Zanardi beim Handbiker-Rennen:Das zweite Leben

Der frühere Formel-1-Pilot, der bei einem Unfall auf dem Lausitzring beide Beine verlor, startet am Sonntag erstmals in Berlin. Für den Paralympics-Sieger ist das ein ganz besonderer Ort.

Von Martin Schneider, Berlin

Alessandro Zanardi lacht, als er sagt, dass deutsches Blut durch seine Adern strömt, und man braucht einen Moment, um zu begreifen, dass der Italiener das wörtlich meint. Denn was in diesem Moment an Plasma und Hämatokrit in seinen Körper fließt, das stammt aus Blut-Konserven des Unfall-Krankenhauses in Berlin-Marzahn. Als er dort vor 14 Jahren eingeliefert wurde, hatte er nur noch einen Liter eigenes Blut in den Venen. "Ich war leer, und sie haben mich wieder aufgefüllt", sagt Zanardi. Der 48-Jährige ist ein charismatischer Mann, eigentlich lacht er fast immer, wenn er etwas sagt. Er breitet die Arme aus, um seine Zuhörer mitzunehmen, er macht Komplimente, lobt die Deutschen, die zum Beispiel alle so gut Englisch könnten.

Nur als er sagt, dass es wirklich wichtig für ihn ist, ausgerechnet hier in Berlin am Marathon der Handbiker teilzunehmen, da sackt die Euphorie aus seiner Stimme, da wird der ehemalige Formel-1-Fahrer ernster. Als er mit Anna und Lisa Hahner, den beiden deutschen Topläuferinnen, gemeinsam ein Interview geben soll, spricht eigentlich nur Zanardi. Die Zwillinge lauschen gebannt, als er seine Geschichte erzählt.

Der Priester gab ihm die letzte Ölung - mit Motoröl

Die hat er schon oft erzählt, aber sie wird mit der Zeit nicht weniger unglaublich. Sie beginnt am 15. September 2001, als Alessandro Zanardi auf dem Lausitzring ein Rennen der sogenannten Champ-Car-Serie fährt, eine Art kleine Formel 1. Als er aus der Boxenausfahrt wieder auf die Strecke will, gerät er auf den Grünstreifen und wird wieder auf die Strecke geschleudert. Der Kanadier Alex Tagliani kommt mit 320 Kilometer pro Stunde angeschossen, trifft den Wagen und reißt das Auto von Zanardi in zwei Teile. Ein Helikopter fliegt ihn nach Berlin, er wird insgesamt siebenmal wiederbelebt, ein Priester gibt ihm die letzte Ölung - mit Motoröl. Er liegt acht Tage im Koma, seine Beine werden oberhalb der Knie abgetrennt, aber er überlebt. Zwei Jahre später steigt er wieder in einen Rennwagen und fährt auf dem Lausitzring das Rennen symbolisch zu Ende.

Er fährt immer wieder Auto, aber irgendwann entdeckt er, dass es ein Ziel für ihn sein kann, sich mit Muskelkraft anzutreiben. Er entdeckt das Handbike für sich. 2007 wird er beim New-York-Marathon Vierter, 2011 siegt er dort. Bei den Paralympics in London holt er zwei Goldmedaillen. 2014 finisht er den Ironman auf Hawaii, vor kurzem wurde er zum dritten Mal hintereinander Zeitfahrweltmeister. Zwischendurch wollte ihn mal eine Raumfahrtgesellschaft ins All schießen, als ersten Behinderten Menschen überhaupt. aber daraus wurde nichts. Und nun startet er zum ersten Mal in Berlin. "Hier haben mir wunderbare Ärzte und Pfleger ein zweites Leben geschenkt", sagt Zanardi. "Ich kann gar nicht sagen, wie wichtig das für mich ist, hier starten zu können."

Der Tiefstapler wird beißen, wie immer

Und sein Rennen, das am Sonntag um Punkt 8:43 Uhr starten wird, das wird natürlich auch ein Spezielles, nicht nur, weil es in Berlin ist. Denn wie in allen paralympischen Disziplinen gibt es verschiedene Kategorien. Zanardi startet normalerweise in einem Rennvehikel, in dem er aufrecht sitzend die Kurbel bedient. Dadurch kann er Kraft aus der Hüfte entwickeln. In Berlin gibt es diese Kategorie aber nicht, darum wird Zanardi im Liegend-Handbike starten. Die Kraft kommt in diesem Sportgerät nur aus den Armen und man schaut im Prinzip die ganze Zeit in den Himmel. "Das ist etwas vollkommen anderes für mich. Ich bin daran nicht gewöhnt." Und darum ist er ausnahmsweise auch nicht Favorit. "Wenn ich mit den Besten ins Ziel kommen würde, dann wäre ich unglaublich zufrieden", sagt er.

Vico Merklein, einer der besten Handbiker der Welt, mehrfacher Sieger in Berlin und auch am Sonntag Favorit, muss schmunzeln, als er das hört. "Alessandro stapelt immer tief", sagt der Hesse. "Er ist natürlich ein super Fahrer." Und auch wenn er hier so locker plaudere und er nicht mit seinem bevorzugten Sportgerät antreten kann "wird er beißen. Ich habe ihn definitiv auf der Rechnung."

Zanardi erzählt und erzählt. Er ist wie aufgedreht. "Ich fühle mich wie ein Kind im Süßigkeiten-Laden", sagt er über seine Tage in der Hauptstadt. Er erzählt von seinen Freunden, die früher immer nach München aufs Oktoberfest fuhren. Er wollte da nie mit, Bier mochte er nicht und nüchtern bei einem Haufen Betrunkenen sitzen auch nicht. Als er wieder aus dem Koma erwachte und in ein Restaurant ging, da bestellte er sich reflexartig ein Bier. Seine Frau Daniela schaute ungläubig. Seitdem belohnt er sich immer nach Wettkämpfen damit. "Das muss einfach vom deutschen Blut kommen", sagt er. Natürlich lacht er dabei.

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