Zehn Jahre nach Olympia in Athen:Ruinen für die Ewigkeit

Olympische Spiele, Athen, Olympia, IOC

Einst Spielstätte der Softball-Wettbewerbe, jetzt ein Unkraut-Beet: Stadion im Hellinikon-Olympiakomplex von Athen.

(Foto: Getty Images)

Hohes Gras, brüchige Bretter, halbverfallene Gebäude: Die meisten Sportstätten der Olympischen Spiele von Athen 2004 stehen wie Denkmäler olympischer Rekordsucht in der Landschaft. Viele Athener beklagen, dass das absehbar war - andere bemühen sich, die verrotteten Anlagen wieder nutzbar zu machen.

Von Christiane Schlötzer, Athen

Eine Fläche, dreimal so groß wie Monaco, das ist Hellinikon. Eine europäische Star-Immobilie mit Strandblick, im Süden von Athen. Das Riesengelände am Rand der Ägäis war einst der Flughafen von Athen, bevor dort Wettkampfstätten für die Olympischen Sommerspiele entstanden. Hockey-Mannschaften und Handballer rangen dort im August 2004 um Medaillen, und Griechenland, die Mutter der Spiele, um Ansehen in der Welt.

Hellinikon heute: Das sind hohes Gras und wilde Hunde, halbverfallene Gebäude, von Guerilla-Gärtnern gepflanzte Olivenbäume, dazu eine Behelfsklinik für verarmte Athener. In der kämpfen ehrenamtlich engagierte Ärzte und Psychiater um die Gesundheit und die Würde ihrer Patienten, die sich keine Krankenversicherung mehr leisten können. Die Erinnerungen an den heiteren Spiele-Sommer sind im Krisen-Athen von heute so verblasst wie die wasserblaue Farbe des eleganten olympischen Olivenzweig-Logos von 2004.

Nicht alle Sportstätten sind zehn Jahre später vergessen. Einige sind durchaus noch in Gebrauch, aber man weiß nicht, ob das besser ist: Der Turmspringer Michalis Fafalis wollte sich jüngst in der Olympia-Anlage von Agios Kosmas auf die Europameisterschaften vorbereiten, da brach das Sprungbrett unter ihm entzwei. Der 21-Jährige verletzte sich am Rücken.

Nationaltrainer Petros Fyrigos sieht das Leben der Athleten in Gefahr, wenn sie weiter unter "so tragischen Umständen" trainieren müssten. Fyrigos hatte den Vizesportminister Giannis Adrianos früher schon auf den gemeingefährlichen Schrott hingewiesen. Aber nichts geschah. Erst nach dem Unfall trieb man 60 000 Euro auf, um vier neue Bretter zu kaufen. "Zusammen mit der olympischen Flamme wurde jede Hoffnung auf eine Verwertung der olympischen Infrastruktur gelöscht. Und statt die Sportstätten den Bürgern anzuvertrauen, wurden sie sich selbst überlassen", bilanziert die Zeitung Imerisia.

Ein schlechtes Jahr für Großereignisse

Im Nachhinein könnte man sagen: Die Griechen hätten es besser wissen müssen. Warum mussten sie sich auch um das teuerste Fest des Sports bemühen? Athen hatte sich schon um die Sommerspiele 1996 beworben, zum 100. Jubiläum der ersten Spiele der Neuzeit in Griechenland. Womöglich wäre vor der Jahrtausendwende der Schaden noch nicht so groß gewesen. 2004 war jedenfalls ein schlechtes Jahr für sportliche Großereignisse. Die Erinnerung an den 11. September 2001 war noch sehr wach, und auch an die Islamisten-Anschläge von Istanbul 2003.

Dann explodierten im März 2004 noch Sprengsätze in vier Vorortzügen in Madrid. Mit 1,2 Milliarden Euro verschlang allein das Sicherheitsbudget für Athen viermal so viel wie das für Sydney vier Jahre zuvor - und mehr als für die gesamten Spiele von München 1972. Vor allem die Amerikaner verlangten einen Allround-Schutz für ihre Athleten und drohten andernfalls mit Boykotten. Die teuerste Technik - auch aus den USA - sollte es sein. Später erfuhr man, dass auch der deutsche Siemens-Konzern profitierte und Politiker schmierte.

Niemand sagte Stopp

Viele der Überwachungskameras kann man noch im Athener Zentrum sehen. Nur ein Teil des superteuren Sicherheitssystems aber funktioniert. Die Polizei hat jüngst den Vertrag für das verschlüsselte Kommunikationssystem Tetra, das der griechische Staat von Siemens gemietet hatte, aus Kostengründen gekündigt.

Griechische Baukonzerne wiederum haben damals durchgesetzt, dass möglichst viele Sportstätten in dauerhaften Beton gegossen werden, statt billige Leichtbauten zu errichten. Auch deshalb stehen nun so viele Ruinen wie Denkmäler olympischer Rekordsucht in der Landschaft herum.

Ursprünglich waren 4,6 Milliarden Euro für die Spiele veranschlagt. Wie viel sie wirklich gekostet haben, wurde nie offiziell bekannt gegeben. Zehn Milliarden Euro? Oder zwölf? Gianna Angelopoulos, damals Chefin des Organisationskomitees ATHOC, hat nun bei dem wirtschaftsnahen Athener Forschungsinstitut IOBE persönlich eine Spiele-Bilanz in Auftrag gegeben. Bis zum Jahresende soll sie vorliegen. Frau Angelopoulos hat noch Großes vor. Sie interessiere sich, heißt es in Athen, für das Amt der Staatspräsidentin.

Manche Finanzpolitiker hatten früh gewarnt: Die bis dahin teuersten Spiele der olympischen Geschichte würden die Griechen auf Jahre belasten, mit höheren Steuern. Von einer Dekade war damals die Rede, dann sollte der Spuk vorbei sein. Es kam viel schlimmer. Die Finanzkrise lauerte schon 2004 hinter jeder Ziellinie, aber das Gespenst wollte kaum jemand sehen. Kompliziert wurde der Spiele-Endspurt noch durch einen Regierungswechsel. Im März 2004 besiegte die konservative Nea Dimokratia (ND) die Sozialisten. ND-Chef Kostas Karamanlis wurde nicht nur Premier, sondern auch Olympia-Minister. Die ganze Sache war nun dringlich.

Das Haushaltsdefizit erreichte olympische Höhen

Die neue Regierung beschwerte sich über zahlreiche unbezahlte Rechnungen der Vorgänger für die unfertigen Olympiabauten, und legte dann selbst kräftig nach. Mit Dreifachschichten auf den Baustellen. Das griechische Haushaltsdefizit erreichte damals schon olympische Höhen, ohne dass jemand Stopp sagte. Weder in Athen noch in Brüssel, wo man die gedopten Statistiken lange klaglos hinnahm.

Schon 2001, da war Griechenland gerade in den Euro aufgenommen worden, half auch die US-Investmentbank Goldman Sachs der Regierung dabei, die wahre Höhe der Staatsschulden zu verschleiern und so die teuren Spiele zu finanzieren. Mit Wall-Street-Tricks. Die Währungstransaktionen waren zwar legal, nur: Griechenland zahlt noch bis 2037 ab. Als Gegenleistung wurden in dem Deal auch Flughafen- und Autobahngebühren verpfändet.

Die Attiki Odos ist auch mautpflichtig. Die Schnellstraße führt zum Flughafen und um halb Athen herum. Sie ist ein Erbteil der Spiele und bis heute von hohem Nutzen. Das gilt ebenso für den Ausbau der U-Bahn, einen Vorortschnellzug und eine Straßenbahn zum Strand. In der Krise haben viele Griechen ihre Autos stillgelegt, die Metro ist gewöhnlich rappelvoll. Griechenland erlebte in den vergangenen fünf Jahren die tiefste Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, beinahe wäre der Euro dabei draufgegangen. Nun gibt es erste Zeichen einer Erholung, erkauft durch extrem hartes Sparen, vor allem auf Kosten derer, die sich schon 2004 eher keine Karten für die Spiele leisten konnten.

Es gibt schon wieder große Hoffnungen

Die 2292 Wohnungen des Olympischen Dorfs wurden nach den Spielen an bedürftige Familien verlost. Sie erhielten formlose "Nutzungsgenehmigungen", sollten geringe Mieten zahlen und nach 30 Jahren die Wohnungen besitzen. Inzwischen wurde die Sozialwohnungsagentur OEK aufgelöst, die 10 000 Bewohner blieben im Ungewissen. Teile des Dorfes sind verlassen, zur Geisterstadt verkommen, Läden sind verwaist. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind die weit abgelegenen einstigen Sportlerherbergen nur mühsam zu erreichen. Nur im Sportzentrum des Dorfes herrscht mehr Leben als in vielen der verlassenen Großstadien. Freiwillige haben dort das Regiment übernommen und trainieren mit Kindern und Jugendlichen.

Eigentlich sollten die meisten Sportstätten nach 2004 rasch privatisiert werden. Das Käuferinteresse aber war gering. Die Wartung der Arenen verschlang Millionen. Nach dem Ausbruch der Krise 2009 gab es zwar neuen Druck der Kreditgeber aus EU und IWF, aber die Rezession hat die Investoren erst recht abgeschreckt. Die Verwertung der Anlagen sollte erst eine eigene Immobilienagentur besorgen, inzwischen sind einige Bauten bei der staatlichen Privatisierungsbehörde Taiped gelandet. Die hat im Juli gerade den fünften Chef in vier Jahren bekommen. Im März hat sie noch der griechischen Immobilienfirma Lamda, die von chinesischem und arabischem Kapital gestützt wird, den Zuschlag erteilt, endlich Hellinikon zu entwickeln. Es war das einzige vorliegende Angebot.

Entstehen sollen hier nun Luxushotels, Konferenzzentren, Ausstellungsräume und ein 200 Hektar großer öffentlicher Park. Es gibt wieder große Hoffnungen. "Die Athener Version der Croisette in Cannes" wird von den Immobilien-Entwicklern versprochen - und eine Million mehr Touristen pro Jahr für die Fünf-Millionen-Metropole.

Die leeren Kassen füllen sich langsam wieder

Athen, lange Zeit von Griechenland-Urlaubern auf dem Weg zu den Inseln überflogen oder eilig durchquert, ist als Touristenziel zuletzt schon neu entdeckt worden. Das war 2004 auch so eine Hoffnung, aber kaum einer hat daran geglaubt. Nun drängen sich die Besucher im neuen Akropolis-Museum und staunen über die restaurierte Plaka mit den romantischen Dachgärten samt Blick auf den Parthenon. Ob es doch die vielen schönen Bilder von den heiteren Spielen waren, die die Neugier auf Athen weckten? Man weiß es nicht. ATHOC hatte es einst abgelehnt, die Tourismus- und die Olympiawerbung zu koppeln. Man wollte die Signets allein vermarkten.

Aber vielleicht ist es ja gar die Krise, die so viele Touristen nach Griechenland lockt wie lange nicht mehr. Ob aus Solidarität oder wegen der gesunkenen Preise - den Griechen dürfte das egal sein, solange sich die leeren Kassen ein wenig füllen.

Eine "Gedächtniszeremonie" verlangt die Sportwebseite gazetta.gr. Sie sollte die Griechen daran erinnern, dass sie es ihren Regierungen erlaubt haben, viele Milliarden "für eine Party" auszugeben, von der überwiegend teurer Schrott blieb. Einigen Athenern aber reicht das Klagen nicht. Sie ertragen es schon seit längerer Zeit nicht mehr, dass selbst das Olympiastadion, das der spanische Star-Architekt Santiago Calatrava mit filigranen Bögen bekränzte, vor sich hinrottet.

Sie haben schon im September vor zwei Jahren die Facebook-Gruppe "Machen wir OAKA zu unserem Central Park" gegründet. Danach haben sie sich immer wieder zu Putzaktionen auf dem Olympia-Gelände mit den brüchigen Zäunen verabredet. Nach dem Clean-up nutzten die Freiwilligen mit Kind und Kegel das Areal zum Radfahren, Laufen, Spazierengehen. Sogar Dünger für die 2004 gepflanzten Bäume hatten die Aktivisten dabei. Das ist echter olympischer Geist.

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