Zum Tod von Eusébio:Staatstrauer für den heiligen Panther

(FILE) Footballer Eusebio Dies At 71

Portugals Nationaldenkmal: Eusébio.

(Foto: Getty Images)

Eusébio Ferreira da Silva war schon zu Lebzeiten eine Legende, eine moralische Instanz, ein nationales Heiligtum. Nach seinem Tod im Alter von 71 Jahren wird der einst schnellste Fußballer der Welt in seinem Heimatland verabschiedet - wie ein echter Staatsmann.

Ein Nachruf von Oliver Meiler

Bald hingen so viele Schals und Fahnen, Blumen und Bilder an der bronzenen Statue, dass der Dargestellte darunter gar nicht mehr zu erkennen war. Regelrecht begraben haben sie Eusébio Ferreira da Silva unter ihren vielen Devotionalien. Unter ihrer Liebe.

Wenn man die Leidenschaft der Portugiesen für ihren wohl größten, sicher aber populärsten Sporthelden der Historie, den am Sonntag im Alter von 71 Jahren verstorbenen Fußballer Eusébio, verstehen will, dann sind die Trauerszenen der vergangenen Tage vor und im Estádio da Luz, der Spielstätte von Benfica Lissabon, ein guter Indikator: dieser Pilgerzug vorbei an der Statue vor dem Stadion draußen, diese letzte Verneigung vor dem ausgestellten Leichnam drinnen.

Die Portugiesen haben ja immer, auch ohne dringenden Anlass, einen Hang zur Melancholie, den die Folklore mit den traurigen Klängen des Fado unterlegt. Die Trauer potenziert sie noch. Der portugiesische Präsident hielt eine Rede, hob dabei die transzendentale Beispielhaftigkeit Eusébios hervor, dessen Bescheidenheit trotz aller Triumphe, und verfügte drei Tage Staatstrauer. Viel mehr geht nicht. So ehrt man sonst nur Staatsmänner.

585 Tore schoss Eusébio für Benfica. In 571 Spielen. Elf Mal machte er zwischen 1961 und 1975 den Verein zum Meister. Er verhalf dem Klub zu europäischem Ruhm, wurde 1965 zum besten Fußballer der Welt gekürt, zudem gewann er zwei Auszeichnungen als Europas bester Torschütze. Er war schon zu Lebzeiten eine Legende, eine moralische Instanz und ein nationales Heiligtum. Er wusste das, er genoss es auch. Als er pensioniert war, gezeichnet von sieben Knieoperationen und von Krankheit, bestellte er seine Interviewer auch schon mal zu seiner Statue vor dem Stadion.

Er kritisierte dann oft den modernen Fußball: "Den Spielern wird Verteidigung und Pressing eingetrichtert", sagte er, "die Achtung vor der Technik ist verschwunden. Wenn ich ins Stadion gehe, will ich mich doch vergnügen können, dann will ich einem Spieler zuschauen, der versucht, seinen Gegner auszudribbeln und Kunststücke aufführt - ich will träumen können. Heute träumt man nicht mehr, leider."

Eusébio kam in einem armen Vorstadtquartier von Lourenço Marques zur Welt, dem heutigen Maputo, der Hauptstadt Mosambiks, das damals eine portugiesische Kolonie war. Als sein Vater starb, war er erst fünf. Seine acht Geschwister, so erzählte er es später, strengten sich in der Schule an. Er aber habe lieber jongliert, mit allem Jonglierbarem. Lederbälle gab es keine im Viertel, die waren zu teuer. In seinen Kindheitsjahren spielte Eusébio vor allem mit Tennisbällen, oder mit Knäueln aus Karton und Stoff. Das schärfte seine technische Fertigkeit am Ball, der ihm als Spielgerät nachgerade fußzahm vorgekommen sein muss. Und er war schnell, früh schon, unerhört kräftig und schussstark.

Die Antwort auf Pelé

Sein erster Verein war eine Überseefiliale von Sporting Lissabon: Sporting Lourenço Marques. Es war also anzunehmen, dass Eusébio einmal für Sporting in Portugal spielen würde. Doch ausgerechnet der Stadtrivale verpflichtete ihn - mit Tricks und Winkelzügen. Benfica flog Eusébio 1960 unter dem Namen einer Frau ein, Ruth Malosso, damit niemand etwas merkte, und versteckte ihn dann sechs Monate lang irgendwo an der Algarve, im Süden Portugals. Bis Sporting die Schmach verdaut hatte und die Papiere des 18-Jährigen in Ordnung waren. Eusébios Mutter erhielt eine stattliche Summe. Als er dann endlich spielen durfte, übertraf Eusébio alle Erwartungen. Schon in seinem ersten Spiel gelang ihm ein Hattrick.

Bald hieß er "Schwarzer Panther" - als afrikanische (und europäische) Antwort auf die "Schwarze Perle", wie der Brasilianer Pelé gerufen wurde. In der Folge entspannen sich die endlosen Debatten, wer der Beste aller Zeiten war. Alfredo Di Stéfano alias "blonder Pfeil" von Real Madrid, auch er ein Zeitgenosse, buhlte mit um die Krone. Später kamen andere dazu: Beckenbauer, Maradona, Cruyff. Eusébio war schneller und kräftiger als die anderen Granden seiner Zeit. Von ihm heißt es, er hätte auch im körperbetonteren, raumengeren Fußball der Moderne mithalten können. 100 Meter schaffte er in 11 Sekunden.

Weltberühmt wurde Eusébio am 23. Juli 1966, im WM-Viertelfinale Portugal gegen Nordkorea in Liverpool. Die Portugiesen galten als hohe Favoriten, wegen Eusébio. Nach nur 30 Minuten führten die Nordkoreaner aber mit 3:0, die Portugiesen schlichen schon mit hängenden Köpfen über den Rasen, als habe sich das Schicksal wieder einmal unheilvoll gegen sie gewandt. Fado hätte gepasst, als Soundtrack. Nur einer glaubte noch ans Weiterkommen, an ein Wunder - Eusébio. Vier Tore schoss er in jenem denkwürdigen Spiel, Portugal gewann 5:3 und beschloss das Turnier auf dem dritten Platz. So gut wie nie davor, so gut wie nie danach.

Eusébio war immer ein Mitreißer. Wenn er einen Treffer erzielt hatte, holte er stets den Ball aus dem Netz und lief damit schnell zur Mittellinie, als wäre das Tor nur ein Präludium des nächsten Tores. Auch dann noch, wenn sein Team schon hoch führte. Er war ein Mannschaftsspieler, einer, der Mittelstürmer genauso gut konnte wie Flügelläufer und Mittelfeldregisseur. Wenn es sein musste, holte er sich den Ball auch in der eigenen Abwehr und querte den ganzen Platz mit großen Schritten.

Inter Mailand, Juventus Turin, Real Madrid - alle wollten Eusébio. Doch Portugals Diktator Salazar hatte ihn für sich entdeckt. Der Staatsführer war kein Fußballnarr wie die meisten seiner Landsleute, er verstand aber, dass der Sport und dessen Helden seiner politischen Propaganda dienlich sein konnten. Und so setzte er sich oft auf die Tribüne, sonnte sich im Glanz der Erfolge und blockierte alle Transferversuche Eusébios. Als wäre der ein unverhandelbares Nationalmonument. Eusébio ließ es mit sich geschehen, stand dem Regime aber nie nahe. "Meine Politik ist der Ball", sagte er mal. Nach der Nelkenrevolution von 1974 verließ er 1975 Lissabon, spielte noch einige Jahre in Amerika und verdiente dabei mehr Geld als in seiner Benfica-Zeit.

Die Frage nach seiner Allzeitgröße überlebt ihn. Auch in Portugal. Für die meisten Portugiesen ist Eusébio größer als Cristiano Ronaldo, sein wahrscheinlichster Erbe. Und für viele wird das immer so bleiben, egal, was noch kommt. Als Ronaldo vom Tod Eusébios erfuhr, twitterte er: "Immer ewig". Das klingt nach doppelter, schier pleonastischer Verneigung.

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