Zum Tod von Dettmar Cramer:Getriebener des Fußballs

Dettmar Cramer

Im Alter von 90 Jahren gestorben: der frühere Trainer des FC Bayern, Dettmar Cramer.

(Foto: dpa)

Akribischer Arbeiter, pflichtbewusster Bildungsbürger und moderner Fußballprofessor: Dettmar Cramer ist in seinem langen Leben viel in der Welt herumgekommen - und hat dabei den Fußball geprägt wie kaum ein anderer.

Von Hans Eiberle

Unvergessen das Foto: Dettmar Cramer, kostümiert als Napoleon, in Feldherrenpose im Münchner Olympiastadion. Eine imposante Erscheinung, dabei war Cramer (1,61 Meter) sieben Zentimeter kleiner als der große Korse. Es war eine Gefälligkeit, Fotografin war Diane Sandmann, die Lebensgefährtin von Franz Beckenbauer und Cramer 1966 dessen Trauzeuge bei der Hochzeit mit Brigitte Schiller. Damals assistierte er beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) dem Bundestrainer Helmut Schön. Cramer hatte zuvor durchgesetzt, dass der junge Vater Beckenbauer nicht aus der DFB- Jugendmannschaft flog.

Zehn Jahre später gewann der FC Bayern mit Dettmar Cramer als Trainer gegen Cruzeiro Belo Horizonte den Weltpokal. Vor dem Rückflug ab Rio de Janeiro dirigierte er den Mannschaftsbus zur Copacabana und kickte in glühender Hitze mit den Strandfußballern. Kein Wunder, dass der gestresste Gastspieler auf dem Rückflug einen Kreislaufkollaps erlitt. Trotzdem war er bei der Zwischenlandung in Dakar, am Tag vor Heiligabend, morgens um vier Uhr, zum abgesprochenen Interview mit der Süddeutschen Zeitung bereit. Pflichtbewusstsein ging ihm, der im Zweiten Weltkrieg Oberleutnant der Fallschirmjäger gewesen war, über alles.

Ein kurioses Tauschgeschäft

Das Thema war: Der FC Bayern nach Franz Beckenbauer, damals schon 31 Jahre alt. Cramer: "Das muss sein wie eine saubere, gekonnte Operation. Der Stil des FC Bayern wird sich über Nacht ändern." Der Eingriff ins Mannschaftsgefüge wurde schneller als erwartet notwendig. Am 21. Mai 1977 trug Franz Beckenbauer im Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach (2:2) zum letzten Mal das Trikot des FC Bayern; er wechselte zu Cosmos New York.

Als Dettmar Cramer am 16. Januar 1975 Udo Lattek als Trainer des FC Bayern ablöste, hatte die Mannschaft die Vorrunde auf dem 14. Tabellenplatz beendet. Trotz anhaltender Probleme in der Bundesliga gewann das Team unter Cramer 1975 und 1976 den Europacup der Landesmeister. Nach Franz Beckenbauers Abschied aber ging es steil bergab. Die Mannschaft war im Dezember 1977 auf den drittletzten Tabellenplatz abgerutscht, als Präsident Wilhelm Neudecker einem kuriosen Tauschgeschäft zustimmte. Dettmar Cramer wechselte zur Frankfurter Eintracht, deren Trainer Gyula Lorant kam nach München.

Es blieb nicht der einzige Bruch in Cramers Berufsleben. Nach einem ersten Engagement bei Teutonia Lippstadt und anderen unterklassigen Vereinen wurde er Cheftrainer des Westdeutschen Fußballverbands, zu dem er 1962 nach einem dreimonatigen Intermezzo als Sportredakteur des ZDF zurückkehrte. 1974 verpflichtete ihn der US-amerikanische Fußballverband, Cramer trat die Arbeit aber nicht an. Das war im selben Jahr auch bei Hertha BSC Berlin so, wo Cramer "aus persönlichen Gründen" absagte. Beide Vertragsbrüche brachte ihm reichlich Ärger ein.

Verehrt als Begründer des modernen Fußballs

Dettmar Cramer ist in seinem langen Leben viel in der Welt herumgekommen und hat dabei die Welt des Fußball mit geprägt. Während seiner Zeit beim DFB war er in 70 Ländern als Trainer des Weltfußballverbandes Fifa tätig. Von 1978 bis 1981 trainierte er in Saudi-Arabien den Klub Al-Ittihad und die Nationalmannschaft, danach Aris Thessaloniki. Zur Saison 1982/83 kehrte Cramer als Trainer von Bayer 04 Leverkusen in die Bundesliga zurück. Während seiner dreijährigen Tätigkeit erreichte die Mannschaft 1983/84 erstmals einen einstelligen Tabellenplatz.

Die Japaner verehren Dettmar Cramer als Begründer des modernen Fußballs in ihrem Land. Ihm wird, obwohl er nur beratend tätig war, ein entscheidender Anteil am Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko zugeschrieben. 2005 wurde er in die japanische Fußball-Ruhmeshalle aufgenommen. Kaiser Hirohito verlieh ihm persönlich den höchsten japanischen Kulturorden.

"Hier ist der Kollege Merkel schlecht in Geografie"

Dettmar Cramer war bekannt als akribischer Arbeiter und für seine Beredsamkeit, aber auch gefürchtet, weil er gelegentlich schier endlos dozierte und belehrte. Auch Max Merkel, der gehöhnt hatte, Cramer habe "den Schwarzen im Senegal beigebracht, wie man Kakteen umdribbelt". Konter Cramer: "Hier ist der Kollege Merkel schlecht in Geografie: Im Senegal gibt es gar keine Kakteen."

Journalisten profitierten ebenso vom Bildungsbürger Cramer, brachte er ihnen die Mehrzahl von Meniskus (Menisci) bei. Den Spitznamen Professor trug er lange vor der Verleihung zweier Ehrenprofessuren. Torhüter Sepp Maier vermochte er allerdings nicht zu beeindrucken; der nannte ihn respektlos den "laufenden Meter".

Zuletzt war Cramer, der am 4. April seinen 90. Geburtstag gefeiert hatte, in einem Werbespot einer Bank zu sehen. In diesem sagte er: "Jeder hat etwas, das ihn antreibt." Er war selbst ein Getriebener des Fußballs.

Der in Dortmund geborene Dettmar Cramer lebte in Reit im Winkl. Dort starb er am 17. September 2015; er wurde 90 Jahre alt.

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