Zum Tod von Andreas Sassen:Mit Talent fürs Mittelfeld

Nüchtern war er sympathisch, doch alkoholisiert war er unberechenbar. Das Fußballerleben des Andreas Sassen liefert über seinen Tod hinaus den Stoff für Fangesänge.

Von Klaus Hoeltzenbein

Es gab keine Überlieferungen von den Theken der Nacht, aber wer weiß, vielleicht haben sie sogar gewettet. Andreas Sassen und jene, die er in Essen, Uerdingen, Hamburg, Dnjpropetrowsk und Wattenscheid traf.

Vielleicht haben sie gesagt, diesen und diesen und diesen Wodka noch, und das läppische Fußballspiel am nächsten Tag, das wird doch noch zu schaffen sein. In dieser Welt der schiefen Mythen gibt es traurige Figuren wie Paul Gascoigne, der einmal über sein Vorbild Bryan Robson verkündete: "Er ist der einzige Spieler, den ich je traf, der 16 Pints trinken und immer noch am nächsten Tag Fußball spielen konnte."

Nüchtern sympathisch, alkoholisiert unberechenbar

Womöglich haben sie nächtens solche Geschichten erzählt, eher noch jene von Helmut Rahn, wie Sassen in Essen geboren, der zweimal wegen Trunkenheit am Steuer im Gefängnis saß. Gascoigne war englischer Nationalspieler, Rahn der WM-Held von 1954, vom Fußballer Sassen aber, dem aller Orten ein großes Talent fürs Mittelfeld bescheinigt wurde, bleiben Zahlen.

79 Bundesliga-Spiele zwischen 1990 und 1995, sechs Tore. Die Legenden, die den Menschen Sassen (nüchtern sympathisch, alkoholisiert unberechenbar) überleben, stammen aus Kreisen, in denen Schluckfähigkeit als Maßstab für Männlichkeit gilt.

Auf den Tribünen des Hamburger SV ist bis heute der Ruf "Taxifahrn mit Sassen!" zu hören, erwachsen aus einer Nacht im Oktober 1993. "Fahr schneller, Ali", hatte Sassen einen türkischen Fahrer aufgefordert, als er mit dem Mitstreiter Harald Spörl von einer Zechtour von der Reeperbahn kam.

Verschwunden mit der Bardame

Als der Fahrer nicht wollte, wie Sassen befahl, kam die Faust zum Einsatz. Strafanzeige, Abmahnung, Geldstrafe von 12500 Mark. Schon 1989 in Essen, nach einer Zechtour mit Mario Basler, ermittelte die Polizei einen Spitzenwert von 1,9 Promille, zog den Führerschein ein, und Sassen deutete seine junge Vita für Interviews um: "Ich habe noch nie den Führerschein verloren. Ich habe gar keinen."

Fortan war er Beifahrer. Auch in Uerdingen, im Frühjahr 1993, wo er mitten im Abstiegskampf nach einer Tour mit Sergej Gorlukowitsch erwischt wurde. Diesmal war der Russe die Fahrerlaubnis los.

13 Tage - so kurz dauerte es, ehe Beifahrer Sassen 1994 bei Dynamo Dresden nach geschwänzten Trainingseinheiten und einem Autounfall mit dem unter Alkoholeinfluss stehenden Ersatztorwart suspendiert wurde.

Karriere-Ende, Familie verloren, harter Entzug

Er wurde zwar noch einmal begnadigt, zog aber bald weiter über die Ukraine nach Wattenscheid, wo 1996 das Finale dieses Fußballers folgte: Im Trainingslager an der Algarve brannte "Wodka-Andy" mit einer holländischen Bardame durch, blieb tagelang verschwunden, die Mannschaft reiste ohne ihn ab.

Karriere-Ende, Familie verloren, harter Entzug. Zu lesen war 1997 noch einmal von ihm: Er sei in Essen mit einer Gaspistole in die Kneipe gestürmt, habe die Wirtin bedroht und sich mit der Polizei geprügelt.

Der Psychologe, der Paul Gascoigne behandelte, sagte diesem einmal für den Fall, dass er sein Leben nicht ändere, voraus: "Er landet in der Gosse, er landet im Knast, oder er erlebt seinen 40. Geburtstag nicht mehr." Andreas Sassen ist am Sonntag in Essen 36-jährig gestorben. 14 Tage zuvor war er mit der Diagnose Gehirnschlag in die Uni-Klinik eingeliefert worden.

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