Zensur und Olympische Spiele:Gute Zeiten für Denunzianten

China hat Zehntausende "Cyberpolizisten" ausgebildet, die ständig im Internet patrouillieren. Mittlerweile helfen auch private Jäger bei der Zensur missliebiger Web-Seiten.

Henrik Bork

Über das Internet, dachte Liu Shaokun, könne er in ganz China die Wahrheit verbreiten. Bei dem Erdbeben in Sichuan am 12. Mai waren auffällig viele Schulen eingestürzt. Tausende Kinder starben darin, während die Gebäude rings um die Schulen oft völlig unversehrt dastanden. Übers Internet wurde schnell Ärger laut über die sogenannten Tofu-Schulen. Korrupte kommunistische Kader hatten Teile der Baugelder entwendet und dann schlecht konstruierte, unsichere Schulen errichten lassen. Ohne genügend Baustahl als Verstärkung. Mit zu viel Sand im Beton. Wackelig, wie Tofu eben, wenn man ihn mit einem Essstäbchen anstubst.

Zensur und Olympische Spiele: China hat Zehntausende "Cyberpolizisten" ausgebildet, die ständig im Internet patrouillieren.

China hat Zehntausende "Cyberpolizisten" ausgebildet, die ständig im Internet patrouillieren.

(Foto: Foto: dpa)

"Umerziehung durch Arbeit"

Liu, Lehrer an einer Mittelschule in der schwer betroffenen Stadt Deyang, recherchierte selbst. Er besuchte mehrere der eingestürzten Schulen und fotografierte sie. Später stellte er die Fotos ins Internet. Die chinesische Öffentlichkeit sollte sich selbst ein Bild von den Überresten dieser Schulen machen können. Dachte er. Am 25. Juni holte die Polizei Liu Shaokun im Klassenzimmer ab. Er habe sich des "Verbrechens der Anstiftung zum Umsturz der Regierung" schuldig gemacht, wurde seiner Familie später mitgeteilt. Ohne Gerichtsverfahren wurde er zu einem Jahr "Umerziehung durch Arbeit" in einem Lager verurteilt.

Der Lehrer Liu ist einer von vielen Bürgern, die nach dem Erdbeben in Sichuan wegen ihrer Online-Aktivitäten verhaftet wurden. Ein weiteres Beispiel ist der Bürgerrechtler Huang Qi aus Chengdu. Er hatte sich mit wütenden Eltern getroffen, die in den "Tofu-Schulen" ihr einziges Kind verloren hatten. Auch gab er ausländischen Journalisten Interviews zu dem Thema. Huang ist am 10. Juni festgenommen und am 18. Juli formell verhaftet worden. "Illegaler Besitz von Staatsgeheimnissen" lautet der Vorwurf. Das lässt eine lange Haftzeit befürchten.

Wenn nun von der Zensur des Internets in China die Rede ist, weil die rund 25.000 ausländischen Journalisten bei den Olympischen Spielen noch nicht einmal im Pressezentrum frei surfen dürfen, so ist dies zwar ärgerlich und ein Wortbruch des IOC und der chinesischen Regierung. Für kritische Chinesen und Internetnutzer klingt das jedoch wie ein Luxusproblem. Die Unterdrückung kritischer Inhalte im Internet ist für sie keine technische Frage einiger blockierter Webseiten, von denen es in China Tausende gibt. Sie ist eine sehr physische Angelegenheit: Polizisten klopfen an ihrer Tür, oft nachts, und dann werden sie abgeholt. "Als Chinas Regierung dem IOC im Juli 2001 versprach, dass vor und während der Pekinger Sommerspiele 2008 die Pressefreiheit vollständig gewährt sein wird, waren 14 Journalisten und zehn Cyberdissendent im Gefängnis. Heute sind es über 100", heißt es in einem Bericht von "Reporter ohne Grenzen".

Mehrstufige Abwehr

Die ausländischen Reporter, die zu den Olympischen Spielen anreisen, müssen hingegen nicht fürchten, verhaftet zu werden. Weder für das, was sie ins Netz stellen, noch für das Ansteuern bestimmter Seiten. Sie werden nun jedoch, weil das IOC entgegen früherer Verprechen gegenüber den Chinesen eingeknickt ist, mit der technischen Seite der chinesischen Internetzensur Bekannschaft machen, eine spezielle Firewall. Die ist ein mehrstufiges, kompliziertes Konstrukt. Schon bei den Internet-Knotenpunkten, wo Unterseekabel das chinesische Festland erreichen, werden mit Hilfe modernster Maschinen sowie Filter- und Analyse-Software bestimmte Webseiten und unerwünschte E-Mails blockiert. "Die kommunistische Führung gibt viel Geld dafür aus. Es wird nicht mehr einfach nur nach Stichwörtern gesucht wie noch vor einigen Jahren. Die Internetpolizisten sind jetzt mit Hilfe ausländischer Firmen in der Lage, Internetseiten automatisch zu analysieren und gezielt zu eliminieren", sagt der Chefredakteur eines Online-Nachrichtendienstes in Peking.

China hat Zehntausende "Cyberpolizisten" ausgebildet, die ständig im Internet patrouillieren. "Wir bekommen täglich Anrufe, diesen oder jeden Blog zu löschen oder diese oder jene Nachricht aus dem Netz zu nehmen", sagt eine Online-Redakteurin in Peking.

Tibet, Tiananmen-Massaker, Tofu-Schulen, es gibt Hunderte Tabuthemen. Und täglich kommen neue hinzu. Der neueste Trend: Die Internetpolizei hat 181 freiwillige Surfer ausgebildet, zur "Virtuellen Hauptstadtpolizei 110". Sie surfen - und denunzieren auffällige Inhalte sofort bei den Behörden. Unbezahlt.

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