Wolfsburg gegen VfB:Schürrle ohne Riesenrucksack

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Der Weltmeister von Rio trifft erstmals, seit er in Wolfsburg ist. Es ist die herausragende Personalie beim schmucklosen 3:1 gegen Stuttgart.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Der physikalische Begriff der Trägheit definiert das Bestreben von Körpern, in ihrem Bewegungszustand zu verharren: Solange keine außergewöhnlichen Kräfte einwirken, geht es immer weiter. Stets im gleichen Trott. Am Samstag siegte der VfL Wolfsburg gegen den Tabellenletzten VfB Stuttgart mit 3:1 (1:1), und wer einen Grund dafür suchte, konnte ihn im Phänomen der Trägheit finden: Den Stuttgartern fehlte die letzte Überzeugung, einer seit 2006 anhaltenden Serie erfolgloser Ausflüge nach Wolfsburg ein jähes Ende bereiten zu können.

Und weil zur Berechenbarkeit der Wolfsburger Duelle mit dem VfB inzwischen auch zählt, dass Kevin De Bruyne entweder einen Treffer erzielt und/oder einen vorbereitet, kam sogar der deutsche Weltmeister André Schürrle (auf Vorlage des Belgiers) noch zu einem Torerfolg. Und damit eine weitgehend glanzlose Partie zu einer etwas greifbareren Personalie. Denn dass der erst nach gut einer Stunde eingewechselte Schürrle einen Treffer erzielte, war: Eine Nachricht!

Der VfL ist seit März 2014 zu Hause ungeschlagen

Seit Januar ist der vormals beim FC Chelsea tätige Nationalspieler nun schon beim VfL Wolfsburg. Doch in seinen nunmehr zwölf Pflichtspielen (acht in der Bundesliga) hatte Schürrle nicht ein Tor erzielen können. Kein Wunder, wenn dann bei einem 30-Millionen-Einkauf erste Kosten-Nutzen-Rechnungen aufgestellt werden. Entsprechend war Schürrles Jubel, als er nach Vorlage De Bruynes den Ball an Stuttgarts Torwart Ulreich vorbeigespielt hatte (76.). Er rannte auf den Tribünensektor zu, in dem die Lebensgefährtin und der Vater saßen, rutschte auf den Knien, schrie wie ein Besessener und schien die Arme in den Boden rammen zu wollen. Jeder konnte erkennen, was Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking später so umschrieb: "André hat schon einen Riesenrucksack mit sich rumgeschleppt." Der wäre vorerst abgeworfen. "André hat das gebraucht", sagte Daniel Caligiuri, der mit Schürrle in direkter Konkurrenz um einen Platz in der Startelf steht - und sich dennoch zu freuen schien.

Die Situation habe schon an ihm genagt, gestand Schürrle. Es seien "ein paar Steine" vom Herzen gerollt, berichtete er. "Ich habe viele Chancen vergeben. Das hat an mir genagt. Jetzt bin ich umso glücklicher", fügte er hinzu. Zumal er dazu beitragen konnte, dass der seit dem 8. März 2014 daheim ungeschlagene VfL Wolfsburg seine Rolle als beste Rückrunden-Mannschaft bestätigen konnte. Seit der Winterpause hat Wolfsburg 23 Punkte gesammelt.

Dass am Samstag drei Punkte hinzu kamen, war einer Leistungssteigerung nach der Pause geschuldet. Wolfsburgs Spiel war zuvor von horrenden Flüchtigkeitsfehlern gestört worden. Gästetrainer Huub Stevens konnte später ohne falsche Scham behaupten, dass seine Elf vor der Pause die besseren Chancen hatte. Die beste vergab Stürmer Filip Kostic, er schoss freistehend Wolfsburgs Torwart Benaglio an. Die Führung erzielte dann aber Wolfsburg, dank eines strittigen Elfmeters, den der Schweizer Außenverteidiger Ricardo Rodríguez verwandelte (40.). Stuttgarts Defensivkraft Florian Klein soll Caligiuri aktiv zu Fall gebracht haben. Nicht minder kurios war Wolfsburgs Treffer zum 2:1, den ebenfalls Rodríguez erzielte. Er versuchte, einen Freistoß in den Strafraum zu flanken, doch von Freund und Feind unberührt landete der Ball nach einem 30-Meter-Flug im Netz (65.). Den zwischenzeitlichen Ausgleich hatte zuvor Martin Harnik (44.) erzielt - und damit Wolfsburgs Coach Hecking "maßlos sauer" gemacht. Denn Hecking empfand den Treffer zu Recht als "symptomatisch" - für die Oberflächlichkeit des Wolfsburger Vortrags.

Trainer Hecking ist nicht zufrieden

Sein Team, so dozierte er, habe sich "einlullen lassen von den guten Geschichten, die über uns geschrieben werden". Gerettet habe Wolfsburg letztlich die individuelle Qualität. Für die teaminterne Aufbereitung der Partie kündigte Hecking "deutliche Worte" an, denn "immer wird das nicht gut gehen".

Zurzeit aber nutzt Wolfsburg die Trägheit des Moments: Die Niedersachsen hielten Mönchengladbach und Leverkusen im Kampf um die direkte Champions-League-Qualifikation erneut auf Distanz. Am Dienstag steht allerdings ein anderer Wettbewerb auf dem Programm. Im Viertelfinale des DFB-Pokals empfängt Wolfsburg den SC Freiburg.

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