Zimmersuche in Wimbledon:Kathie schmeißt ihren Sohn raus

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Was passiert, wenn man zu Turnierbeginn in Wimbledon noch ein Zimmer sucht? Die Londoner helfen, haben Riesenideen - und schaffen Orte der Glückseligkeit.

Von Gerald Kleffmann, London

Da steht man, mitten auf der Tennisanlage, und braucht ein Zimmer oder eine Wohnung. Irgendwas, um zwei Wochen lang unterzukommen. Warum so spontan, ist eine andere, höchst komplizierte Geschichte, die ein andermal erzählt wird. Als dann jedenfalls das eigene Bett in den gemieteten vier Wänden am Ende dieses erstaunlichen Tages gefunden ist, hat man eine Menge gelernt über dieses Land namens England und über diese Stadt namens London und über diesen wundersamen Ort namens Wimbledon.

Am Anfang war nicht das Licht, sondern ein Tipp. In einem Häuschen, 500 Meter hinter der U-Bahn-Station Southfields, sei ein Zimmer frei. Immer nur die Church Road hoch und dann über die Kreuzung und ein Stück weiter. Kathie ist tatsächlich da, Kathie macht auf, bittet herein, und was Kathie dann macht, sorgt dafür, dass man Kathie fast so sehr lieben wird wie Frau und Kind, aber natürlich nur fast. Kathie sagt, sie habe kein Zimmer mehr frei. Sie habe doch schon zwei vermietet in ihrem Häuschen, es läuft ja gerade dieses berühmte Tennisturnier. Ein Fotograf wohnt vorne zur Straße, ein Reporter komme noch, alles voll. Kathie überlegt, sie grübelt, wie Wickie sieht sie aus, nur reibt sie sich nicht mit dem Finger um die Nase und es fliegen auch keine Sternenfunken, als ihr eine Idee kommt. Eine gewaltige, großartige Idee.

Kathie schmeißt ihren Sohn raus.

Spontan fällt einem der Tscharlie ein, aus den Münchner Gschichten, vom Dietl, der hatte auch immer Riesenideen. Aber nicht mal der hätte seinen Filius hinauskomplimentiert.

Kathie macht aber keine Witze, dabei lacht sie doch so schön. Das mit dem Sohn sagt sie genau so: Er müsse raus. Sie lacht dazu herzerfrischend. Für zehn Minuten verschwindet Kathie, und als sie zurückkommt, ist alles besiegelt. Harry, der Sohn, wohnt jetzt im Gartenhaus, was tatsächlich nicht mehr ist als ein Gartenhaus. Harry ist um die 20 und er sitzt nun auch am Tisch, völlig beseelt, als hätte er den Jackpot geknackt. Kathie strahlt, sie sagt, alle machen das jetzt so hier, sie vermieten jedes Zimmer, jede Wohnung, notfalls ziehen die Leute reihenweise aus und schlafen bei Freunden oder Verwandten.

Denn es ist ja Wimbledon, und die nun verdienten Mieten sind gutes Geld. Nein, nein, sagt Kathie, man müsse definitiv kein schlechtes Gewissen haben, und das Chaos in Harrys Zimmer, in dem freie Stellen auf dem Bett und auf dem Boden nicht sofort zu entdecken sind, das ordne sie schon. In zwei Stunden möge man kommen.

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Und, was soll man sagen? Das Jugendzimmer ist immer noch eines, Schallplatten an der Wand, Gitarren am Boden - aber alles picobello sauber. Und den Koffer kann man auch aufklappen. Der Boden ist frei. Die Nacht war dann wie in einer Suite, morgens presste Kathie frischen Saft, ihr Mann plauderte freundlich mit. Was für eine beseelte Familie!

Steve, so heißt der Gatte, ist übrigens Pfarrer, man hat auch das nicht gleich erkannt. Draußen steht ja ein schweres Motorrad, drinnen ein heißes Rennrad. Aber der Hund, der hier auch noch wohnt neben der vierköpfigen Familie und dem Fotografen und dem bald anreisenden Reporter und dem neuen Gast, der Hund also, er heißt: Moses. Spätestens da machte es wirklich klick: Man ist am richtigen Ort angekommen.

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