwobene Millonarios-Truppe zur Eröffnung ein. Er sah Di Stéfano, verliebte sich in sein Spiel - und schnappte ihn, offenbar mit Hilfe der Franco-Diktatur, dem FC Barcelona weg.

Nur so konnte Bernabéu ein Imperium von internationalem Glanz schaffen, in dem sich auch der Franco-Faschismus gerne sonnte. Denn Di Stéfanos Verpflichtung fiel in die Zeit, da L'Équipe, das französische Sportblatt, den Europapokal der Landesmeister ins Leben rief. Di Stéfano und Real Madrid gewannen die ersten fünf Ausgaben, bis Benfica Lissabon kam.

Auf den Bildern, die unmittelbar nach dem Spiel entstanden, ist zu sehen, wie der in diesem Jahr verstorbene Eusébio mit freiem Oberkörper auf Schultern von Fans getragen wird und eine Hand in der Hose hat. Am Gemächt, um genau zu sein. Er hatte mit Di Stéfano das Trikot getauscht und es in die Shorts gesteckt. "Ich hatte Angst, es könne mir geklaut werden", sagte er später.

Auch das erzählt ein wenig vom Rang Di Stéfanos. Er war der erste weltumspannende Star des Fußballs, sein erster Mythos. Von ihm erschienen in den Sechzigerjahren sogar in Deutschland Biografien. Er war Werbe- und Filmstar, derart berühmt, dass ihn in Caracas einmal eine linke Guerillagruppe entführte, um ihre Anliegen mit einem Schlag auf der ganzen Welt bekannt zu machen.

Überall auf dem Platz zu finden

Di Stéfano war so groß, dass er sogar ohne WM auskam. 1962 reiste er zwar mit der Nationalelf seiner Wahlheimat Spanien zur WM nach Chile, der Trainer aber hieß Helenio Herrera und setzte ihn nicht ein. Di Stéfano war verletzt gewesen; wie schwer, ließ sich nie klären.

Zu den größten Siegen, die Real Madrid mit und durch Di Stéfano errang, zählte das 7:3 gegen Eintracht Frankfurt im Europapokal-Finale von Glasgow. In Spanien hieß es immer, dass es seit den Sechzigerjahren jedes Jahr zu Weihnachten von der BBC wiederholt worden ist. Der Gedanke ist viel zu schön, als dass man nachprüfen sollte, ob es überhaupt je wiederholt wurde.

Di Stéfano trug seinerzeit die Nummer 9 auf dem Rücken, doch er, den sie seit seinen Tagen in Argentinien "La Saeta Rubia" (den blonden Pfeil) oder auch "el alemán" nannten, den Deutschen (wegen seiner hellen Haare), war kein Mittelstürmer im klassischen Sinne. Sondern der erste "todocampista", der erste Spieler, der den ganzen Platz regierte, hinten aushalf, im Mittelfeld aufbaute, vorne Tore schoss. "Tore schießen ist wie Liebe machen. Alle Welt weiß, wie das geht. Aber keiner macht's so wie ich", pflegte Di Stéfano zu sagen.

Überhaupt war er ein Meister des Aphorismus. Nicht nur, weil er als einer der ersten erkannte, dass im Fußball zwei plus zwei auch sieben sein kann. Als er Trainer wurde, unter anderem bei River Plate, Boca Juniors, Valencia und auch Real Madrid, machten ihn die Spieler verrückt, die mit dem Ball zu ergründen suchten, ob die Wolken Schnee trugen. "Woraus ist der Ball? Aus Leder? Woraus wird Leder gemacht? Aus Kuhhaut? Was Essen Kühe? Gras. Wo also gehört der Ball hin? Auf den Rasen."

In seinen späten Jahren wurde auch er Teil der BIP-Tribüne, Real Madrids Präsident Pérez sonnte sich gern in seinem Glanz. Der alte Mann ging gebückt, aber gern ins Stadion, zwinkerte den Hostessen zu, als sei seine Gehhilfe aus Holz ein Aphrodisiakum. Er war ein lebensfroher Mann, auch wenn er gern grantelte. Seit 2005 trug er, der das Herz des ersten globalen Fußballklubs der Geschichte in sich trug, einen Schrittmacher.

Am Samstag erlitt er in der Nähe seines Domizils, nur einen Steinwurf vom Bernabéu-Stadion entfernt, einen Herzinfarkt, es war nicht der erste seines Lebens. Bei der letzten WM in Südamerika, 1978, starb Bernabéu. Nun also Di Stefano, mit 88 Jahren. "Gracias, vieja", steht als Inschrift auf dem Denkmal, das er vor Jahren schon in seinen Garten aufgestellt hatte: "Danke, Alte", es ist ein Ball aus Bronze. Am Dienstag werden in Madrid die Titelseiten mit der gleichen Zeile am Kiosk werben: "Gracias, viejo."

Danke, Alter.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: